Im Gespräch: Stefan Auchter, Bund für Umwelt und Naturschutz / BUND, zu den Themen Klimawandel, Wirtschaft, Nachhaltigkeit

Der Regionalverband Südlicher Oberrhein des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mit Sitz in Freiburg, der sich für die Themen Mensch, Natur, Umwelt, Frieden und Nachhaltigkeit engagiert, wird seit zwei Jahren von Stefan Auchter geführt. Er versteht den Verband als „Kommunikator für Umweltthemen“, setzt sich für Klima- und Artenschutz, aber auch für bessere Fahrradwege ein. Und natürlich bleibt der Kampf gegen Atomkraftwerke und ihre Folgeprobleme bestehen, der für die Gründung des BUND entscheidend war. Unsere Mitarbeiterin Cornelia Frenkel hat Stefan Auchter befragt.

Kultur Joker: Was macht der BUND und wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Stefan Auchter: Der BUND ist mit grob einer halben Million Mitgliedern der mitgliederstärkste Umweltverband in Deutschland. Mit dieser Unterstützung im Rücken setzt er sich auf Bundes- und Landesebene politisch, auf lokaler Ebene dazu noch praktisch für Umwelt- und Naturschutz ein. Die vielen ehrenamtlich tätigen Ortsgruppen erledigen die wichtige Naturschutzarbeit vor Ort,sie pflegen Streuobstwiesen und Naturschutzgebiete, veranstalten Exkursionen und mischen sich in die lokale Politik ein. Zu meinen Aufgaben gehört es, diese Gruppen zu unterstützen, sei es, indem ich ihnen bei der Erstellung einer Internetseite oder einer Infobroschüre helfe oder bei Bedarf zu einem Thema Experten vermittle. Andererseits profitiere auch ich vom Fachwissen vieler Gruppenmitglieder, die ich um Rat fragen darf. Ansonsten besteht mein Alltag aus klassischer Öffentlichkeitsarbeit, ich bereite Umwelt- und Naturschutzthemen für unseren Newsletter oder unsere Homepage auf, bewerte aus BUND Sicht, beteilige mich an Gremien und schreibe Pressemeldungen.

Kultur Joker: Sie sind von Beruf Elektroingenieur, nicht eben das, was man auf Ihrem Posten erwartet, ich hätte mit einem Biologen gerechnet.

Stefan Auchter: Meine Position stellt sehr breite Anforderungen. Artenschutz ist ja nur ein Aspekt, ich beschäftige mich zudemmit Klimawandel, Landwirtschaft, Energie und Verkehr. Das kriegen Sie in einer einzigen Ausbildung nirgendwo vermittelt, man muss mit Herz und Verstand Umweltschützer sein, bereit, ständig dazuzulernen und sich auf neue Themen einzulassen. Ich bin einziges nichtfranzösisches Mitglied der Überwachungskommission für den Abbau des AKW Fessenheim, da braucht es gute Sprachkenntnisse und technisches Vokabular. Das besitze ich aus der Zeit, in der ich meine Diplomarbeit am Kernforschungszentrum Straßburg geschrieben habe.

Kultur Joker: Der Klimawandel und dessen krisenhaften Auswirkungen beschäftigen unsere Gesellschaft. Steht ein Umbruch bevor, dessen Ausmaße wir noch nicht kennen?

