Im Gespräch: Punkrocker und Virusexperte Dr. Dexter Holland von The Offspring

Dexter Holland ist das Gesicht von The Offspring. Vor vier Jahren hat der Punksänger seinen Doktortitel in Molekularbiologie bekommen. Nach langer Funkstille erscheint nun das Comebackalbum seiner Band: “Let The Bad Times Roll”. Bis auf seinen blonden Bürstenhaarschnitt und seine glitzernde Halskette erscheint Holland via Zoom vom Scheitel bis zur Sohle in schwarz. Er gibt das Interview in dem Studio, in dem Metallica-Produzent Bob Rock den neuen Offspring-Songs den letzten Schliff verliehen hat. Mit Dr. Dexter Holland sprach Olaf Neumann über Virenforschung, Wahrhaftigkeit und wilde Punkrock-Shows.

Kultur Joker: “Let The Bad Times Roll” ist Ihr erstes neues Album seit 2012. Haben Sie sich zu dem Titelsong durch Donald Trump inspirieren lassen?

Holland: Dieser Song wurde inspiriert durch viele politische Ereignisse in den letzten Jahren. Und zwar nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt. Aber er hat auch eine gesellschaftlich-persönliche Komponente bekommen durch Covid-19. Allein in den USA sind bereits 500.000 Menschen an dem Virus verstorben. Viele andere haben ihren Job verloren und sind deshalb deprimiert oder isoliert. Diese Beobachtungen habe ich in den Song mit einfließen lassen, und zwar wertfrei. Der Hörer soll seine eigenen Schlüsse ziehen.

Kultur Joker: Sind schlechte Zeiten die besten Zeiten für gute Ideen?

Holland: (lacht) Es scheint so! Im Moment passiert vieles, über das man schreiben kann. Die Zeile “Let The Bad Times Roll” bringt die Weltlage auf den Punkt. Leider ist die globale Krise längst nicht vorbei. Ich denke aber, dass in unseren Texten immer auch ein bisschen Hoffnung mitschwingt. Vieles davon ist mit einem Augenzwinkern geschrieben. Ich blicke gern durch die ironische Brille auf die Welt. Aber “Let The Bad Times Roll” meine ich wirklich so. Vielen Staatenlenkern sind die schlechten Zeiten doch gar nicht so unrecht.

Kultur Joker: Was war Ihr persönlicher Tiefpunkt in den vergangenen zwölf Monaten?

Holland: Wir sind normalerweise vier Monate im Jahr auf Tour, um live zu spielen. Mir persönlich ist es sehr schwer gefallen, darauf zu verzichten. Die Energie, die bei Punkrock-Shows freigesetzt wird, ist mit nichts vergleichbar.

Kultur Joker: Corona hat so ziemlich Einfluss auf alles – natürlich auch auf unser Sexleben. Ist die Zeit von Sex, Drugs & Rock’n‘Roll definitiv vorbei?

Holland: (lacht) Sie spielen auf unseren Song „We Never Have Sex Anymore“ an? Jeder Mensch hat Erfahrungen mit Beziehungen, ob Jung oder Alt. Aber noch niemand hat darüber in dieser Art einen Song geschrieben. „Wir haben keinen Sex mehr“ klingt erst einmal ziemlich deprimierend, aber wenn man es augenzwinkernd sagt, löst es auch Lacher aus. Dieser Song drückt nichtsdestotrotz Selbstachtung aus: Der selbe Kerl, der nie Glück mit seinen Freundinnen hatte, lebt Jahre später in einer Beziehung – aber ohne Sex.

Kultur Joker: Kann man mit Punkrock in Würde alt werden?

Holland: Absolut! Einige meiner Lieblingsmusiker waren alte Punkrocker, The Ramones, Joe Strummer. Punkrock ist eine Lebenseinstellung. Und was The Offspring betrifft, bedeutet Punkrock selbständiges Denken. Kein blinder Mitläufer zu sein.

Kultur Joker: Und was war Ihr persönlicher Höhepunkt während der vergangenen zwölf Monate?

Holland: Ich habe kleine Kinder zuhause. Es war toll, mehr Zeit als sonst mit ihnen zu verbringen. Das ist natürlich keine Rock’n’Roll-Antwort, aber mit meinen Kids zusammen sein zu dürfen, ist schlichtweg großartig.

Kultur Joker: Sind Sie gut im Homeschooling?

Holland: Ich würde die Kinder lieber zur Schule schicken, weil Schule eine wichtige soziale Funktion hat. Aber aus der Notwendigkeit heraus lernen wir auch zuhause. Buchstabieren, Lesen oder Rechnen. Gestern Abend zum Beispiel ging es um zwei plus zwei.

