Das 37. Freiburger Literaturgespräch beschwört vom 9. bis 12. November „Alle meine Geister“

„Alle meine Geister“ hat Uwe Timm seinen schmalen biografischen Roman genannt. Timm-Leser dürften vieles wiedererkennen: das Kürschner-Handwerk, die Solidarität unter Menschen und auch den Jazz. Das Kürschnerhandwerk, das der 1940 geborene Timm von seinem Vater erlernte, ist hier auch Metapher für das Erinnern selbst. Manche Nähte sind so gemacht, dass sie aufgetrennt und wieder geschlossen werden können. Ganz ähnlich gehen wir mit unseren Erinnerungen um. Zu den Geistern dieses Buches zählen die Alt-Nazis der 1950er Jahre, aber auch Autoren wie Camus, die Kollegen, Freunde und Zufallsbekanntschaften. Timm wird am 9. November die 37. Freiburger Literaturgespräche im Rathaus eröffnen, deren Motto der Titel seines Romans ist.
Der folgende Freitag und das Literaturhaus gehören mit Josephine Marks Bärbeiß-Comic erst einmal den Kindern. Bis dann die Lyrikerin und Übersetzerin Rike Scheffler mit einem Lesekonzert übernimmt. Ihr Gedichtband „Lava. Rituale“ greift die isländische Natur auf, in ihren Performances geht es ihr um ein „Lebendigmachen des Gedichts“. Liao Yiwus Roman „Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs“ ist hingegen eine ziemlich ungeschönte und drastische Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution. Liao Yiwu, der seit 2011 im Exil in Berlin lebt, schrieb den Roman in den 1990er Jahren während seiner Haftzeit in China. Der Autor wurde spätestens nach seinem Gedicht über das Tian’anmen-Massaker vom Staat konsequent drangsaliert. Die Seiten verließen als Kassiber das Gefängnis und fanden in Berlin wieder zusammen.
Das heimliche Motto der Neuerscheinungen am Samstag ist die Familie. Sieht man von Judith Zanders Lesung aus ihrem Gedichtband „im ländchen sommer im winter zur see“ ab. Die diesjährige Preisträgerin des Peter-Huchel-Preises verweist damit bereits auf die Matinee am Sonntag, die „40 Jahre Peter-Huchel-Preis“ feiert. Neben Raoul Schrott, Zander und Marcel Beyer wird auch Marion Poschmanns Lyrik zu hören sein. Doch am Samstag ist Poschmann mit ihrem aktuellen Roman „Chor der Erinnyen“ zu Gast, der vordergründig von drei Freundinnen erzählt, aber eben auch von der Selbstermächtigung, die in der Rache liegen kann. Auf unterschiedliche Weise thematisieren Annika Reich, Birgit Mattausch sowie Joanna Bator und Ralph Tharayil das, was uns zusammenhält, aber auch lähmt. Tharayils Roman, der Autor wuchs als Kind indischer Immigranten in der Schweiz auf, spielt mit dem Titel „Nimm die Alpen weg“ auf die Parole der Schweizer Jugendbewegung der 1980er Jahre „Freie Sicht aufs Mittelmeer“ an und die Enge des Landes. Tharayil hat für ihn eine lyrische Form gefunden, die sich sprachlich Zuschreibungen entzieht. Während Mattausch die Geschichten von russischen Spätaussiedlern in einem Hochhaus erzählt. Was erben wir von unseren Familien? Schmuckstücke und Traumata wie in Annika Reichs Roman „Männer sterben bei uns nicht“ oder „Bitternis“, so der Titel von Joanna Bators druckfrischer deutsch-polnischen Familiengeschichte? Das erzählt sich so schnell nicht aus.

Weitere Infos unter www.literaturhaus-freiburg.de

Bildquellen

  • Rike Scheffler: Bild: Gunnlöð Jóna