Stefan Auchter: Die Frage klingt nach Katastrophenszenario. Ja, wir werden Umbrüche erleben. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns unbedingt davor fürchten müssen. Angst habe ich vor den zwangsläufigen Folgen unseres Lebensstils, wenn wir nicht gegensteuern. Das betrifft nicht nur den Klimawandel, sondern auch Artensterben, sauberes Trinkwasser, die ungebremste Ausbeutung endlicher Ressourcen und nicht zuletzt auch soziale Ungerechtigkeiten. Würden wir endlich die Wissenschaft ernst nehmen und unsere Zukunft verantwortlich gestalten, dann bin ich – als unverbesserlicher Optimist – überzeugt, dass wir den Umbau in eine sozial- und umweltverträgliche Gesellschaft schaffen können. Wir leben jetzt in einer Welt, in der Menschen in anderen Ländern unter übelsten Bedingungen arbeiten, damit wir unsere Gier nach Wegwerfprodukten befriedigen können. Wir füllen die Meere mit Plastikmüll und unsere Bäuche mit Billigfleisch aus Massentierhaltung. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir leben nicht in der besten aller denkbaren Welten, und Gegensteuern muss zu einem anderen Leben führen, nicht zwangsläufig zu einem schlechteren. Wandel, das kann bedeuten, die Städte zu begrünen, gesündere Lebensmittel, Artenreichtum in der Natur und eine faire globale Wirtschaft. Ehrlich, ich freue mich auf diesen Wandel, aber wir sollten ihn bewusst, gemeinsam und gerecht gestalten.

Kultur Joker: Wirtschaftswachstum und Marktdynamik werden kritisiert, weil sie dazu führen, dass wir täglich mehr Ressourcen vernichten. Gibt es ein anderes Modell für die Zukunft? Und kann unser ökonomisches System die anstehenden Herausforderungen bewältigen?

Stefan Auchter: Wir dürfen uns nicht die Frage stellen, ob unser Wirtschaftssystem die Herausforderungen bewältigen kann. Die Frage muss lauten: Wie kriegen wir das hin? Es ist doch nicht Aufgabe der Menschheit, ein als zerstörerisch erkanntes Wirtschaftssystem bis zur Katastrophe unverändert aufrecht zu erhalten. Wenn die Polkappen komplett abschmelzen, steigt der Meeresspiegel um mehr als 60 Meter. Das hält man durch Deiche nicht auf. Sogar Berlin läge größtenteils unter dem Meeresspiegel. Wir haben auf unserer Internetseite https://www.bund-rso.de/themen-und-projekte/mensch-umwelt/klimafolgen eine Weltkarte, auf der man interaktiv die Küstenlinie bei verschiedenen Meeresspiegeln simulieren kann. Wenn die heutigen Küstenstädte weltweit aufgegeben werden müssten, das würde uns definitiv überfordern. Die Wissenschaftler sagen, das wird nicht mehr in diesem Jahrhundert passieren, aber wir sehen ja schon jetzt Wirbelstürme, Dürren und Überschwemmungen als Folgen des Klimawandels.
Wir werden vieles neu denken müssen, aber wir nennen uns ja selbst Homo sapiens sapiens. Wer sich doppelt klug und weise nennt, darf doch nicht an eigener Doofheit zu Grunde gehen! Momentan werden Hersteller belohnt, wenn sie möglichst billig möglichst kurzlebige Dinge produzieren. Wir haben also das System Belohnung für Verschwendung. Wir wollen Belohnung für Nachhaltigkeit. Meine Aufgabe liegt darin, in Südbaden dafür zu werben, die notwendigen Wege mitzudenken und mitzugehen.

Kultur Joker: Wir wollen die Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 Grad halten, 2 Grad, das klingt nach nicht viel…

Stefan Auchter: Die Rechnung lautet hier: 1+1=5. Wir haben die mittlere Temperatur auf der Erde schon um mehr als 1 Grad erhöht, wenn wir auf über 1,5 Grad kommen, gilt es als möglich, ab 2 Grad als sicher, dass Effekte in Gang kommen, die zwingend eine Erwärmung auf 5 Grad bewirken. Das können wir dann nicht mehr aufhalten und das wird dramatisch.

Kultur Joker: Wie lässt sich der Klimawandel begrenzen, wie können wir reagieren? Welche Technologien benötigen wir und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse sind Ihrer Meinung nach zuverlässig?

