Das Kunstmuseum Basel beleuchtet mit der Schau „Zerrissene Moderne“ die schwierige Seite der eigenen Sammlungsgeschichte

„Lissy“, Elfriede Lohse-Wächtler, 1931 Foto: Privatsammlung, Städel Museum Frankfurt

Die Entscheidung war nicht unumstritten. Doch sie fiel. Joseph Gantner, Mitglied der Basler Kunstkommission, nannte das Ganze eine „masslose Schweinerei“, wie es jetzt in der Ausstellung „Zerrissene Moderne“ nachzulesen ist. Der Kunsthistoriker und Dozent war 1933 aus Frankfurt in die Schweiz zurückgekehrt, nachdem sich die Nationalsozialisten zunehmend in die Belange seiner Arbeitsstätte, der Frankfurter Kunstakademie, eingemischt hatten. Worüber die Kunstkommission 1939 derart temperamentvoll diskutierte, war der Ankauf mehrere Kunstwerke aus der Beschlagnahme „Entartete Kunst“. Es ging einerseits um einen Sonderkredit der Basler Regierung über 50.000 Franken, andererseits um die grundsätzliche Ausrichtung des Kunstmuseum Basel, um eine Abwägung zwischen einer als „norddeutsch“ wahrgenommenen und der französischen Kunst. Und ein bisschen auch um Moral. Paul Westheim, renommierter Kunstkritiker, Autor und Jude, zeigte noch einen anderen Weg auf: die Museen hätten auch bei den Künstlern und Galeristen im Exil Werke kaufen können und so diese und nicht etwa die Rüstungsindustrie der Nationalsozialisten unterstützen können. Denn für manche ging es um Bilder, für andere um Leben.
Georg Schmidt, 1939 frisch auf dem Direktorenposten des Kunstmuseums Basel, war von einem robusten Pragmatismus geleitet. Schon sein Vorgänger Otto Fischer war an Ankäufen von 1937 für „entartet“ erklärten Werken des deutschen Expressionismus interessiert. Schmidt hatte viele weiße Wände im Neubau des Kunstmuseums Basel und ihm bot sich mit der Versteigerung „Moderne Meister aus deutschen Museen“ bei der Luzerner Galerie Fischer eine wohl historische Gelegenheit. Hätte er sich anders entschieden, wäre das Kunstmuseum Basel heute ein anderes. Seitdem gehören Franz Marcs „Tierschicksale“ ebenso zur Sammlung wie Paul Klees „Villa R“, Marc Chagalls „Die Prise. Rabbiner“ oder Otto Dix‘ „Bildnis der Eltern“. Im Kunstmuseum Basel machte man noch mehr – wie die Ausstellung „Zerrissene Moderne“ zeigt. Man ließ sich aus dem Depot in Berlin-Schönhausen Werke zur Ansicht nach Basel liefern. Zwei derjenigen, die nach Deutschland zurückgesandt wurden, sind verschollen.
Doch seit dem Debakel um die Sammlung Bührle in Zürich, ist die Gewissheit, dass die Bilder durch den Basler Ankauf gerettet wurden, in der Schweiz ziemlich getrübt. Am Kunstmuseum Basel hat man dieses düstere Kapitel der eigenen Sammlungsgeschichte mit größter Sorgfalt aufgearbeitet. Neben den Werken, deren Provenienz lückenlos belegt wird, sind viele Dokumente zu sehen, unter anderem die sogenannte Harry-Fischer-Liste, in der auf 482 Seiten 16.558 aus deutschen Museen beschlagnahmte Werke aufgeführt werden, aber auch den Luzerner Auktionskatalog mit Bemerkungen von Georg Schmidt. Der Kunstmuseumsdirektor war gut vorbereitet, noch vor der Auktion war er nach Berlin gereist, um zu schauen, welche Arbeiten für einen Ankauf in Frage kamen. Schmidt korrespondierte im April 1939 mit zwei der vier Kunsthändler, die vom Propagandaministerium beauftragt waren: Karl Buchholz und Hildebrand Gurlitt. Über Gurlitt kam etwa der Kauf von Marcs „Tierschicksale“ zustande. Die Schau zeigt aber auch, welche Verbreitung der Expressionismus und die Moderne in europäischen und amerikanischen Museen durch den Verkauf „verwertbarer“ Kunst durch die Nazis fanden. Und dass in der Nachkriegszeit Künstlerinnen und Künstler wie Conrad Felixmüller, Jeanne Mammen und Jankel Adler erst langsam rezipiert wurden. Die Klassifikation der Nationalsozialisten in „verwertbare“ und „nicht verwertbare“ Kunst hatte einen langen Effekt.
Tatsächlich gibt die Schau „Zerrissene Moderne“ einen Einblick in viele Grauzonen. Eine gehört zu Ernst Barlachs Bronzeskulptur „Schwebender Engel“ von 1927, die 1937 aussortiert und 1941 eingeschmolzen wurde. Nicht nur schwor Barlach Hitler 1934 im „Aufruf der Kulturschaffenden“ Treue, sondern der Freund, der 1939 heimlich einen Abguss vom Gipsmodell nahm, war Bernhard A. Böhmer, einer der Kunsthändler, die am Geschäft der Nazis mit der Kunst beteiligt war. Die Werke sind in der Ausstellung immer auch Objekte der Geschichte.

Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe „entarteter“ Kunst. Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben 16, Basel. Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr. Bis 19. Februar 2023.

Bildquellen

  • „Lissy“, Elfriede Lohse-Wächtler, 1931: Foto: Privatsammlung, Städel Museum Frankfurt
  • Pablo Picasso, Die Familie Soler, 1903: © Succession Picasso / ProLitteris, Zürich