Hausverbot und Hundekot

Berufsbedingt besuche ich häufig Vernissagen und überhaupt Eröffnungen jeder Art. Zu Beginn war das auch sehr aufregend. Händeschütteln, Sekt schlürfen, Häppchen mampfen, Reden lauschen und das Gefühl haben, man wäre gerade bei etwas­ Großem dabei. Denn, und das werden mir einige bestätigen können, die einmal einer feierlichen Eröffnung beigewohnt haben, es ist immer der wichtigste, größte und einzigartigste Anlass, der uns an diesem Abend zusammengeführt hat. Das ist ein paar Mal auch glaubwürdig, irgendwann aber nur noch ermüdend und ja, ich möchte behaupten, schädlich. Auf vielerlei Ebenen.
Zunächst einmal für den Journalismus als solches. Als Schreiberling bin ich der Neutralität verpflichtet (außer ich werde in einem Format wie dieser Kolumne explizit um meine Meinung gebeten). Wenn ich nun eine Ausstellung oder auch Premiere besuche, wird mein Blick nicht sanftmütiger, je öfter man mir sagt, wie unglaublich grandios und überhaupt herausragend die Arbeit ist, die ich mir gerade ansehe. Im Gegenteil. Je öfter ich höre, dass ich es hier mit der Oberliga zu tun habe, desto kritischer wird mein Blick. Desto genauer sehe ich hin und desto enttäuschter bin ich am Ende, wenn das alles vielleicht gar nicht so große Weltklasse ist, wie zuvor angeprießen. Denn natürlich schärfe ich meinen journalistischen Blick auf unterschiedlichen Ebenen: Ein Laientheater ist keine Broadwaypoduktion und so sind auch die Details andere, auf die ich achte. Wird mir das Laienstück aber als Broadwayproduktion angeprießen, ändert sich mein Blick. Er wird kritischer. Und Kritik ist heute etwas, das nicht mehr allzu gut ankommt, manchmal sogar zu Hausverbot oder Hundekot im Gesicht führt.
Wo wir schon beim nächsten Punkt wären. Konstruktive Kritik ist eine Kunst, die heute nur noch wenig Menschen beherrschen – zu äußern und anzunehmen. Nun ist es aber natürlich so, dass der Weg von Künstler:innen und Darsteller:innen, Schriftsteller:innen oder Regisseur:innen nicht immer geradlinig läuft. Manchmal setzt man eben etwas in den Sand, das ist nicht weiter schlimm. In vielen Fällen führt genau das dazu, dass die nächsten Arbeiten endlich eine neue Ebene erreichen. Aber was passiert mit der Kunst, wenn die Kritik an ihr nicht länger willkommen ist, sondern Journalist:innen mit ernsthaften Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie nicht nach Gusto der Veranstaltenden berichten? Die Frage ist natürlich rhetorisch.
Erst vor wenigen Wochen habe ich eine Vernissage besucht, die Werke eines jungen Künstlers zeigte. Motive aus Freiburg, Menschen in der Dreisam, an einer Bar, vor dem Münster. „Das ist Freiburg“, hieß es. „Nichts zeigt unsere Stadt so authentisch, wie diese Bilder“ und so weiter. Das ist, mit Verlaub, Schwachsinn. Würden wir Freiburg authentisch darstellen wollen, dann würden wir nach Weingarten, Haslach, Zähringen oder in den Stühlinger fahren und das Leben der Einwohner:innen auffangen, die es sich eben nicht leisten können, mit der Weißweinschorle ab 16.30 Uhr die Füße in die kalte Dreisam zu tunken, bevor sie auf ihrem 3000 Euro Elektrofahrrad in die nächste Bar düsen und Bier für 4,50 Euro schlürfen. Hätte ich die Bilder so kritisch betrachtet, wäre mir zuvor nicht gesagt worden, dass genau das Freiburg ist? Und niemand es authentischer auffängt? Nein. Vielleicht sollten wir damit anfangen, weniger Superlative zu nutzen, die letztendlich nur zum Trugschluss führen, dass alles bereits vollkommen ist. Oder um es mit den Worten von W. E. Süskind zu sagen, der den Superlativ als „durch und durch verzwickte, unklare und leider vielfach korrupte Form“ beschrieb.

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  • Warum wir uns vom Superlativ verabschieden sollten? Eine Kolumne: Foto: Min An via pexels