Stefan Auchter: Wir haben die Techniken, umweltschonend Strom zu erzeugen, wir setzen sie nur zu wenig ein. Und ja, Verhaltensänderung gehört auch dazu, es reicht nicht, den Strom anders zu erzeugen. Wir nehmen pro Woche ungefähr 5 Gramm Mikroplastik zu uns, Hauptbestandteil ist Reifenabrieb. Wir essen / trinken / atmen also jede Woche ein paar Gramm Autoreifen. Da ist es egal, ob der Motor mit Strom oder Benzin läuft. Kleine, effiziente PKW, noch besser Fahrräder, brauchen weniger Rohstoffe und Energie, verursachen weniger Abrieb. Dazu hat Fahrradfahren positive Gesundheitseffekte. Für einen freiwilligen Umstieg müssen wir Anreize schaffen, das geht über Kosten und Angebote, günstigen ÖPNV und sichere Fahrradwege in den Städten. Mit Solarmodulen überdachte Radwege auf Überlandstrecken produzieren Strom, bieten Schutz vor Regen und im Sommer Schatten. Schneeräumen unnötig. Also Mehrfachnutzen. Solche Ideen müssen wir angehen.
Der Ruf nach Kernenergie, besonders in Frankreich, macht mir große Sorgen,diese Ersatzdroge wird nicht funktionieren. Die alten Kernkraftwerke sind nicht sicher, das wissen wir seit Windscale, Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima. Die nächste Generation ist in Frankreich im Bau, mit erheblichen Verzögerungen und Kostenexplosionen. Aktuelles Problem: Das Herzstück der Anlage, der Reaktordruckbehälter, ist falsch konstruiert. Jetzt soll eine technische Krücke helfen. Dazu die noch immer ungelöste Frage nach dem Endlager…

Kultur Joker: Das alles kostet Geld, werden ärmere Menschen mithalten können? Wie gestaltet man die Zukunft sozialgerecht?

Stefan Auchter: Dazu zwei Punkte. Zunächst: das bestehende System ist sozial ungerecht. Vielen Geringverdienenden ist nicht bewusst, dass sie, um ihren Weg zur Arbeit mit dem Auto zurücklegen zu können, mehr Arbeitszeit brauchen als sie dabei gegenüber anderen Verkehrsmitteln sparen. Beispielhaft gesagt: um gegenüber dem Fahrrad 10 Minuten zu sparen müssen sie 15 Minuten arbeiten. Geringverdienende können sich kaum hochwertige Lebensmittel leisten und keinen energieeffizienten Kühlschrank. Dazu kommt: Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer. Es braucht gute und günstige öffentliche Verkehrsmittel. Wir können Verschwendung durch hohe CO2 Preise verteuern und die Einnahmen pro Kopf zurückverteilen. Geringverdienende würden profitieren, denn sie konsumieren weniger als Reiche. Hier braucht es politischen Mut. Der BUND ist im engen Austausch mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband um sozial gerechte Lösungen zu erarbeiten.
Der andere Punkt: Was mich wirklich ärgert ist, dass diese Kosten immer betriebswirtschaftlich gesehen werden. Der Staat ist doch keine Firma. Eine Firma muss schauen, ob sie Kosten vermeiden kann. Nicht so ein Staat. Hier muss man nicht schauen, wieviel, sondern wohin Geld fließt. Kosten bedeuten immer Arbeitsplätze. Ein Solarmodul stellt keine Rechnung, jedoch die Arbeitskraft, dieses herzustellen und zu montieren. Je mehr Energie wir im Land erzeugen, desto mehr Arbeitsplätze schaffen wir bei uns. Die erneuerbaren Energien wurden in den letzten Jahren durch überzogene Bürokratie und Vorschriften ausgebremst, dabei gingen hunderttausende Arbeitsplätze verloren, hauptsächlich bei Handwerksbetrieben.
Wir verlangen von unserer Landwirtschaft, dass sie weniger düngt und spritzt, Blühwiesen anlegt und Äcker brachliegen lässt. Das ist richtig so, Artenvielfalt leidet massiv unter intensiver Landwirtschaft. Wir werden die Landwirtschaft für diese Naturdienstleistung fair bezahlen müssen, aber wir werden deshalb Nahrungsmitteleffizienter einsetzen und trotzdem mehr als bisher importieren müssen. Wenn wir Gemüse importieren statt Gas, Öl oder Uran, sind wir jedoch nicht mehr abhängig von den Ländern mit den entsprechenden Bodenschätzen. Wenn wir sehen, dass Länder, bei denen wir Erdgas oder Öl kaufen, die Gewinne in Waffen investieren und die eigene Bevölkerung unterdrücken oder uns bedrohen, haben wir nicht die Möglichkeit, einfach andere Lieferländer zu suchen, da ist die Auswahl begrenzt. Bei Obst und Gemüse wäre das nicht so.

