Im Gespräch: Pia Leydolt-Fuchs über Chemnitz, Kulturhauptstadt 2025

Pia Leydolt-Fuchs, geb. 1979 in Wien, studierte BWL mit Spezialisierung auf Public Management, es folgten Weiterbildungen in PR und Kultur- und Medienmanagement. Mit ihrem Mann Ulrich Fuchs, Direktor der Kulturhauptstadt „Marseille-Provence 2013“ lebt sie seitdem in Südfrankreich. Martin Flashar sprach mit ihr über Chemnitz als Kulturhauptstadt 2025.

Kultur Joker: Liebe Frau Leydolt-Fuchs, Ihre Verbindung mit den Europäischen Kulturhauptstädten begann in Linz …

Leydolt-Fuchs: Ja, genau: Von Mitte 2007 bis Anfang 2010 war ich Pressesprecherin bei„Linz09“. Mein Traumjob!

Kultur Joker: Was hat sich daraus für Sie entwickelt?

Leydolt-Fuchs: Eine Leidenschaft zu dem Projekt Europäische Kulturhauptstadt, private und geografische Veränderungen und nicht zuletzt das Label CaP.CULT, unter dem meine Kollegin Carina Kurta und ich seit 2013 Konzepte und Inhalte Europäischer Kulturhauptstädte an Interessierte vermitteln und Städte, die sich für das Projekt Kulturhauptstadt interessieren oder bewerben, beraten.

Kultur Joker: Zu Chemnitz: Inwiefern waren Sie da involviert?

Leydolt-Fuchs: Zum einen haben meine Kollegin und ich ein Bürger*innen-Beteiligungskonzept für das Kulturhauptstadtbüro entwickelt, dann nahm ich an einer Arbeitsgruppe für das erste bid book (Bewerbungsbuch) teil und habe für das zweite bid book dasKapitel „Outreach“, also die ThemenBürger*innen-Beteiligung, Publikumsentwicklung undWeiterbildungerarbeitet.

Kultur Joker: Was ist das Besondere des Chemnitzer Antrags? Warum hat die Stadt den nationalen Wettbewerb gewinnen können?

Leydolt-Fuchs: Ich denke, Chemnitz hat glaubhaft gemacht, dass sich die Stadt mit ihren Stärken und Schwächen intensivauseinandersetzt. Gerade auch in Hinblick auf die rechtsradikalen Ausschreitungen im August 2018 oder gesellschaftliche Herausforderungen wie die „Stille Mitte“. Chemnitz will sein Image ändern, sich gegenüber Dresden und Leipzig positionieren und gleichzeitig zeigen, welches künstlerische und kulturelle Potential esbesitzt, und zudem demokratische Defizite anpacken. Chemnitz kann und will als Drehscheibe zwischen Ost- und West-Europa verstanden werden. Und dafür– und noch viel mehr – wirddie Europäische Kulturhauptstadt definitiv ein Katalysator sein. Man könnte sagen, Chemnitz hat den Wettbewerb gewonnen, weil die Stadt den Titel einfach am dringendsten braucht.

Kultur Joker: Zum Inhalt der Bewerbung: Was ist das Profil? Berichten Sie aus den Bewerbungsbüchern.

Leydolt-Fuchs: Es gibt sehr schöne Vorhaben, die die Ernsthaftigkeit verdeutlichen, viele Bürger*innen mit an Bord zu holen – nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern wirklich von Jung bis Alt, aus allen Stadtteilen und auch aus der Region. Mit breitangelegten partizipatorischen Projekten wie „3000 Garagen“ oder der „Apfelbaum-Parade“ ermöglicht man einerseits denjenigen Zugang zu Kunst und Kultur, die bis dahin nichts damit zu tun hatten, anderseits können die Bewohner*innen der Stadt wieder näher zueinander rücken.Auch die Europäische Dimension der Bewerbung macht neugierig: So wird ein „Europäischer Workshop für Kultur und Demokratie“ entwickelt, eine Programmschiene läuft unter dem Titel „Europäisches Manchester“, und es sind eine Vielzahl an künstlerischen Kooperationen mit Städten aus Osteuropa geplant.

Kultur Joker: Was wird in Chemnitz bis 2025 passieren?

Leydolt-Fuchs: Hoffentlich viel. Es gibt Areale und Leerstände, die einenkulturelle Nutzung erhalten sollen – dafür gilt es, gute Konzepte zu entwickeln bzw. bestehende zu realisieren. Es werden touristische Anreize geschaffen– kultur- wie auch kreativtouristische, ebenso Angebote für Randgruppen. Vieles wird sich zunächst im Hintergrund abspielen. Es wird für alle ein Kraftakt sein, denn die Erwartungshaltung ist hoch.

Kultur Joker: Das klingt so, als solle Chemnitz nun zum touristischen Hotspot avancieren – nimmt man da nicht Gentrifizierung und soziale Verdrängung mit in Kauf? Noch können die Menschen die Mieten ja halbwegs bezahlen …

Leydolt-Fuchs: Nein, Chemnitz soll kein touristischer Hotspot werden, auch wenn klar ist, dass die Stadt die nächsten Jahre nationale und europäische Aufmerksamkeit erlangen wird. Chemnitz will sich vielmehr aufgrund seines Potentials positionieren, damit die Stadt attraktiver und lebenswerter wird, Studierende bleiben, Familien nicht abwandern und sich die „Stille Mitte“ wieder einbringt. Und ja, bei einem solchen Stadtentwicklungsprojekt darf man Tendenzen von Gentrifizierung und sozialer Verdrängung nie aus dem Blick lassen.Auch deshalb ist die Einbindung der Bevölkerung in das Projekt so wichtig.

Kultur Joker: Was könnten die Benefits für die Stadt und Ihre Bewohner aus Ihrer Sicht werden?

Leydolt-Fuchs: Das größte Ziel könnte sein, dass die Bewohner*innen wieder stolz werden– auf sich als Chemnitzer*innen und auf ihre Stadt.

Kultur Joker: Wie würden Sie Chemnitz in der Reihe der bisherigen deutschen EKHs sehen?

Leydolt-Fuchs: Berlin, Weimar und Essen – das ist alles lange her und das Konzept der Europäischen Kulturhauptstadt hat sich seitdem stark verändert, professionalisiert und ist komplexer geworden. Insofern fällt ein Vergleich schwer und ist vielleicht auch nicht notwendig. Chemnitz wird und muss sein Bestes geben und dafür drücke ich die Daumen!

Bildquellen

  • Pia Leydolt-Fuchs: Joerg Landsberg