Hakenkreuz am Fenster

Folgendes Ereignis trug sich an einem verregneten Dezembernachmittag zu. Die Wolken schienen, wie so oft in diesem Jahr, über dem Freiburger Tal ein geheimes Treffen abzuhalten, das bereits Tage ging und auch die Stimmung in der Stadt merklich drückte. Ich fuhr mit dem Auto in die Stadt, hörte dabei laut Musik und grölte leidenschaftlich mit. Da fiel mein Blick aufs rechte Beifahrerfenster. Ein Hakenkreuz. Jemand hat in den Dreck meiner rechten Fensterscheibe (was in diesem Kontext auf witzige Weise ironisch sein könnte) ein Hakenkreuz geschmiert.
Wer schon einmal an einem Samstagnachmittag mit dem Auto oder Rad auf der Habsburger Straße unterwegs war, wird folgendes verstehen: Du. Kannst. Nicht. Anhalten. Vor dir Autos, links und rechts Fahrradfahrer, überall Passanten – in der zweiten Reihe zu stehen ist also keine Option. Mit einem Hakenkreuz durch die Gegend zu fahren ist wiederum auch keine Option. Eine schnelle Lösung schien nur die Fahrt bei offenem Fenster zu sein. Gesagt, getan. Während mir also der eisige Wind um die Nase pfiff, kam ich ins Grübeln. Ich wohne am nördlichen Stadtrand, ziemlich ruhig (manche würden sagen langweilig) und das einzig politische in meiner Straße ist wohl die Begrünung des Nachbargartens. Wer könnte das also gewesen sein?
Die Stimmung in Deutschland und auch in Freiburg ist angespannt. Eindrucksvoll lässt sich das bei den samstäglichen Corona-Demos beobachten. Noch im November hefteten sich Personen aus den Reihen der „Querdenker“ gelbe Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ an und bezeichneten sich als „Juden von heute“ – andere verglichen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ von 1933 mit dem „Bevölkerungsschutzgesetz“, das 2020 aufgrund der epidemischen Lage erstmals in Kraft trat.
Doch beim Kampf um kulturelle Hegemonie eigneten sich sogenannte „Querdenker“ und rechte Gruppierungen während der letzten Demos zunehmend linke Symbole an. Slogans wie „Nein zur Impfapartheid / Nie wieder Faschismus“ oder Che Guevara-Shirts und Regenbogenfahnen neben Impfspritzen. Zuletzt ertönte „Die Internationale“ über einen Lautsprecher der „Querdenker“-Demo in Hamburg. Von „rechten Diskurspiraterien“ (Unrast Verlag, 2010) schreiben Regina Wamper, Helmut Kellershohn und Martin Dietzsch. Die „Neuen Rechten“ hätten sich in den vergangenen Jahren die Ästhetik und Sprache politischer Gegenspieler angeeignet und so die Mitte der Gesellschaft erreicht. Das Ergebnis: Die AfD hält 83 Sitze im Bundestag und ist in zwei Bundesländern stärkste Kraft; Behörden verzeichnen zunehmende Fremdenfeindlichkeit sowie Antisemitismus und die Hemmschwelle zur Nutzung von Symbolen aus der NS-Zeit sinkt – zuletzt gesehen an meinem Auto.
Nachdem ich dieses endlich parken und das Hakenkreuz vom Fenster wischen konnte, fielen mir beim Verlassen der Parkgarage Sticker an den grauen Wänden auf. „Impfstoff? Nein Danke“ im Stil von „Atomkraft? Nein danke“. Schnell griff ich in meine Tasche, fischte einen Sticker hervor und überklebte das Ungetüm. „Support Your Local Pussy“ steht da jetzt. Ich denke mir: Wenn all die Menschen, die sich in ihrer Freiheit durch einen Impfstoff gefährdet sehen, genauso enthusiastisch gegen Sexismus und Rassismus kämpften (wodurch Betroffenen übrigens wirklich die Freiheit genommen wird) hätten wir ein schöneres Deutschland.

Bildquellen

  • Kolumne: Foto: Kultur Joker
  • Support Your Local Pussy: Foto: Vulvinchen