Die neue Oper „The Folly“ des scheidenden Generalmusikdirektors Fabrice Bollon wird am Freiburger Theater uraufgeführt

Liegetöne, die von fallenden Glissandi getrübt werden. Eine Klangfläche, die Risse bekommt. „The Folly“, die neue Oper von Fabrice Bollon, beginnt mit einer Verunsicherung, als würde den Beteiligten der Boden unter den Füßen weggezogen. Suggestiv mischt der scheidende Generalmusikdirektor, der auch am Dirigentenpult steht, die dichten Streicherklänge mit zarter Elektronik. Die Klänge des Chores erinnern an frühe mittelalterliche Mehrstimmigkeit. Wir sind im Zeitalter der Reformation. Die Kirchenvertreter stecken im Gegensatz zu Petrus (sonor: John Carpenter) in prunkvollen Gewändern. Gotische Kirchenbögen umsäumen auf der Drehbühne eine mächtige Bibliothek (Bühnenbild: Stefan Heyne).
Fabrice Bollon und Clemens Bechtel, der auch Regie führt, hatten die fünfaktige Oper zum 900-jährigen Stadtjubiläum vor zwei Jahren geschrieben. Im Mittelpunkt von „The Folly“: Erasmus von Rotterdam, der von 1529 bis 1535 in Freiburg lebte. Michael Borth verleiht dem Humanisten viel Kantabilität und entspannte Tiefe. Dieser Erasmus ist ein Grübler, der sich über die Polarisierung der Gesellschaft den Kopf zerbricht und sich bewusst auf keine Seite schlägt. Papst Hadrian (mit mächtigem Bass: Jin Seok Lee) möchte ihn für sich gewinnen, Martin Luther (präsent: Roberto Gionfriddo) ebenfalls. Und auch Erasmus’ Freund Ulrich von Hutten (Inga Schäfer) wird von ihm enttäuscht, weil er keine Position bezieht. Es wird überhaupt viel palavert in dieser Oper. Aus historischen Quellen hat Clemens Bechtel ein Libretto aus fünf verschiedenen Sprachen (lateinisch, englisch, deutsch, holländisch, baseldütsch) zusammengestellt, das eine enorme Textfülle beinhaltet. Die Mehrsprachigkeit, die durch den traditionell gehaltenen Operngesang kaum hörend verstanden werden kann, sorgt eher für Verunklarung als für die beabsichtigte Charakterisierung der Figuren. Besonders das Baseldütsch von Erasmus’ resoluter Haushälterin Margarethe Büsslin (schön dominant: Anja Jung) verliert an Witz durch die gehobene musikalische Sprache. Der textüberladene Plot wirkt konstruiert. Es fehlt an Theatralik.
Zumindest musikalisch gelingt es dem Komponisten und Dirigenten Fabrice Bollon, einen Erzählstrom zu erzeugen. Spannend, wie er im Orchester akustischen und elektronischen Klang mischt. Avantgarde interessiert den Franzosen nicht – seine eklektizistische Musiksprache kennt keine Tabus. Originell ist sie trotzdem, weil sie Melodien besonders harmonisiert und mit delikaten Klangfarben arbeitet. Im vierten Akt wechselt zum großen Auftritt der Torheit (The Folly) Bollons Stil. Die allegorische Figur, der Zvi Emanuel-Marial mit seinem beweglichen Altus und pinkfarbenem Gewand eine tuntige Note gibt (Kostüme: Tanja Liebermann), ist von Erasmus’ Buch „Lob der Torheit“ (1509) inspiriert. Unterstützt vom Beat eines E-Drumsets, von Keyboard, Saxofon, E-Cello und E-Geige hat die Torheit mit ihrem durchgeknallten Ensemble (schön schräg: Karin Bock, Yeonjo Choi, Bonnie Frauenthal, José Gonzalez, Charis Peden, Melissa Serluco) einen skurrilen Musicalauftritt. „Es sind die Clowns und Idioten, die eure Stimmen bekommen“, singt die Torheit – und plötzlich fühlt man sich an die unmittelbare Gegenwart erinnert. Im letzten Akt ist der Spuk wieder vorbei und Erasmus möchte nach Freiburg, was seine Haushälterin mit einem höhnischen Lachen quittiert. Die Anfangsklänge kehren zurück – alles bleibt in der Schwebe.

Weitere Vorstellungen: 16./22. Juli 2022. www.theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Michael Borth: Foto: Britt Schilling