Das Buch „Machtmaschinen“ trifft die heutigen Datenmonopole an kritischer Stelle und nennt Alternativen für eine datenoffenere Welt

Digitalisierung bedeutet Datenmacht. Und mit Macht kommt Verantwortung. Dass Konzerne wie Facebook, Google oder Amazon nun nicht unbedingt verantwortungsvoll verfahren, dürfte vielen klar sein. Aber was stattdessen? Und wo ansetzen? Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge zeigen in ihrem Buch Machtmaschinen. Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen eine klare Handlungsalternative auf: Den Monopolisten die Datenhoheit nehmen. Statt Datenhäufung Datenverteilung – zugunsten einer transparenten, demokratischen Gesellschaft. Ein neugieriger Blick in ein spannungsreiches Buch.
„Daten sind nicht nur der wichtigste Rohstoff unserer Zeit. Daten sind Macht. Jeder politisch denkende Mensch sollte sich mit der Frage beschäftigen, wie wir mit diesem Rohstoff umgehen.“ Im Interview mit der UNIversalis zeigen sich die beiden Autoren des Buchs Machtmaschinen in ihrem Anspruch deutlich. Notwendigerweise, denn obwohl sich die Digitalisierung in allen Lebensbereichen vollzieht und ihre Folgen alltäglich zeigt, wird sie von der Öffentlichkeit doch seltsam teilnahmslos dabei beobachtet. Sicher, wir alle kennen die Debatten um Datenschutz und empfinden eine intuitive Skepsis vor Konzernen wie Facebook und Google; ebenso intuitiv aber nutzen wir deren Services, bleiben zwischen Bequemlichkeit und Überforderung, wenn ein weiteres „Okay“ unter die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gesetzt werden muss oder eine Website nach unserer Zustimmung zur Verwendung von Cookies fragt. Die konsequente Auseinandersetzung damit, was Konzerne mit unseren Daten tun und zu welcher Macht sie damit kommen, überlassen wir lieber Leuten vom Fach.
Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge sind vom Fach. Ramge als Journalist und Autor für aktuelle Technologietrends, tätig für Zeitschriften wie brand eins oder The Economist, Mayer-Schönberger als Professor für Internetregulierung an der Oxford University, Mitglied des Deutschen Digitalrats und Autor. „In unserem Buch versuchen wir, das Beste aus Wissenschaft und Journalismus zusammenzuführen. Unser Anspruch ist es, die Entwicklungen durch datenreiche Plattformen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in großer Tiefe zu durchdringen, unsere Analyse durch klare Sprache und plastisches Erzählen aber auch für alle Leserinnen und Leser verständlich und spannend aufzubereiten.“

Märchen der Digitalisierung

Keine einfache Aufgabe, sind viele Prozesse in der digitalen Welt doch nicht leicht greifbar – oder werden gezielt verschleiert, darauf machen die Autoren schnell aufmerksam. Was Facebook, Google und Co. auszeichnet, sind weniger exklusive, moderne Technologien als exklusive, moderne Erzählungen. Im Mittelpunkt dabei: Das autonome, findige IT-Genie, das in Figuren wie Mark Zuckerberg, Steve Jobs oder der Big Bang Theory-Serienfigur Sheldon Gestalt findet. Die Datenmonopolist*innen aus Silicon Valley erzählen gerne von großen Figuren, die nach den Sternen greifen. „Im Narrativ der Superstarfirmen wimmelt es auf ihrem Campus nur so von kleinen Sheldons, die mit einsteinhafter Brillanz aus Daten Gold machen.“ Weitere Mythen zirkulieren. Den IT-Superfirmen könnten Unternehmen und Volkswirtschaften auf digitaler Ebene allein deshalb keine Konkurrenz machen, weil ihnen schlicht die Rechenleistung fehle. Die berüchtigten Algorithmen, die etwa Googles Dienste so allumfassend reagieren lassen, seien gutgehütete Geheimnisse, zu denen die schnöden Wirtschaftler*innen von gestern schlicht keinen Zugriff haben. Klingt schlüssig, ist aber alles falsch. Rechenkraft, Speicherkapazität, Datenanalysewerkzeuge, Algorithmen und auch Computergenies sind in Europa ebenso vorhanden wie im sonnigen Kalifornien. „Für den großen digitalen Sprung fehlen vor allem die Zugänge zum Rohstoff der digitalen Revolution, zu den Daten. […].“ Ein Wettbewerbsvorteil, der für den Erfolg der neuen Unternehmensriesen so ausschlaggebend ist wie er für alle anderen ungreifbar scheint. Die Konkurrenz in Europa bleibt „chancenlos und ratlos“.
Die Stärke von Machtmaschinen liegt in der Beharrlichkeit seiner Argumentation. Die Autoren fragen nicht nur nach den Gegebenheiten jener neuen Wettbewerbssituation, sondern gleichfalls nach derer öffentlicher Repräsentation. Die Genieerzählung der digitalen Innovator*innen ist gerade deshalb so wirkmächtig und scheinbar unangreifbar, weil sie sich auf etwas beruft, das moralisch unangreifbar scheint: Die Kreativität des Individuums. Entsprechend selbstbewusst und freimütig treten die Exponent*innen des digitalen Wandels bei Konferenzen auf, teilen ihre Erkenntnisse und Errungenschaften, lassen einige wesentliche Informationen allerdings aus.
Machtmaschinen funktioniert nicht wie der pseudotransparente Bestseller How Google Works mit seinen Wachstumsmärchen der Innovation. Das Buch bohrt tiefer, stellt Grundannahmen in Frage und löst sein Versprechen, sowohl tiefgehend als auch spannend zu sein, voll ein.

