Im Gespräch: Sänger Ian Gillan und Bassist Roger Glover von Deep Purple

Von Deep Purple stammen einige der bedeutendsten Rockhymnen aller Zeiten. Und jetzt legen die Briten Studioaufnahmen von Songs vor, die von anderen Größen geschrieben wurden: Bob Dylan, Led Zeppelin, Cream, Fleetwood Mac, Mitch Ryder oder The Yardbirds. Mit Sänger Ian Gillan (76) und Bassist Roger Glover (75) sprach Olaf Neumann in Oberhausen über die revolutionären Sechzigerjahre und die Anfänge von Deep Purple. Die beiden wirken enthusiastisch wie am ersten Tag, lachen viel und fallen sich gegenseitig ins Wort wie ein altes Ehepaar

Kultur Joker: Auf dem Interims-Album „Turning To Crime“ covern Sie Rock-, Rhythm&Blues- und Countrysongs, die zum Teil aus der Zeit vor Deep Purple stammen. Sind das Stücke, die Sie in Ihrer Jugend geprägt haben?

Roger Glover: Diese Songs sind mit Sicherheit Teil unserer Jugend, ja. Wir lieben sie. Ich bin froh, 1945 geboren zu sein, denn ich durfte die Geburt des Rock’n’Roll miterleben. Das war eine Zeitspanne von zwölf bis 15 Jahren, die uns unglaubliche Musik beschert hat, die größtenteils aus den Vereinigten Staaten kam. Man vergisst diese prägenden Jahre nicht.

Ian Gillan: Die Auswahl der Songs erfolgte aus einer langen Liste, für die unser Produzent Bob Ezrin verantwortlich war. In meinen persönlichen Favoriten und Einflüssen wie Elvis Presley, Chuck Berry oder Litte Richard steckt nicht viel von Deep Purple drin. Die Songs haben wir aus Respekt vor dem Original ausgewählt, das immer das Beste ist. Es war für uns eine schöne Gelegenheit, den Stücken eine Purple-Note zu verleihen. Die Idee war, sie ein wenig zu erweitern, aber nicht zu verbessern. Das ist unmöglich. Diese Platte war für uns ein großes Abenteuer.

Kultur Joker: Auch mich haben einige Ihrer Neufassungen überrascht. Sie und Ian Gillan singen z.B. den Country-Hit „The Battle Of New Orleans“ von Lonnie Donegan und Johnny Horton aus dem Jahr 1960. War das Ihre Idee, Roger?

Glover: Ian und ich spielten schon vor Deep Purple – in den Sechzigern – in einer Band (Episode Six). Und ich habe da immer dieses ansteckende Lied gesungen. Lonnie Donegan und die Skiffle-Musik kamen sechs oder acht Monate vor dem Rock‘n‘Roll auf. Dieser Sound war für einen Zehnjährigen im Nachkriegsengland eine Offenbarung. Das Land kämpfte darum, wieder zu dem zu werden, was es vor dem Krieg war. Natürlich konnte es das nie wieder sein, aber die Älteren hielten an den alten Idealen fest. Und deren Musik war im Grunde langweilig: Nonsens-Songs, Liebeslieder, Schlager und Jazz. Und aus dem Jazz entstand der Skiffle, also Hausmusik. Die hatte viel Energie, und die Lieder handelten von real existierender Armut, Arbeit, Gefängnis, Mord und Rebellion. Die Skiffle-Songs waren wie ein Aufbruch in eine ganz neue Welt.

Kultur Joker: Lonnie Donegan, der „King of Skiffle“, hatte zwischen 1956 und 1962 mehr als 30 Hits in den britischen Charts. Welchen Einfluss hatte er auf die Entwicklung der Rockmusik?

Gillan: Donegans Musik war eine gute Vorbereitung auf Little Richard, Chuck Berry, Elvis Presley, Buddy Holly und die Everly Brothers, die aus Amerika kamen. Skiffle riss psychologische Barrieren nieder. Mit jeder wichtigen musikalischen Entwicklungsstufe in meinem Leben ging eine technische Revolution einher. Als Rock‘n‘Roll und Skiffle aufkamen, hatte jemand die Idee, einen Transistor in ein Radio einzubauen. Das bedeutete, dass man nicht mehr zu Hause mit einem einzigen Radiogerät sitzen musste, bei dem die Mutter oder der Vater den Sender auswählten; mit Klassik oder Unterhaltungsmusik. Für Teenager wie mich war das todlangweilig und erdrückend. Mit dem Transistorradio konnte man endlich seine eigene Musik mit sich herumtragen. Dies entfachte eine Flamme, die die Welt der Kids erleuchtete. Es gibt viele Beispiele dieser Art: Ohne Jim Marshall (Anm.: Ein britischer Pionier im Bereich der Gitarrenverstärker) gäbe es heute keinen Heavy Rock.

