Herbert Grönemeyers Musical „Pferd frisst Hut“ nach Eugène Labiche wird am Theater Basel uraufgeführt

Direkt vor der Premiere ist Herbert Grönemeyer noch im Orchestergraben und wünscht toi, toi, toi. Für die bevorstehende Uraufführung von „Pferd frisst Hut“, zu dem er die Musik geschrieben hat. Dann startet Dirigent Thomas Wise den Abend mit süffigen Streichermelodien und swingenden Saxofonen (Arrangements: Thomas Meadowcroft). Das Sinfonieorchester Basel scheut kein Pathos und entwickelt einen Hochglanz-Broadwaysound. Am Ende zieht Wise das Tempo an und beschleunigt die Ouvertüre zu einer stampfenden, erdigen, von der Tuba vorangetriebenen Hotjazznummer, die Lust macht auf das Kommende.
Regisseur Herbert Fritsch und Herbert Grönemeyer hatten schon 2020 am Schauspielhaus Bochum zusammengearbeitet. Im Stück mit dem sinnigen Namen „Herbert“, das wegen der Coronapandemie nie gespielt wurde, sollten Grönemeyers Hits verfremdet werden. Für das Musical „Pferd frisst Hut“ nach Eugène Labiches temporeicher Komödie „Ein Florentinerhut“ (Bearbeitung: Sabrina Zwach) am Theater Basel in der Regie von Herbert Fritsch hat der deutsche Popstar, der in den 70er-Jahren seine Karriere als Theatermusiker in Bochum begonnen hat, sechzehn neue Songs und Instrumentalmusiken geschrieben. Echtes Hitpotential hat keiner von ihnen, aber das war auch nicht Sinn der Sache. Der durchgeknallte, überdrehte, energiegeladene Abend braucht Musik, die etwas von der szenischen Übertreibung widerspiegelt. Die eingängig und beweglich ist – und auch Komik entfaltet. Grönemeyer hat sie komponiert. Sogar Selbstironie ist zu hören, wenn der grandiose Christopher Nell in der Hauptrolle des Fadinard in „Von Hélènes Schönheit“ wie der Sänger Grönemeyer Sprache als Rhythmus einsetzt und die Bruststimme nach oben zieht. Besagte Hélène (Cécilia Roumi) singt daraufhin volltrunken eine Soulballade der besonderen Art („Lied vom Kater“). In Versen wie „Das Hirn verfilzt, ein wirrer Knoten, der Magen glüht, das Würgen kämpft“ erkennt man Grönemeyers berühmte Staccatolyrik. Es gibt einen veritablen Italoschunkelschlager mit feiner Rossinibegleitung in den Violinen („A, un, due, tre Oleander und Jasmin“), der ein wenig an „Yellow Submarine“ von den Beatles erinnert. Ein lateinamerikanisch angehauchtes Duett („Im Hutladen“) trifft auf ein aberwitzig schnelles Eifersuchtstrio, ein sentimentaler Walzer auf eine gospelartige Nummer mit Backgroundchor (Leitung: Michael Clark).
Auf der quietschbunten, von schrägen Wänden und zahlreichen Türen geprägten Bühne drückt Regisseur Herbert Fritsch von Beginn an auf die Tube (Kostüme: Geraldine Arnold). Fadinards Pferd frisst einen Tag vor dessen Hochzeit mit Hélène den Strohhut von Anais (Nanny Friebel), die ihren cholerischen Ehemann Beauperthuis (schön schräg: Raphael Clamer) gerade mit dem so bescheuerten wie sportlichen Polizisten Emile Tavernier (großartig auch als Baronin: Florian Anderer) betrügt. Ein Ersatzhut muss besorgt wurden, damit kein Verdacht geschöpft wird. Und so jagt Christopher Nell als Fadinard durch den Abend, trifft auf seine liebestolle Ex (grandios als Hutverkäuferin Clara: Sarah Bauerett), flüchtet vor seiner eigenen Hochzeitsgesellschaft. Er zappelt und stammelt, trippelt und parliert sich so virtuos durch den Abend, dass allein seine Performance den Besuch lohnt. Der Regisseur lässt ständig Türen knallen und setzt seine Figuren unter Strom. Dieses überspannte Körpertheater sorgt für beste Unterhaltung, spektakuläre Stürze, mal gelungene, mal begrenzt witzige Wortspiele („Wir können ein Moussaka verhindern. Er ist vielleicht bewaffelt“) und eine hohe Zotendichte. Allein die Drehtür bietet ständige Slapstickvariationen.
Aber die Dauerhysterie ermüdet dann doch, weil Fritsch die Figuren zu ähnlich anlegt. Alle sind irgendwie gleich bekloppt, rennen gegen Wände und schreien sich gerne an. Nur Hubert Wild als so bedächtiger wie beschränkter Schwiegervater Nonancourt setzt in seinem herrlichen Kurpfälzisch einen gleichbleibend lustigen Kontrapunkt. Das Timing sowohl in den Musiknummern als auch in den einzelnen Sprechszenen ist dank des brillanten Ensembles nahezu perfekt. Die Inszenierung bietet virtuosen Klamauk und handwerklich perfekt zelebrierte Absurditäten, aber eben auch nicht mehr.
Es fehlt an der richtigen Balance. Zwischen laut und leise, zwischen überdreht und erstarrt. Manche Szenen geraten an dem über dreistündigen Abend zu lang, die Pause kommt zu spät. Auch fehlt es an Bindung zwischen Musik und Text – Grönemeyers Songs werden oft zu wenig vorbereitet und bleiben im luftleeren Raum. Die Musik schafft es auch nicht, einen Bogen zwischen den Szenen zu spannen. Eine zweite Ebene, ein doppelter Boden, ein vielleicht auch mal beängstigender, verstörender Moment entsteht nicht. Im kurzen zweiten Teil nach der Pause fällt die Spannung deutlich ab. Der packende Schlusschor „Sie gehen jetzt in die Ehe“, der den Beginn des bekannten jüdischen Volkslieds „Hevenu Shalom Alechem“ aufgreift, schöpft seine Energie aus sich selbst. Am Ende brüllen sich alle an und vermöbeln sich auf der Bühne. Dann präsentiert sich das Ensemble nochmals in schöner Herbert-Fritsch-Manier showgerecht zu musikalischen Dauerschleifen. Zuletzt taucht auch Herbert Grönemeyer hinter einem Menschenknäuel auf und nimmt gelassen den Jubel entgegen, ehe man nochmals gemeinsam den Italoschlager anstimmt. „Un, due, tre Oleander und Jasmin.“

Weitere Vorstellungen bis Mai 2024 unter www.theater-basel.ch

Bildquellen

  • Cécilia Roumi als Hélène und Christopher Nell als Fadinard: © Thomas Aurin