Die politische Wippe

Im Sommer 2019 erregte eine Kunstaktion an der Grenze zwischen USA und Mexiko großes Aufsehen. Das nur 20 Minuten andauernde Projekt mit dem Titel „Teeter-Totter Wall“ wurde am 19. Januar 2021 mit dem renommierten Beazley-Design-Preisdes Londoner Design Museums ausgezeichnet. Die amerikanischen Architekturprofessor*innen Ronald Rael und Virginia San Fratello hatten zusammen mit der mexikanischen Künstlergruppe Colectivo Chopete drei rosafarbene Wippen durch die Lücken im Grenzzaun hindurch montiert. Von beiden Seiten kamen Menschen, Erwachsene und Kinder, um hin und her zu wippen. Bilder und Videos dieser symbolischen Aktion verbreiteten sich rasch in den sozialen Medien. Ihre politische Botschaft ist so einfach wie klar: Nicht auf das Trennende, auf das Verbindende kommt es an. Die Aktion richtete sich direkt gegen die Politik von Donald Trump, der den Ausbau der Mauer zwischen Mexiko und den USA vorangetrieben hat. „Teeter-Totter“ bedeutet Wippe oder Schaukel und spielt auf die Wechselwirkungen im Austausch von Staaten und politischen Entscheidungen an. Dass diese Kunstaktion gerade jetzt mit dem englischen Design Preis ausgezeichnet wurde, zeigt die unverminderte Aktualität des Themas. Kunst kann Aufsehen erregen und sich in Politik und Weltgeschehen einmischen.

Die Wippe als künstlerisches Symbol gegen politische Grenzziehung ist auch in unserem Land schon lange ein Thema. Man denke nur an die „Einheitswippe“, die auf dem Platz vor dem Humboldt-Forum in Berlin errichtet werden soll. Seit zehn Jahren wird diskutiert, ob die 50 mal 18 Meter große Wippe, auf der 1400 Menschen stehen können, als Einheitsdenkmal mit dem Motto „Wir sind das Volk“ taugt. Sie soll die friedliche Revolution symbolisieren, die 1989 zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geführt hat. Je nach Verteilung der Personen kann die Wippe in sanfte Bewegung gesetzt werden. Durch gemeinsames Handeln und Verständigung untereinander kann Veränderung bewirkt werden. Neue Perspektiven werden sichtbar und Problemlösungen machbar. Das alles soll die als „soziale Plastik“ bezeichnete Wippe verkörpern. Der ursprüngliche Termin für die Fertigstellung des Bauwerks war für 2019 geplant, zum dreißigsten Jahrestag der Maueröffnung.

Im vergangenen Jahr wurde mit dem Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin offiziell begonnen. Noch in diesem Jahr soll es fertiggestellt werden. Die Wippen in Mexiko und die in Berlin könnten unterschiedlicher nicht sein. Ihre symbolische Aufladung ist jedoch vergleichbar.

Hier gehts zum Video der „Teeter-Totter Wall“: www.instagram.com/rrael

Bildquellen

  • Teeter-Totter-Wall: Rael San Fratello