Kultur Joker: Warum ist Bob Ezrin Ihrer Meinung nach der beste Produzent, mit dem Deep Purple je zusammengearbeitet haben?

Gillan: Bob ist nicht in der Band, und damit ist er für uns die Nummer eins. Wir respektieren ihn alle. Er ist in einem gewissen Alter und hat eine gewisse Erfahrung. Bob ist ein Maestro hinsichtlich vieler Fähigkeiten, die von einem Produzenten verlangt werden, technisch, musikalisch und sozial. Er ist nicht aufdringlich und kommt immer erst dann dazu, wenn wir die Songs so gut wie geschrieben haben und bereits an den Arrangements arbeiten. Da es bei Deep Purple keinen Boss gibt, verbringen wir viel Zeit mit den Arrangements: Lasst uns hier einen Abschnitt ausprobieren, eine Tonart wechseln oder in den Halbtakt gehen. Da wir niemanden in der Band verärgern wollen, probieren wir immer alles aus.

Kultur Joker: Mit welchem Effekt?

Gillan: Bei den ersten drei Alben, die wir mit Bob gemacht haben, hat er uns wahrscheinlich drei Monate im Studio oder in der Schreibwerkstatt erspart. In dieser Hinsicht ist er also sehr wertvoll. Außerdem hat er einen großartigen Sinn für Humor. Er sagt, was er denkt, und das respektiere ich. Roger begann in den Sechzigern mit dem Songschreiben und inspirierte mich. Wir haben tagelang geschrieben. Unser Lied „Apanesa“ zum Beispiel hatte 17 lange und langweilige Strophen. Es war eine Schufterei. Ich sagte zu Roger: „Ich dachte, es gefällt dir“, und er meinte: „Und ich dachte dasselbe von dir!“ Also haben wir beschlossen, dass das Ganze Unsinn ist und wir diese Idee nicht weiterverfolgen sollten. Und heute haben wir Bob, der für uns sehr wertvoll geworden ist.

Kultur Joker: Haben Sie das Album augenzwinkernd „Turning To Crime“ (kriminell werden) genannt, weil das Covern lange Zeit von der „Rockpolizei“ und den Puristen als uncool angesehen wurde?

Gillan: Ich würde nicht sagen, dass das Covern früher als uncool galt. Eine Sache, die wir in den ersten Tagen gelernt haben, ist, Moden um jeden Preis zu vermeiden. Bloß keinem Trend folgen! Wenn du heute hip bist, bist du morgen out. Bleib also dir selbst treu und tue, was sich natürlich anfühlt. Du wirst dabei nicht immer mit dem Massengeschmack übereinstimmen, aber du musst tiefer in deine musikalischen Werte und Freundschaften eindringen.

Glover: Was in den 1970ern uncool war, waren Live-Alben. Sie galten als ein Billig-Ding, das man machte, wenn man nichts anderes zu bieten hatte. Wir hatten damals eigentlich besseres zu tun als ein Live-Album wie „Made In Japan“ zu machen. Wir wurden ja genug gebootlegt. Aber wir haben unsere Meinung geändert und mit „Made In Japan“ ein cooles Live-Album produziert. Aber wir suchen nie bewusst nach dem, was cool ist.

Kultur Joker: Sie haben jetzt auch Creams Klassiker „White Room“ aufgenommen. Hat diese legendäre Band Sie dazu gebracht, später selber härtere Rockmusik zu spielen?

Glover: In den frühen Sechzigern gab es die Beatles und die Rolling Stones. Als dann Cream und Hendrix kamen, wurde die Musik etwas lauter, schwerer und wilder. Ein natürlicher Prozess, von dem Led Zeppelin, Black Sabbath und Deep Purple ein Teil waren und keine Modeerscheinung. Wenn man einmal lauter geworden ist, ist es sehr schwierig, wieder leiser zu werden. Das Equipment wurde größer, lauter und aufregender. Ich erinnere mich an das Gefühl, als wir „Deep Purple in Rock“ aufnahmen. Die Musiker missbrauchten ihre Instrumente und wollten mehr aus ihnen herausholen, als für sie vorgesehen war. Auch die Studios wurden missbraucht, indem wir den Pegel in den roten Bereich trieben. Das war nicht gerade höflich.

Kultur Joker: Unter welchen Bedingungen haben Sie in den frühen Sechzigerjahren gearbeitet?

