Herbert Fritsch inszeniert Richard Strauss‘ Einakter „Salome“ am Theater Basel

Der Kopf des Jochanaan. Er ist Lustobjekt und Trophäe für Salome. Dass dieser Kopf des Propheten auf dem Höhepunkt von Richard Strauss‘ Drama in einem Aufzuge auf dem Silbertablett präsentiert wird, gehört zu den größten Schockszenen der Operngeschichte. Und führte dazu, dass das skandalumwitterte, 1905 entstandene Werk, mit dem der Komponist die Tür zur Moderne weit aufstieß, auf enormen Widerstand beim Klerus traf und in Wien erst 1918 aufgeführt werden konnte.
Am Theater Basel ist Jochanaans Kopf schon von Beginn an zu sehen. Er schaut aus dem in Blau getauchten Boden heraus, der in seiner Spiegelung an eine Wasserfläche erinnert. Mit dem Mond am Theaterhimmel und Schattenrissen der beiden Soldaten entsteht ein ästhetisches, aber auch gespenstisches Nachtbild (Licht: Roland Edrich/David Hedinger), das diese „Salome“ in der Regie von Herbert Fritsch, die bereits 2019 am koproduzierenden Theater Luzern zu sehen war, zu Beginn unter Spannung setzt (szenische Einstudierung: Caterina Cianfarini). Dieser Idylle ist nicht zu trauen. Der verstörende Kopf in der Bühnenmitte antizipiert die Abgründe, die sich noch auftun werden. Auch das Sinfonieorchester Basel entfaltet beides: Schönheit und Schaudern. Dirigent Clemens Heil gibt den Holzbläsern Raum für ihre Girlanden und entwickelt mit dem Orchester einen edlen, runden Streicherklang, der ganz in der Spätromantik verwurzelt ist. Vor allem wahrt Heil immer die Balance und lässt das Orchester nie zu massiv werden, so dass die Solisten wie Ronan Caillet als hell timbrierter Narraboth nicht forcieren müssen.
Jason Cox verleiht Jochanaan Ausstrahlung und Würde. Mit seinem über große Reserven verfügenden Bariton macht er aus den Anklagen des Propheten keine Hetzreden, sondern kantable Botschaften. Ein Asket ohne Fehl und Tadel. Das Herrscherpaar überzeichnet die Regie als Knallchargen. Peter Tantsits ist ein bacchantischer Herodes mit Stummelflügel und Goldketten (Kostüme: Victoria Behr), Jasmin Etezadzadeh gibt Herodias als zeternde Drama Queen. Wie immer setzt Herbert Fritsch auf Künstlichkeit und Karikatur. Die bis auf zwei goldene Throne leere Bühne wird zur Spielfläche, die raffinierten Farbwechsel gliedern die vier Szenen. Näher kommen die Figuren allerdings nicht. Die Juden bleiben in ihren Pelzhüten und langen Bärten genauso illustrativ und unnahbar wie die augenverdrehenden Soldaten oder das durchgeknallte Königspaar. Das nimmt diesem immer weiter eskalierenden Drama die Wucht und die Glaubwürdigkeit. Das zieht dem verstörenden Werk den Stachel.
Vor allem die Titelfigur bleibt seltsam undefiniert. Salome ist hier keine sinnliche Femme fatale, sondern mit ihrem rosa Rüschenkleid und dem Pagenschnitt ein trotziges Mädchen, das auch mal mit den Füßen aufstampft und an den elterlichen Thronen herumturnt. Die dunkle, abnorme, perverse Seite dieser Frau kommt in der Rollenzeichnung abhanden. Heather Engebretson verstärkt mit ihrem klaren, leuchtenden Sopran diese ungewöhnliche Sicht auf Salome. In der Tiefe fehlt es der Sängerin aber an dunklen Farben und Durchschlagskraft. Ihr Tanz der sieben Schleier, mit dem sie den geilen Stiefvater befriedigt, wird in Basel immer wieder ironisch gebrochen. Mal streckt diese Salome ihrer Mutter die Zunge heraus, mal liegt sie auf dem Rücken und strampelt mit den Füßen, mal werden ihre Bewegungen eine Spur aufreizender. Dass sie auch für Jochanaan tanzt, dessen Kopf mal wieder durch den Bühnenboden lugt, bleibt eine Randnotiz. Ihr angedeutetes sexuelles Erwachen wirkt konstruiert.
Die sinnliche, orientalisch gefärbte Musik aus dem Orchestergraben – die Schlagzeuger sind exponierter platziert – erzählt eine andere Geschichte: von Rausch und Entgrenzung, von Kontrollverlust und Tabubruch. Das ist alles nur musikalisch zu erfahren wie auch die enorme Spannung, wenn Salome auf den Preis ihres Tanzes, den Kopf Jochanaans, wartet. Hier erzielt das Sinfonieorchester Basel auf dem bedrohlichen Wirbel der großen Trommel eine beängstigende Plastizität. „Warum schreit er nicht, der Mann?“, fragt Salome – die akzentuierten Achtel der hohen Kontrabässe, die verschreckenden Fanfaren von Kontrafagott, Fagott und Tuba und die harten Paukenschläge lassen Schlimmstes befürchten. Am Ende bekommt Salome den abgetrennten Kopf und liebkost ihn zu wohligen Orchesterklängen. „Doch es schmeckt vielleicht nach Liebe“, singt Heather Engebretson im schönsten Legato, ehe nach Herodes‘ Ruf „Man töte dieses Weib“ das Sinfonieorchester Basel eine letzte Panikattacke aus dem Graben schleudert.

Weitere Vorstellungen: 6./12./14. November, 8./11./13. Dezember 2022, 26. März 2023, Tickets: 0041 61 2951133 oder www.theater-basel.ch

Bildquellen

  • Heather Engebretson als Salome: Foto: Thomas Aurin