Im Gespräch: Die Gründer des Theater R.A.B., Len Shirts und Franziska Braegger

„Wir lassen den Zufall mitspielen“

Das Theater R.A.B. (Random Acts of Beauty) erkennt man an seinen skurrilen Masken. In eigensinnigen Spiel-, Bild- und Klangperformances erzählt die Gruppe ungewöhnliche Bühnengeschichten. Zu ihrem 20-jährigen Jubiläum sprach Fabian Lutz mit den Gründern Len Shirts und Franziska Braegger über Zufall, Maskenspiel und ein behäbiges Freiburg.

Kultur Joker: 20 Jahre Random Acts of Beauty. Wie erhält man den Zufall, die Spontaneität über eine so lange Zeit?

Len Shirts: Indem wir uns immer wieder herausfordern. Indem wir immer wieder in neue Richtungen gehen, mit neuen Thematiken und neuen Stilen. Wir sind heute sogar noch aufgeweckter, was zufällige Begegnungen, Ideen und Zusammenschlüsse angeht als zu Beginn unserer Arbeit. Zu Anfang waren es auch andere Random Acts, mehr Improvisationen auf jeden Fall. Unsere Grundidee, dass hinter der Schönheit der Natur auch das Chaos steht, ist aber geblieben.
Franziska Braegger: Es ist auch der Mut, sich immer wieder auf Dinge einzulassen, die du vorher nicht einschätzen kannst. Ich bin ganz „süchtig“ danach.

Kultur Joker: Bedeuteten eure Random Acts vor allem Improvisation?

Franziska Braegger: Ich würde sagen, ja. Wir zurren von Anfang an nicht alles fest. Wir arbeiten sehr selten mit einem fertig dramatisierten Text. Unser Schwerpunkt ist der bildnerische Aspekt, die Performance. Wir haben natürlich ein klares Ziel vor Augen, aber lassen auch den Zufall mitspielen. Dabei geht es um das Entstehen der Ideen und das Entdecken im Moment.

Len Shirts: Gregory Bateson, ein Anthropologe, sagte: „The new can only come out of the random.“ Wenn Dinge, die sonst nicht zusammengehören, zusammenkommen, dann entsteht das Neue. Teils ist es bei uns die Improvisation, teils auch das bewusste Zusammenstellen von Dingen, die normalerweise nicht zusammengehören.

Kultur Joker: Könnt ihr ein Beispiel für dieses Zusammenstellen des Unpassenden nennen?

Len Shirts: Ein gutes Beispiel ist unsere langjährige Zusammenarbeit mit dem Musiker Ro Kuijpers. Der arbeitet ganz anders als wir. Es ist nicht so, dass wir zu ihm sagen: „Nach 40 Sekunden kommt dieser Sound und dann jener.“ Wir geben ihm vielmehr ein paar grobe Ideen, die Thematik und dann arbeitet er alleine weiter. Wenn wir dann die fertige Musik bekommen, sind wir oft ratlos. „Was ist das?!“ Wenn wir aber unsere Ideen mit der Musik zusammenbringen, entstehen neue Aspekte.

Franziska Braegger: Aspekte, die du vorher gar nicht kanntest. Die Musik führt dich dorthin.

Kultur Joker: Das klingt auch nach einem Reibeprozess. Das führt doch sicher auch zu Konflikten.

Franziska Braegger: Ja, immer wieder. Der Konflikt gehört dazu. Manchmal müssen wir Ideen auch verwerfen, wenn wir merken, dass unser Projekt sonst zerfleddert. Wichtig ist, dass du auf ein Ziel hinarbeitest. Irgendwann brauchst du immer einen Fokus, sonst wird es beliebig. Es sollen „Freie“ und nicht „Beliebige Taten der Schönheit“ sein. Wir haben eine Meinung zu dem, was wir machen. Wir machen nicht irgendwas. Sonst müssten wir es nicht tun.

Len Shirts: Das Schwierigste bei der Produktion ist das Loslassen. Das sind oft die schmerzhaftesten Momente. Man hängt an etwas, braucht es aber nicht. Das gilt für einzelne Ideen, aber auch für die Ziele, die man hat. Mir geht es oft so. Franziska kann besser loslassen.

Franziska Braegger: Ich streiche gern!

Len Shirts: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass all die Konflikte nicht persönlich werden. Sie müssen mit dem Inhalt der Stücke zu tun haben.

Kultur Joker: Len, du stellst selbst Masken her, die ihr in euren Aufführungen immer wieder verwendet. Welche Bedeutung haben die Masken für euch?