Kultur Joker: Können die Europäer effektiv zur Verbesserung der Weltsituation beitragen oder sind wir in Europa nicht zahlreich genug?

Stefan Auchter: Die EU ist der größte gemeinsame Binnenwirtschaftsraum der Welt. Wenn wir Gesetze erlassen, die zu reparierbaren Elektrogeräten führen, dann wenden andere Länder mitziehen, die Hersteller werden kaum Geräte entwickeln, die in Europa reparierbar, woanders nicht reparierbar sind. Wenn hier der Markt für faire Produkte und gesunde Lebensmittelwächst, dann strahlt das auch in andere Länder aus.

Kultur Joker: Und privat, kaufen sie nur Bio?

Stefan Auchter: Die Fairtrade oder Biosiegel sind ein guter Anhaltspunkt. Ich kaufe viel fair und Bio, aber nicht ausschließlich. Ich hole Lebensmittel gerne auf dem Markt, da kenne ich die Erzeuger*innen, spreche mit ihnen und kaufe auch, wenn kein Biosiegel drauf ist. Viele Kleinstbetriebe erzeugen nach ähnlichen Grundsätzen wie die Biohöfe, scheuen aber den bürokratischen Aufwand der Zertifizierung.Statt auf billig zu setzen, kaufe ich lieber weniger ein. Ich muss kaum Lebensmittel wegwerfen, wenn das Brot hart wird, mach ich halt Knödel draus, wenn eine Hose ein Loch hat, setze ich mich auch mal an die Nähmaschine und flicke das. Das mag optisch nicht immer perfekt sein, aber dazu stehe ich.

Kultur Joker: Wenn sie sich was wünschen dürften?

Stefan Auchter: Wir haben zwischen Breisach und Neuenburg und im Hochschwarzwald keine Ortsgruppen. Daher fällt es mir schwer, mir ein Bild von der Stimmungslage zu Themen in diesen Regionen zu machen. Dort neue Ortsgruppen zu haben wäre toll.

Kultur Joker: Worauf freuen Sie sich im gerade begonnenen Jahr?

Stefan Auchter: Ende 2022 wird das letzte deutsche AKW abgeschaltet. Wir planen gerade mit anderen Aktiven eine 2-wöchige Sommerradtour zu Atomstandorten in Süddeutschland und der Nordschweiz, um den deutschen Atomausstieg zu feiern. Auf diese Radtour freue ich mich riesig. Die letzte Etappe wird am 3. September in Freiburg enden.

Kultur Joker: Sehr geehrter Herr Auchter, wir bedanken uns für Ihre Auskünfte.

Bund für Umwelt und Naturschutz / BUND
Wilhelmstr. 24a / 79098 Freiburg / 0761 / 30383.
Homepage und Bestellung Newsletter: www.bund-rso.de

Bildquellen

  • Stefan Auchter: Foto: Peter Herrmann / PH-otography