Kultur Joker: Bringen Sie den Kids auch Musik bei?

Holland: Bei uns zuhause läuft immer Musik aus verschiedensten Quellen. iPads und Smartphones liegen überall herum und spielen irgendeine Kindermusik ab. Bei uns findet definitiv musikalische Erziehung statt.

Kultur Joker: Sie sind nicht nur ein erfolgreicher Musiker, sondern auch Wissenschaftler. Sie haben über Viren geforscht.

Holland: 2017 habe ich einen Doktortitel in Molekularbiologie an der University of Southern California bekommen. Mein Schwerpunktthema war die HIV-Forschung. Ich habe mich schon immer für Viren interessiert. Aber ich konnte natürlich nicht ahnen, dass sich eines Tages die ganze Welt für Viren interessieren würde. HIV macht mittlerweile keine Schlagzeilen mehr, aber Aids ist nach wie vor eine sehr reale und schwere Krankheit.

Kultur Joker: Werden wir Aids bald besiegt haben?

Holland: Es dürfte schwer sein, HIV mit der Wurzel auszureißen, weil es einige komplizierte Besonderheiten aufweist. Ich hoffe eher, dass wir das Coronavirus auslöschen können – beziehungsweise bald besser mit ihm umgehen können. .

Kultur Joker: Lesen Sie viel über das Coronavirus?

Holland: Na klar, ich möchte auf dem Laufenden bleiben. Ich würde mich zwar nicht als Covid-19-Experten bezeichnen, aber ich begreife schon, was Viren auszeichnet.

Kultur Joker: Wann wird es wieder möglich sein, gefahrlos große Konzerte zu veranstalten?

Holland: Das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorhersagen, weil es hinsichtlich Covid-19 noch zu viele unbekannte Aspekte gibt. Man kann zum Beispiel nicht jeden Einzelnen testen, weshalb man nie wissen wird, wo das Virus überall umgeht, wie stark es die Bevölkerung bereits durchdrungen hat und wie schnell es sich verbreitet. Das alles kann man eigentlich nur schätzen aufgrund von Testungen. Ich vermute, dass zwischen Sommer und Jahresende 2021 Konzerte möglich sein werden. Das hängt aber auch von den Impfungen ab.

Kultur Joker: Der deutsche Ticketverkäufer CTS Eventim will die Corona-Impfung an der Konzertkasse prüfen. Wie denken Sie über eine Impfpflicht für Konzertbesucher?

Holland: Das wäre ein möglicher Weg. Mit einer Impfung fühlt man sich natürlich viel sicherer. Gesichtsmasken wären auch eine gute Idee. Und natürlich Konzerte an der frischen Luft.

Kultur Joker: Sind Sie bereits geimpft worden?

Holland: Ich warte immer noch geduldig auf einen Termin. Einige Länder sind beim Impfen schneller als andere. Großbritannien gehört zu den schnelleren, die USA sind eher langsam. Aber der Impfstoff des Herstellers Johnson & Johnson ist bei uns jetzt auch zugelassen worden. Können wir bitte auch noch ein wenig über Musik reden?

Kultur Joker: Natürlich. Der Song “The Opioid Diaries” handelt von der Drogenkrise in den USA. Überschattet die Coronakrise das Drogenproblem?

Holland: In den Medien auf jeden Fall, denn da dreht sich alles um Corona. Auf dieser Platte wollten wir aber verschiedene gesellschaftliche und politische Themen in Angriff nehmen, über die geredet werden muss. Sie war fertig, als die Pandemie begann. Es macht für mich auch keinen Sinn, eine ganze Platte über Corona zu schreiben. Die Opioidkrise in den USA interessiert mich persönlich, weil sie anders ist als bisherige Drogenkrisen. Klassische Süchtige hat es schon immer gegeben, aber die Leute, die sich Opioid-Schmerzmedikamente verschreiben lassen, suchen nicht nach einem Hochgefühl à la Heroin. Sie werden eher unbeabsichtigt zu Süchtigen, weil diese Substanzen in kürzester Zeit extrem abhängig machen. Und dann wollen sie immer mehr davon haben. Irgendwann bekommen sie aber keine ärztlichen Rezepte mehr, weshalb sie sich auf der Straße Heroin besorgen. In den USA werden Football-Spieler zu Junkies! Das ist eine einzigartige Situation.

Kultur Joker: Wer ist dafür verantwortlich?

Holland: Unter anderem die Pharmaindustrie. Hauptsächlich trifft es jüngere Menschen. Seit einigen Jahren nimmt der Missbrauch von Fentanyl in den USA zu. Seine extrem hohe Wirksamkeit führt zu extrem hohen Todesraten. Manche Leute sterben bereits bei einmaliger Einnahme. Es ist rau da draußen.