Eine Fingerspitze Innovation

Joseph Alois Schumpeter erhält in Machtmaschinen sein eigenes, wenig hoffnungsvolles Kapitel: „Schumpeters Albtraum“. Schumpeter, einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, sah Innovation und Kreativität als wesentliche Antriebsfaktoren der Wirtschaft. Für ihn gaben sie auch in schwierigen Zeiten Grund für Optimismus. Auch in Krisensituationen, etwa während der Weltwirtschaftskrise von 1924, die Schumpeter selbst das Vermögen kostete, blieb der Ökonom davon überzeugt, dass auf jede wirtschaftliche Diskontinuität neue Innovation und damit Wachstum folgt. Ein Albtraum des Visionärs blieb die Monopolstellung der Innovation. Würde sich die Innovationskraft auf nur wenige mächtige Unternehmen konzentrieren, würde diese dort naturgemäß eingehen. Schließlich haben die selbstbewusst Mächtigen nur wenig Anlass, risikoreiche, radikale Ideen in die Welt zu setzen.
Man ahnt es schon: Schumpeters Albtraum erhält in unserer Gegenwart seine Entsprechungen. Hat Europa vielleicht alle wesentlichen materiellen wie ideellen Ressourcen, so wandern diese schließlich doch ins sonnige Datenkalifornien ab, wo sie weit bessere Grundbedingungen vorfinden als im heimischen, überforderten Markt. Auch China weiß mit teils noch höheren Gagen aus den europäischen Staaten mit ihren eigentlich innovationsstarken Ausbildungsstätten zu locken. Bleiben junge Innovateur*innen hingegen bei ihrem Projekt und schaffen dezentral kreative Leistungen, wissen sich die „Großen“ mit der sogenannten „Kill Zone“ zu helfen. Gefährlich gewordene kleinere Unternehmen werden prompt und lukrativ eingekauft und damit gewinnbringend entschärft. Die Übernahme der Message-App WhatsApp durch Facebook stellt eins der bekanntesten Beispiele. Ein großer Konzern öffnet sich damit immer mehr Datenströmen. Und ein Datenstrom ist ein gewissermaßen endlos fließender Rohstoff.

Die Logik der Daten

In die Tiefe zu gehen, bedeutet für Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge auch, das Denken dem Gegenstand anzupassen. Im Denken älterer Wirtschaftszweige mag das Bild vom „Datenschatz“, den man nur zu heben braucht, schlüssig sein – nur verschleiert es den Tatbestand. Denn Daten sind weder ein Schatz noch das neue Öl, mit dem die Maschine angetrieben wird, die wiederum Gewinne generiert. Daten werden nicht schlicht konsumiert, sondern steigen in ihrem Wert noch während der Nutzung. Den neuen Großunternehmer*innen geht es nicht um den Verkauf von Daten, sondern um deren steten Besitz und die ständige Neuverarbeitung in wechselnden Kontexten. Darauf gründet das flexible Geschäftsmodell von Konzernen wie Apple, Amazon oder Spotify.
Die konstante Überwachung der eigenen User*innen schafft die Fähigkeit, flexibel auf Wechsel im Konsumverhalten zu reagieren. Die Daten fließen in einem Flussbett, das konstant angepasst wird. Aber damit der Fluss fließt, braucht es Wasser. Traditionelle Konzerne wie Toyota, Volkswagen oder Mercedes blieben im Trockenen. Während sie fleißig das eigene Automatikgetriebe weiter optimierten, begann Google mit der Vermessung der Straßen der Welt, um auf eine komplett neue Technik, das Autonome Fahren zu setzen. Und die basiert auf Daten, ein Rohstoff, der nie versiegt.
Aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet Machtmaschinen diesen Umstand. Dann stellt es eine klare Forderung, die beide Autoren im Interview bestätigen: „Wir fordern, dass ein Teil dieser Daten allen zugänglich gemacht wird, die den Fortschritt voranbringen können. Wenn wir mehr Daten mehr Innovator*innen zugänglich machen, werden wir alle gewinnen.“ Die Leistungen der Tech-Pionier*innen in Sachen Datengewinnung könnte so für alle Früchte tragen. Gerade auch für kleinere und mittelgroße Unternehmen, die sonst ohne Zugang zum Datenstrom eingehen oder zuvor von einem der Riesen weggekauft würden. Nicht zuletzt ergibt sich daraus auch ein Vorteil für Konsument*innen: Ist der Markt breiter aufgestellt, fallen auch die hohen Monopolpreise. „Das ist es, was soziale Marktwirtschaft ausmacht: die Menschen zu bemächtigen, und nicht wettbewerbsfeindliche Konzerne.“

