Das Festival TANZ Bremen mit drei Schwerpunkten und höchst unterschiedlichen Leistungen

Das in der Hansestadt Bremen Corona-bedingt mehrfach verschobene und im Mai dieses Jahres endlich durchgeführte Festival für Zeitgenössischen Tanz hatte drei Schwerpunkte, die zusammen einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen des Tanzes geben sollten. Die im ersten Fokus gezeigten Produktionen aus Kanada beeindruckten durch Intensität, Leichtigkeit und eine unbedingte Hingabe der Tänzer:innen an die Ideen ihrer Choreograf:innen. Die Rubberband aus Montréal präsentierte in „Ever so slightly“ eine Hybridform aus Rockkonzert und Tanzperformance. Dem Choreografen Victor Quijada gelingt durch die Einbindung urbaner, bodennaher Tanztechniken in ein szenisches Konzept ein berührender Tanzabend: „Vraiment doucement“ – wirklich sanft kommt dieser Hip Hop daher, zeigt sich spielerisch und leicht. Doch dahinter steckt harte Arbeit und tägliches Training, das aus den drei Elementen Hip Hop, Ballett und Theaterspiel besteht. Alles fließt und ist leicht – trotz der verstörenden Thematik einer instabilen Gesellschaft – und deshalb ist diese Choreografie gerade auch heute aktuell.
Bei Andrea Peña & Artists – ebenfalls aus Montréal – entstehen magische Momente: sie zeigt in drei großen Tableaus eine Tanzsprache, die in ihrem repetitiven Minimalismus eine ungeheuere Faszination ausübt: Tänzerkörper, die in ihren transparenten Kostümen gleichzeitig sinnlich wie verletzlich wirken, in einer Rave-Trance, sogartige Zugewandtheit zu verfremdeten Walzerklängen und eine Multi-Emotionalität voller getanzter Gefühlscluster. Dabei entstehen Bilder von ungeheuerer Dichte, ja fast apokalyptischen Ausmaßes. Diese und andere interessante Handschriften aus Übersee wurden in enger Kooperation mit dem Canada Council of the Arts teils zum ersten Mal in Europa präsentiert.
Ein weiterer Schwerpunkt war die künstlerische Perspektive von Frauen auf die aktuellen Themen. Einfach wunderbar fröhlich, poppig und dynamisch-federleicht: die Koreanerin Eun-Me Ahn mit ihren tanzenden „Dragons“ in der umjubelten Eröffnungsveranstaltung: ihre „Drachen“ – Tänzerinnen und Tänzer allesamt im Jahr des Drachen 2000 geboren – speien nicht Feuer, sondern Lebensfreude! Sie wirbeln in langen, schillernden Röcken über die Bühne, schlagen Purzelbäume, springen Salti oder gleiten schwebend wie freundlich lächelnde asiatische Engelwesen, denen die Welt nichts anhaben kann, durch den Raum. Eun-Me Ahn ist in der Lage die Tristesse der heutigen Zeit vergessen zu machen und inspiriert mit ihrer Lebensfreude und Tanzlust!
Andere Choreografinnen, wie Olivia Hyunsin Kim gehen eher intellektuell an ihre Arbeiten heran und riskieren mit ihrem Anti-Populismus, vom Publikum gänzlich missverstanden zu werden. Doch: wenn dieser Fokus auf die künstlerische Tätigkeit der Frauen eines gezeigt hat, dann ist es das: Frauen können sehr mutig und radikal sein, vor allem aber können sie ihre Mitstreiter:innen zu Höchstleistungen motivieren, zu einer physischen und emotionalen Verausgabung, die das Publikum restlos begeistert!
Und: tanzende Frauen sind eleganter, klarer und ausdrucksvoller als zeitgenössisch tanzende Männer, denn sie sind in den meisten Fällen besser trainiert als ihre männlichen Kollegen. Vielleicht sollte den heutigen zeitgenössischen Choreografen ins Bewusstsein gerückt werden, dass ein gewisses Maß an körperlicher Ästhetik auch freie Bewegungen hochwertiger erscheinen lässt.
Die im dritten Schwerpunkt – neben weiteren Arbeiten der Bremer Freien Szene – präsentierte Werkschau von Bremens Hauschoreograf Samir Akika und seinen Gästen zeigte einmal mehr, dass der Zeitgenössische Tanz zwar mit durchweg intellektuell hoch angesetzten Konzepten aufwartet, wie am Beispiel der Produktion „Futuralgia“ zu sehen war, es aber an der künstlerischen Übersetzung und Verständlichkeit für das Publikum doch oft fehlen lässt.
Insgesamt bot das Festival zusammen mit dem – auch in der Tanzsparte traditionsreichen – Bremer Theater eine deutliche Verschiebung in Richtung Urban Dance. Zwar ist die Nähe zur tanzenden Szene in der Stadt und zum Publikum – wie der mit Begeisterung aufgenommene Dance-Battle gezeigt hat – lobenswert, im Gesamtkontext darf aber doch wohl gefragt werden: ist das der Tanz der Zukunft?

Bildquellen

  • Fragile Weiblichkeit bei Andrea Peña & Artists in „6.58: Manifesto“: © Lian Benoit