„Francis Bacon. Unsichtbare Räume“ in der Staatsgalerie Stuttgart

Über das existentielle Ausgeliefertsein des Menschen

In der Kunstwelt steht schon lange fest, dass der Brite Francis Bacon (1909-1992) einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts war. Und seit seinem Tod hat sein Werk noch an Beachtung gewonnen. Auch die Höchstpreise im Kunsthandel, die seine Bilder neuerdings erzielen, sind ein Indikator dafür. „Unsichtbare Räume“, der Titel dieser Ausstellung, bezeichnet erstmals einen zentralen Aspekt im Werk von Francis Bacon.

Auf 40 großformatigen Gemälden sowie zahlreichen, bisher selten gezeigten Zeichnungen wird vorgeführt, wie der Künstler mit seinen Figuren, in anonymen Bildräumen zur Schau gestellt, zu einem erschütternden Ausdruck des Existentiellen fand. Bezeichnend dafür ist das Käfigmotiv, wobei es Bacon um die zentrale Erkenntnis ging, dass sich Mensch und Tier in ihrem Freiheitsentzug, ihrem Ausgeliefertsein gegenüber der Todesgewissheit nicht wesentlich unterscheiden.

Wenn ein Museum eine Werkschau von Francis Bacon präsentiert, muss es davon ausgehen, dass kaum mit einem großen Publikumszulauf zu rechnen ist vergleichsweise zu Ausstellungen der Impressionisten oder anderer Maler der klassischen Moderne. Nichts gegen eine Kunst, die uns die Schrecknisse der Gegenwart für eine Weile vergessen lässt, die uns erinnert an die schönen, unbeschwerten Seiten des Lebens, die Freude am Dasein. Francis Bacon war es nicht gegeben, eine solche Kunst zu schaffen, seine existentiell belastenden Erfahrungen wiesen ihm eine andere Richtung. Schon früh erfuhr er durch den Vater Gewalt am eigenen Leib. Als dieser herausfand, dass der Sohn schwul war, warf er ihn aus dem Haus.

Von Gewaltsamkeiten geprägt sollte auch Bacons Liebesleben sein. „Love is a devil“, sagte er einmal. Wer von Sex besessen ist, findet nur schwerlich Liebe, die Leid lindert. Besessen war der Autodidakt auch von der Kunst, in der er Höchstes erreichen sollte. Picasso war sein großes Vorbild. Aber in seiner künstlerischen Auseinandersetzung fand er schließlich einen gänzlich neuen Weg zur figurativen Malerei. In vielen seiner Gemälde setzt sich „Der Schrei“ von Edvard Munch als Ausdruck der Verzweiflung fort.

Kunst und Existenz lagen bei Bacon sehr nah beisammen. Ein Leben lang unter schwerem Asthma leidend, wusste er, was Bedrängnis heißt. Als Maler faszinierte ihn die Schönheit des Fleisches, er studierte es intensiv in Metzgereien und Schlachthöfen. Bei einem seiner Schlachthofbesuche wunderte er sich, dass er es nicht selbst war, der an einem Fleischerhaken hing. Seine auf Podeste gesetzten Torso-Darstellungen, eher verstümmelte Fleischklumpen, rufen die Vorstellung einer Schlachtbank hervor. Zu schockieren und zu provozieren lag in der Absicht des Malers. Auf anderen Bildern sind es Knäuel von Körpern, seltsam verfremdet und verzerrt, wobei erst bei näherer Betrachtung das sexuelle Ineinander erkennbar wird. Die Nähe von Sexualität und Gewalt ist evident. Solche Gemälde, davon vier große Triptychen, sind auch vor dem Hintergrund der Biographie des Künstlers zu betrachten. Aber sie verweisen auf mehr als das. „Wenn wir deine Bilder anschauen, dann sehen wir also die reale Welt vor uns?“, wurde Bacon einmal in einem Interview gefragt. Er bejahte das ohne Zögern.

Der Mensch wird bei Bacon als geschundene Kreatur vorgeführt. Wie auf einer Bühne, umrahmt von Gestellen, Gerüsten, in Glaskästen gesperrt. Die kühle Ästhetik der Bildräume in ihrer geometrischen Formensprache und flächigen Farbgebung stehen im absoluten Gegensatz zum rohen, wunden Fleischlichen. Die Deformation der Körper ist Ausdruck des Gewaltsamen, der Verletzlichkeit. Wir sind konfrontiert mit einer Kunst, die über das Äußerliche hinaus geht, Seelisches nach außen kehrt. Was hinter Hüllen oder unter der Haut verborgen liegt, soll nach Aussage Bacons auch dem Betrachter sozusagen unter die Haut gehen. Francis Bacon exerzierte am menschlichen Körper die Schlachtfelder der Existenz und der Zeit. Seine Gemälde, anfangs nur einem künstlerischen Impetus folgend, sind zu Sinnbildern eines Zeitalters der Gewalt geworden. Eines Zeitalters, das mit dem 20. Jahrhundert begann und sich darüber hinaus in seinen Ausmaßen kriegerischer und terroristischer Zerstörung noch steigerte, wie wir heute feststellen müssen.

„Francis Bacon. Unsichtbare Räume, Staatsgalerie Stuttgart. Bis 8. Januar, geöffnet dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Ein Katalog ist im Prestel Verlag München erschienen und kostet 24, 90 Euro.

Peter Frömmig