Franziska Braegger: Wenn wir Masken verwenden, verändern sich Zeit, Geschichte und Schwerpunkt des Stücks. Die Masken sind ein unglaublich starkes Medium. Ein kleines Detail auf der Bühne bekommt einen neuen Fokus. Wenn da jemand plötzlich mit Maske steht und schweigt, gibt es eine ganz neue, visuelle Verbindung, eben das, was wir mit Random Acts meinen. Was beim Film mit Schnitt und Musik gemacht wird, machen wir mit den Masken. Alles wird auf eine andere Ebene gebracht. Vielleicht eine Ebene für die es gar keine Worte gibt. Um ein pures Maskenstück zu beschreiben, muss man eigentlich Poesie schreiben. Das geht auch ins Bewegungstheater und in den Tanz, da ist viel Musikalisches drin. Diese neu entstandenen Ebenen in der Dramaturgie weiterzuentwickeln ist jedenfalls eine große Herausforderung.

Len Shirts: Das Theatererlebnis findet im Kopf der Zuschauer statt. Mit den Masken geben wir ihnen einen Ort, wo ihre Fantasien beginnen, wo Fragen aufkommen können. Wenn wir die Masken dabei zu sehr in eine Geschichte einpacken, was wir auch schon versucht haben, dann funktioniert es nicht. Die Masken brauchen diese Bedeutungsoffenheit. Für mich sind die Masken auch eigene Wesen. Franziska oder andere Mitspieler verschwinden plötzlich und ich sehe ein anderes, ganz neues Wesen. Franziska muss sich dafür nicht selbst verwandeln, wie Robert De Niro, der sich mit Method Acting für seine Rolle fettgegessen hat. Wenn du die Maske trägst, folgst du einfach der Gesetzmäßigkeit dieses Wesens. Nimmst du die Maske ab, bist du plötzlich wieder da.

Kultur Joker: Wenn ihr bei euren Walk-Acts verkleidet durch die Gegend lauft, dann trefft ihr auch direkt auf eure ZuschauerInnen. Was für Reaktionen erlebt ihr?

Franziska Braegger: Die Leute reagieren unterschiedlich. Wir versuchen sie natürlich nicht zu erschrecken, denn als Wesen wollen wir akzeptiert werden. Es ist ein sehr feinfühliges Spiel. Du musst die Leute sehr gut einschätzen. Bei manchen Leuten musst du ganz schnell weg, sonst kriegst du es zu spüren. Manche Menschen wollen dich nicht akzeptieren, also schlagen sie zu. Das passiert zum Glück ganz selten. Die meisten freuen sich aber, fangen an zu sprechen und kommen so in deine Spielfantasie rein. Wir handeln ja auch, wir trinken zum Beispiel Tee, putzen oder machen Späße. Wir sind immer in Interaktion und brauchen den Austausch. Ich frage mich also: Was brauchen meine Gegenüber? Brauchen sie Nähe oder Abstand? Es ist ein ständiges Wechselspiel.

Len Shirts: Manchmal tun die Menschen auch so, als ob wir gar nicht da sind. Die denken sich: „Ich bin ganz normal und es ist mir egal, dass da ein menschengroßer Rabe neben mir hockt.“ Manche erschrecken sich zuerst, kommen dann aber schnell in die Spielfantasie hinein, weil sie merken, dass wir nicht beißen oder schlagen. Manche klopfen auf unsere Masken und wollen wissen, wie das funktioniert. Sie müssen irgendwie beweisen, dass das nicht real ist.

Franziska Braegger: Die werden dann aber unsicher, wenn du weiterhin in deiner Rolle bleibst. Wenn ich mich als Pandamädchen verkleide, wollen mich die Männer übrigens immer heiraten.

Das Domzelt des Theater R.A.B.

Kultur Joker: In eurem letzten Stück „Café Jenseits“ stehen KünstlerInnen der Avantgarden im Vordergrund. An solche erinnert euer Spiel mit dem Zufall und dem Chaos auch, denkt man an den Dadaismus, Surrealismus und weitere Kunstrichtungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Sind diese Avantgarden Vorbilder?

Franziska Braegger: Es gibt einen Wunsch danach. In der Theaterbranche geht es heute viel um Sicherheit. Es geht oft um Repertoire, sichere Zuschauerzahlen. Auch große Theater wie das Theater Freiburg kämpfen um ihr Publikum. So haben die Leute weniger Mut, Dinge zu tun, die ihnen wirklich am Herzen liegen. Wenn man zurückblickt und sieht, was die Avantgarde alles probiert hat – ich habe danach absoluten Hunger: Experimentieren aus der Lust heraus und mit allem was man hat. Sonst fährt man nur auf einer Spur. Damals hatte es noch diese Explosivität und Kreativität.

Len Shirts: Ich kannte zunächst nur den Dadaismus, den fand ich spannend, aber es war mehr Franziskas Ding. Für mich war es entweder Shakespeare oder Beckett, sonst altes keltisches und mystisches Theater. Als ich aber meiner Figur Ernst Toller begegnet bin, habe ich gemerkt: Ich bin Expressionist! Wie der Expressionismus ans Theater rangegangen ist, sehr aufklärerisch, sehr subjektiv, sehr direkt – das bin ich auch. Wie ich denke liegt nicht unbedingt im Zeitgeist. Die Avantgarde ist aber kein Vorbild, ich habe sie erst in den letzten Jahren entdeckt.