Gillan: Du sollst keine eigenen Songs schreiben, du sollst nur die B-Seiten machen – diese Art von Einschränkungen gab es für Bands in den frühen Sechzigern. Die Kinks, die Beatles und die Small Faces haben sie schließlich durchbrochen. All diese kleinen Dinge wurden nach und nach abgetragen wie die Berliner Mauer, bis wir irgendwann künstlerische Freiheit hatten. Auch die Plattenfirmen und das Musikbusiness wurden missbraucht und die Verlage ignoriert. Es war wie ein Vulkan, der jahrelang brodelte. Ein Song musste auf einmal 20 Minuten und 20 Sekunden lang sein und so und so klingen. Damals übernahmen die Künstler die Leitung. Das Pendel schwingt immer hin und her und ist jetzt wieder da, wo alles begann.

Kultur Joker: Wie sah Ihr erster Plattenvertrag aus?

Gillan: Bei unserem ersten Plattenvertrag mit Pye International hatten wir sechs Leute in der Band und unseren Manager zur Unterstützung. Die Tantiemen betrugen 0,75 Prozent der Nettoeinnahmen, was bedeutet, dass wir so gut wie kein Geld verdienten. Der Vertrag war nur eine Geste. Aber dann änderte sich die Situation, und die Autoren in den Gruppen wurden anerkannt, und die cleveren Manager begannen, sich zu engagieren. Diese Entwicklung wurde nicht künstlich von den Produzenten, dem Label, den Studios oder den Radiostationen ausgelöst, sondern von der kreativen Quelle innerhalb der Bands. Nach und nach verbesserten sich die Verträge, die Radiosender spielten eine andere Art von Musik und die Kreativen erhielten mehr Geld. Ein Schneeball kam ins Rollen und veränderte das Business für ein paar Jahrzehnte.

Kultur Joker: Welche Rolle spielten die Medien bei dieser Entwicklung?

Gillan: Die Piratensender begannen, Musik zu spielen, die die BBC und Radio Luxemburg nie anfassen würden. Wir hörten sie nachts heimlich unterm Kissen. Das Radio wurde sehr wichtig für diesen neuen Sound. Plötzlich hatten Bands wie wir eine internationale Verbindung und unsere Musik wurde in Japan und Amerika gespielt. Unsere Musik war während der Sowjetunion verboten.

Kultur Joker: Wurden Deep Purple in der Sowjetunion trotzdem gehört?

Gillan: Sie hatten dort einen Musikclub. Wollte man eine Deep Purple-Platte hören, musste man sie erst aus einem abgesperrten Schrank herausholen, um sie dann in der Klasse in Anwesenheit des Lehrers abzuspielen. Die Schüler durften die Musik analysieren und sich Notizen machen, aber es war ihnen verboten, sie zu genießen. Ich habe persönlich zwei Menschen in Ostdeutschland kennengelernt, die zwei Jahre lang im Gefängnis saßen, weil sie damals eine Deep Purple-Platte besaßen. Das war die Revolution, die im Untergrund stattgefunden hat, und wir waren ein Teil von ihr. Das ging so lange, bis die Rockmusik keinen Stachel mehr hatte und an ihre Stelle etwas Neues trat.

Glover: Die Fünfziger waren schwarz-weiß und die Sechziger wurden zu Technicolor.

Kultur Joker: Die Sixties waren das Jahrzehnt von Bob Dylan. Wie fühlt es sich an, sein „Watching The River Flow“ zu singen?

Glover: Ich bin ein großer Fan von ihm. Das Album „The Freewheelin’ Bob Dylan” hörte ich das erste Mal mit 18. Es hat mein Leben verändert. Die Sechziger waren eine Erschütterung. Dylan war nicht auf der Suche nach Ruhm und Erfolg. Er schrieb einfach, worauf er Lust hatte, großartiges Zeug. Ich glaube nicht, dass er wirklich darauf vorbereitet war, so behandelt zu werden, wie er es dann wurde. Als er schließlich anfing, elektrische Gitarre zu spielen, fanden viele, man sollte ihm das verbieten.

Kultur Joker: Kulturkritiker behaupten, dass seit den Achtzigern in der Pop- und Rockmusik nichts Neues mehr entstehe. Wie sehen Sie das?

Gillan: Musiker denken eigentlich nicht so. Man hat seine Einflüsse und findet dann nach vielen Jahren des Übens und der Zusammenarbeit mit anderen seine eigene Stimme. Ich betrachte das nicht auf diese Weise.

Glover: Nichts ist original, alles kommt von etwas anderem. Was auch immer man sich ausdenkt, irgendjemand hat es schon einmal gemacht. Ich würde nicht sagen, dass die Entwicklung der Popmusik in den Achtzigerjahren aufgehört hat, das ist lächerlich und macht überhaupt keinen Sinn. Sie ist immer noch im Gange.

Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch!

Am 24. Juli ist Deep Purple auf dem STIMMEN-Festival in Lörrach zu sehen.

Bildquellen

  • Deep Purple: Foto: earMUSIC