Die Ausstellung „LEMA“ – Warum“ der chilenischen Künstlerin Lilian Moreno Sànchez verarbeitet den Terror der chilenischen Pinochet-Diktatur in der Katholischen Akademie Freiburg

„Eli, eli, lema sabachtani“ – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Auf diese letzten Worte von Jesus Christus am Kreuz mit der verzweifelten Frage „lema“ (warum) bezieht sich die chilenische Malerin Lilian Moreno Sànchez im Titel ihres 14-teiligen großformatigen Bilderzyklus, der im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung in der Katholischen Akademie in Freiburg steht. Auch die Zahl 14 gemahnt an einen christlichen Hintergrund der Künstlerin, besteht doch der „Kreuzweg“ – eine Wortgottesdienstform der katholischen Kirche – aus 14 Stationen, die das Leiden Christi nachvollzieht und vor allem in der Fastenzeit abgehalten wird. Damit ist aber auch schon Schluss mit den direkten Verbindungslinien.
Denn nicht das Leiden Christi wird in dem Zyklus thematisiert, sondern ein Überfall von Schergen des Generals Pinochet in dem chilenischen Ort Paine, kurz nach dessen blutigem Militärputsch vom 11. September 1973. Von Pinochets Söldnern wurden 23 Männer aus Paine am 16. Oktober 1973 verhaftetet und verschleppt, von denen keiner je lebend zurückkehrte und über deren weiteres Schicksal den Angehörigen bis heute so gut wie nichts bekannt wurde.
Lilian Moreno Sànchez konnte in Paine mit den hinterbliebenen Frauen über ihr Leid und ihre Trauer sprechen. Sie hat diese Frauen gebeten, ihr Bett- und Tischtücher zu überlassen, die sie in ihrer gemeinsamen Zeit mit ihren Männern in Benutzung hatten. Diese bunten Tücher bildeten einen Teil des Malgrunds für die 14 Bilder. Sie wurden mit Teilen von benutzten Kliniklaken zusammengenäht und stehen schon per se ohne jede künstlerische Bearbeitung in einem dialektischen Widerspruchsverhältnis zwischen Freud und Leid. Ergänzt wird der Malgrundmix durch vertikale spitzenartige Stoffstreifen.
Alle 14 Bilder weisen die gleichen Strukturmerkmale auf. Dominant wirkt mehr oder weniger zentriert ein freigestelltes, auf den Stoff gedrucktes Röntgenbild eines Brustkorbskeletts, welches unterschiedlich künstlerisch bearbeitet wurde. Ebenfalls in vertikalen Streifen aufgedruckt und bearbeitet finden sich unterschiedliche Ausschnitte aus einer Ballett-Choreografie. Auf jedem Bild ist der Vorname einer der betroffenen Frauen deutlich zu lesen und ihnen damit ein Denkmal gesetzt. Im Gegensatz und quer zu den vorherrschenden Vertikalfluchten stehen in kleinen Goldlettern gestickte horizontale Schriftzüge in chilenischem Spanisch. Sie sind aus einigem Abstand kaum zu entziffern. Sie sind auf jedes einzelne Bild gemünzt und stammen von der gefeierten chilenischen Schriftstellerin Diamiela Eltit. Beispiele in deutscher Übersetzung: „Ich muss überleben“ oder „Ich schwanke zwischen Angst und Wut.“ Die Bescheidenheit des Letterings korrespondiert mit der durchweg zurückgenommen Farbgebung und dezenten Bearbeitung mit Kreide, Pastell, Kohle, Fäden und Blattgold. Jedes der Bilder ist in einer anderen Hauptfarbe gehalten.
Die genannten Bildelemente und deren Kombination legen spontan relativ klare Interpretationen nahe, aber es empfiehlt­ sich, genau hinzusehen und die Bilder nicht nur aus der Distanz zu betrachten. Hierbei können sich leicht Überraschungen ergeben.
Der Bilderzyklus LEMA wird ergänzt durch Einzelzeichnungen und zeichnerische Entwürfe der Künstlerin für Hungertücher in Triptychon-Form, von denen ein großformatiges Original singulär in der Kapelle der Akademie hängt. Hungertücher sind großformatige Altartücher, die in der Fastenzeit in katholischen Kirchen als Zeichen der Trauer vor das Kruzifix gehängt werden.
Insgesamt eine sehr bewegende und bereichernde Ausstellung, die nicht nur durch ihre künstlerische Qualität besticht, sondern auch die schrecklichen Erlebnisse gerade für die armen Schichten des chilenischen Volkes unter der faschistischen Pinochet-Diktatur vor der Vergessenheit bewahrt. Schade ist nur, dass die gesamte bei der Vernissage am 19. Januar höchst kenntnisreich und einfühlsam von der Theologin Elke Pahud de Mortanges dargestellte und hier benannte Entstehungsgeschichte nicht adäquat für alle AusstellungsbesucherInnen aufbereitet zur Verfügung steht. Dies würde den Blick auf die Bilder deutlich schärfen.

„LEMA – Warum?“. Katholische Akademie Freiburg, Wintererstraße 1. Mo-Fr 8.30 -18.45 Uhr. Bis 14.04.2024

Bildquellen

  • „Un hombre incompetente, sanguinario. (Ein unfähiger, blutrünstiger Mann)“ aus dem 14-teiligen Bilderzyklus der Künstlerin: © Lilian Moreno Sànchez