Das Freiburg Festival und stellt hybride Formen in den Mittelpunkt

Das Internationale Tanz-und Theaterfestival nach seiner Umbenennung und Neuausrichtung

Headbanging war nicht unbedingt das, was von diesen eher zierlichen Asiatinnen erwartet werden konnte. Doch nun stehen sie inmitten der Zuschauerreihen, und werfen ihre langen schwarzen Haare. Und das ausgerechnet zu Rammstein.

Auf der Projektionsfläche im Großen Saal des Freiburger E-Werks ist hinter den fünf aufgestellten Mikros eine Projektion zu sehen, die im Comicstil die ethnische Vielfalt Chinas symbolisiert. Ganz vorne ist Mao zu erkennen, als leiteten sich die verschiedenen Völker unmittelbar von ihm ab. „How was our Opening? Was it cool?“, fragen die jungen Tänzerinnen, warten nicht lange die Antwort ab, sondern entern die Bühne, auf der hinten eine Reihe von folkloristischen Kostümen auf Puppen stehen.

„How close is far“, die Frage nach dem Fremden und dem Vertrauten, das Motto des diesjährigen Festivals, das neu „Festival Freiburg“ heißt, stellte sich bei Yang Zhens Performance „Minorities“ mehr als einmal. Minorities meint die 55 ethnischen Minderheiten Chinas, von denen fünf durch Lou Hio Mei, Ma Xiao Lin, Zhuo Lin sowie Gan Luyangzi und Aliya Kerimujiang repräsentiert werden.

Yang Zhens Performance ist eine Art Nummernrevue, in der jede der Frauen einmal zu Wort kommt und ihre eigene Geschichte erzählt. Die Erfahrungen gleichen sich, eingeblendete Videos geben einen Eindruck von den offiziellen Bemühungen das Kulturgut der verschiedenen Volkstänze, zu bewahren und zu vermitteln. Nur eine der Tänzerin weigert sich, das traditionelle Gewand überzustreifen, sie wird mit roten Kreuzen aus Klebeband über dem Busen über die Bühne rasen, nur mühevoll von den anderen gebändigt und diszipliniert. Es fällt schwer, zu beurteilen, was an diesem Abend subversiv ist, was illustrativ, was offizielle Sichtweisen transportiert.

Die Ferne bleibt bei „Minorities“ wirklich fern und eine Verunsicherung und Ratlosigkeit ereilt einen, was die eigene Wahrnehmung angeht. Man muss sich das nicht als produktives Missverständnis vorstellen. Beim anschließenden Publikumsgespräch erzählte der Choreograf, dass seine Performance nicht in China aufgeführt werden könne. Warum? Wegen der nackten Brüste.

Als vor nun mehr 32 Jahren in Tschernobyl der SuperGAU passierte, wurden die umliegenden Dörfer umgesiedelt. Nadia und Pétro Opanassovitch Lubenoc weigern sich, sie blieben, mit Hund und Katze, Kuh und Pferd und nährten sich redlich von seiner Hände Arbeit. „Hauptsache man ist gesund“, werden sie später ihre Situation kommentierten. Mittlerweile sind die beiden alt geworden, das Laufen fällt ihnen sichtlich schwer und auch die Isolation. Er würde gerne in die Neubausiedlung ziehen, doch seine Frau wehrt sich.

Das belgische Künstlerlabel „Berlin“ zeigt mit „Zvizdal“ eine Annäherung an das Leben der beiden gut Achtzigjährigen, die in einer ukrainischen Behörde beginnt. Am Anfang hört man nur die Stimmen, es klingt wie ein Kafkaesker Behördengang. Niemand mag eine Passiererlaubnis für die Sperrzone ausstellen, hier zu leben ist nicht erlaubt. Dann kommen die ersten Bilder, schwarzweiß, später werden sie farbig. Über fünf Jahre werden Bart Baele, Yves Degryse und Cathy Blisson die beiden immer wieder besuchen.

Die Zuschauer sitzen in zwei gegenüberliegenden Blöcken, die Projektionsfläche zwischen ihnen. Die Bilder zeigen die zugewachsene Straße nach Zvizdal, die zu einem Hohlweg zu werden scheint, das verfallende Dorf und eine geradezu existentielle Armut, die einer Zeitreise in die Vergangenheit gleicht. Mit dem Sterben des Viehs, besser: dem Verhungern beginnt das der beiden Alten.

Berlin projiziert in die Filmsequenzen Modelle des Hofs zu unterschiedlichen Jahreszeiten, mal verschachteln sie diese ineinander. Das ist nicht eigentlich nötig und unterbricht den langsamen Gang des Dokumentarfilms, der durch die wiederholten Besuche bei Nadia und Pétro in Zvizdal strukturiert ist. Es ist mitunter schwer zu ertragen, mit welcher Hartnäckigkeit sie an ihrem vertrauten Leben festhalten, das als einziges Ziel das Warten auf den Tod zu kennen scheint. Einmal im Jahr, am Tag des Sieges, kehren die ehemaligen Bewohner zurück, um die Toten zu ehren. Ein Auto reiht sich dann an das andere, es ist eine merkwürdige Prozession, die auf beiden Seiten von Scham geprägt ist.

Doch die Ungeduld, die man mit dem Paar hat, sucht sich das falsche Ziel. Denn müsste man sich nicht eher an jenen reiben, deren Selbstüberschätzung die Katastrophe verursacht hat, dessen Opfer die Verbleibenden und das ganze Dorf Zvizdal geworden ist? Und so ist „Zvizdal“ eine traurige Studie über den Verlust von Wurzeln.

Annette Hoffmann