Kultur Joker: Kennen Sie persönlich viele Opioid-Abhängige?

Holland: Natürlich kenne ich welche. Darunter sind auch Freunde von mir.

Kultur Joker: Trauen Sie Joe Biden zu, die größten Probleme der USA zu lösen?

Holland: Normalerweise äußere ich mich nicht zum Thema Politik. Aber Amerika hat auf diesen Wechsel lange gewartet. Es ist Zeit, dass sich etwas ändert. Biden hat einen ganz anderen Ansatz als sein Vorgänger. Ich hoffe, er hat damit Erfolg. Amerika ist bereit, neue Wege zu gehen.

Kultur Joker: Warum machen Sie Musik? Als Wissenschaftler könnten Sie Ihrem Land ja auch anders dienen.

Holland: Einerseits liebe ich Musik. Andererseits habe ich einen Standpunkt zu den verschiedensten Themen. Als ich jünger war, stand ich total auf Punkbands. Deren Einstellung hat mich geprägt. Mainstream- und Popbands hingegen ließen mich eher kalt. Punkbands haben keine Angst, Tabus wie Depression, Geisteskrankheit oder das Schlechte im Leben anzusprechen. Die unterschiedlichsten Erfahrungen, die junge Menschen machen, haben mich dazu ermuntert, tröstliche Songs zu hören und später auch selber zu schreiben.

Kultur Joker: Was hat Sie zu dem Song „Breaking These Bones“ inspiriert?

Holland: Das ist ein Song über Trauer. Trauer ist assoziiert mit dem Tod oder mit dem Ende einer Beziehung. In meinem Song geht es jedoch darum, sich aus der Welt zurückzuziehen und Türen und Fenster hinter sich zu schließen. Depression kann sich anfühlen wie ein Amboss auf deiner Brust, der die Kraft hat, dir die Knochen zu brechen. Ich wollte einmal das körperliche Gefühl dieser Krankheit ausdrücken und keinen Ratgebersong machen. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ich sehe sonst keine Songs, die aus dieser Perspektive geschrieben wurden.

Kultur Joker: Hat Musik für Sie einen therapeutischen Aspekt?

Holland: Absolut. Wie nennt man das gleich? Katharsis! Viele unserer Fans schreiben uns über die Sozialen Medien, wie sehr wir ihnen dabei geholfen haben, dunkle Zeiten zu überwinden. Des öfteren habe ich den Satz gehört, „Musik hat mein Leben gerettet“. Ich weiß nicht, ob ich das alles so glauben kann, aber Musik hat definitiv die Macht, Menschen zu helfen oder vielleicht sogar zu heilen.

Kultur Joker: Können Sie sich an einen lebensrettenden Moment mit Musik erinnern?

Holland: Nun, unsere musikalische Reise ist eine Entwicklung. Alter Schwede! Am Anfang war es die Popmusik, die meine Mutter gehört hat. Später die Platten, die mein großer Bruder mit nach Hause gebracht hat, von Elton John, Kiss und anderen Hardrockbands. Als prägendes Erlebnis erinnere ich aber Punk: die Sex Pistols, die Ramones oder gewisse kalifornische Bands wie The Vandals. Diese krachige und aggressive Musik mit ihren Botschaften veränderte für mich alles. Schlagartig.

Kultur Joker: Möchten Sie Musik machen, die tiefer geht als der übliche Punkrock?

Holland: Mit Sicherheit. Sind wir überhaupt eine Punkband? Ich denke, im Kern schon. Wir versuchen, das Genre mit jeder Platte ein bisschen mehr zu erweitern. Weshalb wir keine typische Punkband sind. Mit „Gone Away Requiem“ ist auf der neuen Platte sogar ein Pianosong. Dergleichen würde man von einer Punkband eigentlich nicht erwarten. Ich will aber sehr persönliche Songs machen. Und das hat wunderbar funktioniert, indem ich einfach nur zum Piano gesungen habe.

Kultur Joker: Besteht die Hoffnung, dass wir diesen und weitere neue Songs dieses Jahr in Deutschland live erleben?

Holland: Laut meinem Terminkalender spielen wir im Juni 2021 bei Rock am Ring, aber das könnte vielleicht ausfallen. (lacht) Hey, wir können es kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Je eher, desto besser. Sobald das Touren wieder sicher ist, werden wir da sein.

Kultur Joker: Dexter Holland, vielen Dank für das Gespräch!

The Offspring – Let The Bad Times Roll (Concord Records/Universal Music)

Bildquellen

  • Dr. Dexter Holland: The Offspring