Fahrrad-Selfies vor Tankstellen

Lauter nette Menschen waren gekommen, junge Familien mit vielen Kindern. Die Sonne strahlte an einem dieser ersten Frühlings-Sonntage. Der Pfarrer verabschiedete die junge Gemeinde mit den ermunternden Worten, man könne das schöne Wetter doch zu einem gemeinsamen Spaziergang nutzen – und stieg in sein Auto. Anstatt schwatzender Grüppchen, die sich auf den kurzen gemeinsamen Heimweg machten, klappende Autotüren und brummende Motoren. Die Kinder liefen nicht mit ihren Freundinnen und Freunden ein Stück des Weges an duftend blühenden Bäumen vorbei, sondern verschwanden in Blechkisten. Binnen Minuten leerten sich die völlig zugeparkten Gehsteige. Junge, gesunde Beine mussten die nächsten 1-2 Kilometer stillhalten.
Wie wäre es an einem offiziellen autofreien Sonntag gelaufen? Vermutlich hätten alle diese Familien sofort mitgemacht, hätten gerne ein kleines Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesetzt. Es wäre ihnen sicher gut dabei gegangen. Viele der Eltern erklären ihren Kindern längst die absurde Situation, dass unser reiches Land mit jedem Liter Sprit Putins Überfall auf die Ukraine mitfinanziert. Viele von ihnen engagieren sich längst, sie spenden, sammeln Unterschriften, Medikamente, Kleidung und backen Kuchen für die Ukraine. Vermutlich würde auch keiner von ihnen murren, wenn die nächsten Sonntage für alle autofrei wären. Und auch dann nicht, wenn es ab sofort ein für alle geltendes Tempolimit gäbe. Im Gegenteil, diejenigen, die lieber langsam fahren, würden nicht bei jeder Gelegenheit gedrängelt, mehr Gas zu geben. Wenn alle mitmachten, würde die Nachfrage an den Zapfsäulen gesenkt. Abertausende Selfies von Radler:innen vor Tankstellen, hämische Boykott-Grüße an Tobias, Hans und Julian … Pardon, die Autorin gerät ins Träumen. Manchmal träumt sie sogar von Vogelschützern, die sich für Tempolimits einsetzen. Schließlich ist der Verkehr (nach Glasscheiben-Kollisionen) die Vogel-Todesursache Nummer 2, mit rd. 70 Millionen Opfern pro Jahr. Viele Rotmilane, Bussarde und andere Greifvögel kommen um, weil sie den Asphalt wegen der überfahrenen Kleintiere als reich gedeckten Mittagstisch wahrnehmen.

Low hanging fruits
Gerade weil der Aufwand für ein Tempolimit und autofreie Sonntage so gering ist, käme es auf einen Versuch an. So wie in Brandenburg. Da wurde auf einem 62 km langen Autobahnabschnitt Tempo 130 eingeführt und die Auswirkungen in einer Studie untersucht. Die Zahl der Unfälle ging massiv zurück und die Anzahl der Verletzten sank um mehr als die Hälfte. Wir könnten damit also auch die Krankenhäuser samt dem ausgebrannten Pflegepersonal entlasten und stattdessen einfach mal vom Balkon aus dem Mineralöl-Konzern Rosneft applaudieren. Der Name bedeutet ‚russisches Öl, abgeleitet von ‚Rossijskaja Neft‘. Wer’s lieber still und extrovertiert mag, kann wahlweise für den Rosnefts Aufsichtsrats-Vorsitzenden Gerhard Schröder beten, gerne mit geschlossenen Augen vor einer Kreml-Fototapete.
„In Deutschland ist Rosneft das drittgrößte Unternehmen in der Mineralölverarbeitung“, gibt der russische Staatskonzern an. Er zählt „zu den führenden Großhändlern für Mineralölprodukte in Deutschland“, also für Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin, dem Treibstoff für den Urlaubsflieger. Als einer der wichtigsten Großhändler in Deutschland und als drittgrößtes Unternehmen in der Mineralölverarbeitung ist ‚Rosneft Deutschland‘ an drei deutschen Raffinerien beteiligt: im brandenburgischen Schwedt, im bayrischen Neustadt an der Donau und in Karlsruhe, im Ländle. Die Mineralölraffinerie Oberrhein, MiRo, im Karlsruher Rheinhafen ist die zweitgrößte Raffinerie Deutschlands – auch ein schöner Ort zum Applaudieren.
Es gibt so viele schöne Orte zum Applaudieren, auch und gerade in Freiburg. Da wären die B31-Tunnel-Ein- und Ausfahrten, durch die immer mehr Verkehr und auch immer mehr Lastwagen donnern. Applaus und ein herzliches Dankeschön an all die Freizeit-Tanker und Ausflüglerinnen, die einfach mal spazieren fahren wollen und Rosneft einen tüchtigen Schluck aus der Pulle gönnen. Applaus für alle, die dafür sorgen, dass irische Butter, bayrische Milch und Klamotten aus Billiglohnländern in unsre Läden gekarrt werden. Applaus für die pfiffigen Pfennigfuchser, die im Diskounter die türkischen Kirschen kaufen und so die Kaiserstühler Bauern zum Aufgeben zwingen. Applaus für all die Mineralölkonzerne, die es möglich machen, dass Waren, die über tausende von Kilometern mit immer mehr Lastern über die B31 kommen, hinterm Tunnel noch zu Dumpingpriesen die hiesige Konkurrenz in den Ruin treiben. Und ein Sonderapplaus für Rosneft: wie dieser Konzern auf allen Ebenen, vom Klima bis zur Regionalwirtschaft, eine Schneise der Verwüstung schlägt und gleichzeitig Putins Kriegskassen füllt, ist wahrlich beeindruckend.
Es wäre so wirksam, wenn uns eine Regel alle zum fossilen Kriegstreiber-Boykott verpflichten würde. Damit entfiele sofort das unsägliche, spalterische Mit-dem-Finger-auf-andere-Zeigen. In der Boomer-Generation hört man nur Positives von den Auto-freien Sonntagen von 1973, vom Rollschuhfahren auf der breiten Fahrbahn, von Familienausflügen, von der Stille. Und auch für den Deutschen Sonderweg des unbegrenzten Rasens auf den Autobahnen gibt es kein rationales Argument. Der gordische Knoten platzt, sobald der Druck aus der Bevölkerung größer ist, als der Druck der Autolobby.

Bildquellen

  • Autofreier Sonntag im Ruhrgebiet, 2010: Foto: CherryX per Wikimedia Commons