Datenfluss und Datenschutz

Die Autoren besinnen sich auf ein wettbewerbsstarkes Europa und damit auch auf die Errungenschaften des Kontinents in Sachen Datenschutz. Aber auch hier bleibt ein kritischer, nachbohrender Blick. „Selbst leiser Widerspruch gegen die Dogmen der europäischen Datenschutzreligion führt dazu, sich in der Rolle eines Ketzers wiederzufinden.“ Tatsächlich ein empfindliches Thema, dem sich die Autoren stellen müssen, wollen sie für einen offeneren Zugang zu Daten werben. Statt von Beginn an in eine rechtfertigende Haltung zu gehen, wagen sie aber einen Angriff. Gerade angesichts der Covid-19-Krise blockierten bestimmte Datenschutzregulierungen produktive und gesundheitlich sichere Alternativen, etwa digitale Schulungs- oder Arbeitsmöglichkeiten. Die Einschränkung einer Kontaktverfolgungsapp aufgrund von Datenschutzgründen schränke deren grundsätzlichen Nutzen ein. Gleichzeitig, so die Autoren aber auch, beweise die Corona-Krise, wie erfolgreich eine länderübergreifende medizinische Zusammenarbeit funktionieren kann, wenn alle wichtigen Akteur*innen Zugriff auf die wesentlichen Daten erhalten.
„Zugangsrechte zu Daten neu zu regeln, ist rechtlich kein großes Problem. Die Europäische Union kann dies durch eine Erweiterung der Datenschutz-Grundverordnung leicht umsetzen.“ Im Interview betonen beide Autoren aber gleichzeitig: „Zu teilende Daten müssen dabei freilich von personenbezogenen Merkmalen befreit werden.“ Das hieße am Beispiel: „Amazon müsste offenlegen, welche Produkte gekauft werden, aber nicht, wie oft oder von wem. Weder Suchanfragen noch Produktnamen sind personenbezogen oder Geschäftsgeheimnisse, sondern es sind ‚reine‘ Sachdaten.“ Ein Rohstoff, der nur genutzt werden muss. Und ein Modell, das in Einklang mit dem Gesellschaftssystem steht, in dem wir leben. Die Offenheit der Daten spiegelt das Ideal einer Demokratie als Ort freier Informationsflüsse und zugänglicher Fakten. Nur so bleibt die freie, persönliche Willensbildung des einzelnen Menschen möglich. Gleiches gilt für die politische Entscheidungsfindung, die in diesem Szenario auf weit mehr Daten fußen und damit deutlich sachbezogener begründet werden kann. „Der Grundsatz von Open Data ist nicht außergewöhnlich und radikal, sondern ein konstitutives Element der Demokratie.“
Prototypen der neuen Welt des freien wie geschützten Datenzugangs können die Autoren ebenfalls nennen. Das internationale Forschungsinstitut CERN präsentiert seine innovativen Ergebnisse frei und offen zugänglich. Die World Values Survey stellt Daten zu den Wertevorstellungen einer Gesellschaft, wie sie seit vier Jahrzehnten erhoben werden, online für alle Interessierten zur Verfügung. Und nur Wikipedia ist wohl zu bekannt, um ausführlicher im Buch gewürdigt zu werden. Der Geist ist da und Open Data kennt viele Befürworter*innen. Dem Buch ist zu wünschen, dass es dem Diskurs nun neue Perspektiven schenkt. Tief und facettenreich genug haben beide Autoren schließlich dafür argumentiert.

Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge, „Machtmaschinen. Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen“, Murmann 2020.

Bildquellen

  • Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger: Foto: Peter van Heesen