Kultur Joker: Anfang des 20. Jahrhunderts, mit all seinen lauten Künstlermanifesten, ging es vor allem um das Streben nach dem Absoluten. Umso lauter heute die Parolen in der Politik werden, umso förmlicher und leiser wirkt die Kunst. Braucht es heute wieder eine Kunst, die lauter, explosiver auftritt und wieder das Absolute wagt?

Franziska Braegger: (lacht) Oh, das ist gefährlich!

Len Shirts: Das ist eine Frage für Dramaturgen und Theaterwissenschaftler. Der Expressionist Ernst Toller, den ich in Café Jenseits gespielt habe, sah den ganzen Menschen, die Fehlbarkeit der Rechten, aber auch der Linken. Ich war auch nie ein Absolutist, ganz im Gegenteil. Ich merke aber auch, dass ich jetzt aufgefordert bin, nicht zu schweigen. Was das aber genau bedeutet – keine Ahnung. Als Künstler musst du vor allem für dich selbst Verantwortung übernehmen und akzeptieren, was andere tun.

Franziska Braegger: Ich hätte das Manifest „In die Freiheit rein!“, in die Vielfalt. Es braucht noch viel Mut, die Kunst als etwas zu verteidigen, das frei sein muss, soll! Gerade Bildungsinstitutionen benutzen Kunst oft, um die Kinder, die Menschheit zu retten. Das finde ich alles hochgefährlich. Kinder, Menschen sollen einfach Kunst machen dürfen. Statt all der Schubladen soll man doch alles mal auf den Kopf stellen dürfen. Als Künstler muss man klare Farben zeigen und nicht erschrecken, wenn die Leute auch mal „Hä?!“ sagen.

Len Shirts: Wir hassen Schubladen und wir stehen oft zwischen den Stühlen. Wir sind kein Sprechtheater, wir sind auch kein Maskentheater, wir machen erwachsene Kunst, aber auch welche für Kinder und wir machen Straßenkunst.

Kultur Joker: Euer freies Theaterkonzept ragt aus der hiesigen Theaterszene schon heraus. Wird euch im kleinen, braven Freiburg nicht langweilig? Fragt ihr euch manchmal, was euch hier noch hält?

Len Shirts: Ehrlich gesagt fragen wir uns das immer wieder. Aber immer wieder merken wir dann: Doch, wir wollen hierbleiben. 1982 kam ich zum ersten Mal im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals von den USA nach Freiburg. Für das Festival war die Stadt auch weltweit bekannt. Übrigens sind auf diesem Weg ganz viele Leute nach Freiburg gekommen und sind auch hier geblieben, bis heute. Als Theater R.A.B. haben wir uns Freiburg auch ausgesucht, damit wir nahe Frankreich und der Schweiz sind. So können wir immer international agieren. Das Dreiländereck ist uns sehr wichtig. Hätten wir immer nur in Freiburg agiert, würden wir längst nicht mehr existieren.

Franziska Braegger: Ich finde es schon ein bisschen dünn hier und etwas behäbig. Politisch könnte man für die Kunst mehr Räume schaffen. Wir würden unser
geodätisches Domzelt sehr gerne dauerhaft aufstellen, für Fairburg stand es über zwei Jahre in Lörrach. Es gibt Dinge, die könnten ganz leicht entstehen. Toll ist hingegen die Natur, dass man sehr schnell draußen ist. Freiburg ist schon ein Regenerationsplatz. Die meisten Freiburger Künstler trifft man aber nicht hier, sondern auf Festivals außerhalb. Es gibt zwar kleine Sachen wie das neue Straßentheaterfestival, aber ein pulsierendes Kulturleben sehe ich nicht. Ich weiß aber auch gar nicht, wo es das in Deutschland überhaupt gibt. Von innen gesehen ist es immer wo anders.

Len Shirts: Wenn man in Städte geht, die anders als Freiburg als Problemstädte gelten, wie Halle, merkt man, dass die Leute dort eigentlich viel gelassener sind. Es gibt viel mehr alltägliche Kreativität. Das Gefährliche in Freiburg ist der Druck, perfekt sein zu müssen. Die kleinen Großstädte haben eine Profilneurose. Alles muss super sauber, super designed, superlativ sein. Diesen Superlativ triffst du in Berlin oder Leipzip nicht. Dort triffst du auf Kreativität und aus der kommt der wahre Superlativ.

Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Bildquellen

  • kultur_joker_theater_RAB_domzelt_c_jennifer_rohrbacher: Jennifer Rohrbacher
  • Len Shirts und Franziska Braegger, Gründer des Theater R.A.B.: Jennifer Rohrbacher