„Couples Modernes/Moderne Paare 1900 – 1950“ – Ausstellung im Centre Pompidou Metz

Zwischen verrückter Liebe und Erfindungsreichtum

Sie haben die Kunst des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt: Die kreativen Prozesse zwischen Künstlern, die als Liebespaar, Wegbegleiter oder auf andere Weise liiert waren. Eine interdisziplinäre Ausstellung im Centre Pompidou Metz widmet sich ihnen im Zeitraum von 1900 bis 1950, in dem nicht nur die Kunst neu definiert wurde, sondern auch Geschlechterbeziehungen und Lebensstile.

Das Centre Pompidou Metz im Nordosten Frankreichs.

Die Schau ist auf Künstlerinnen und Künstler fokussiert, die nicht etwa dem Maler-Muse-Modell entsprechen, sondern jeweils ein eigenständiges Werk und freies Selbstbewusstsein aufweisen, in denen aber eine kooperative Energie erscheint, die sich Liebe und Erotik sowie spielerischen Begegnungen zwischen Geschlechtern und Identitäten verdanken.

Rund 80 AkteurInnen stehen im Fokus der Ausstellung; der Parcours beginnt mit Paaren der Jahrhundertwende, darunter Emilie Flöge und Gustav Klimt, führt sodann über Allianzen wie denen von Gabriele Münter und Kandinsky, Marianne von Werefkin und Jawlensky, Sophie Taeuber und Hans Arp hin zu Robert und Sonia Delaunay; letztere z.B. erforschten gemeinsam simultane Farbkontraste. Es folgen, um weitere bekannte Namen zu nennen, Georgia O’Keefe und Alfred Stieglitz, Lee Miller und Man Ray, Aleksandr Rodtschenko und Warwara Stepanowa – all diese Künstlerinnen und Künstler führten einen intensiven Dialog, miteinander und mit ihrem Umfeld.

Sie kamen zusammen, um Utopien und Hoffnungen zu teilen, zogen sich oft in Naturregionen zurück, um Kriegen und anderem gesellschaftlichen Druck zu entkommen, z.B. Emmy Hennings und Hugo Ball, die neue Sprachgebilde erfanden, Hannah Höch und Raoul Haussmann oder Lucia und Laszlo Moholy-Nagy, die mit Bildformen und Wahrnehmungen experimentierten.

Des Weiteren dürfen Frida Kahlo und Diego Rivera nicht fehlen sowie Leonora Carrington und Max Ernst, die an einem mythologischen Universum laborierten. Die Ausstellung „Couples modernes“, die nach Metz im europäischen Kunstzentrum Barbican Centre in London gezeigt wird, macht den Besucher zudem mit englischen Künstlerpaaren bekannt, mit Barbara Hepworth und Ben Nicholson, Romaine Brooks und Natalie Clifford Barney, Claude Cahun und Marcel Moore, aber auch mit Akteuren der Bloomsbury Group, die gleichzeitig Kunst, Liebe und Freundschaft befreien und erobern wollten. Die kleinste gesellschaftliche Einheit ist offensichtlich nicht ein Mensch, sondern mindestens zwei.

Sie waren offizielle oder heimliche Paare, wie z.B. Marcel Duchamp und Maria Martins, entweder exklusiv zu zweit verbunden oder auf libertäre Weise und mitunter im Dreiecksverhältnis. In jedem Fall erweisen sich ihre Beziehungen als sinnliche und intellektuelle Passion sowie offener Raum, in dem künstlerische Prozesse intensiviert und Grenzen zwischen den Disziplinen sowie hin zu Traum und Unbewusstem überschritten wurden. Ob sie Maler, Bildhauer, Fotografen, Architekten, Designer, Poeten und Schriftsteller waren, auch Musiker, Tänzer und Mäzene, sie schufen Terrains, um sich auszutauschen und Lebensstile zu gestalten, was sich an flexiblen Wohnhäusern, Ateliers und Ladenlokalen zeigt, an Möbeln und Alltagsgegenständen – diesbezüglich widmet die Ausstellung Ray & Charles Eames eine raumgreifende Sektion.

Klar ist, dass die Bedingungen, unter denen Kunst produziert wurde und wird, für Männer und Frauen jeweils unterschiedliche waren und sind; und möge das Wort Künstlerpaare mitunter das Bild eines glücklichen Duos hervorrufen, das sich nach lustvollen Nächten gegenseitig inspiriert – die Wirklichkeit sah bekanntlich anders aus. Eben dazu bietet die Ausstellung „Couples modernes“ anschauliches Material, indem sie vom Konzept her das künstlerische Miteinander unter verschiedensten Aspekten betrachtet: Wie waren die Beteiligten aufeinander bezogen, fand eher Austausch, Beeinflussung oder Rivalität statt? Welche Verhaltensmuster waren für die Verbindung von Leben und Werk ausschlaggebend? So zeugen etwa die gemeinsam von Sophie und Hans Arp gefertigten Bilder, Teppiche und Räume von gegenseitig harmonischem Einfluss; Beispiel für ein ausgeglichenes Künstlerpaar scheinen auch Anni und Josef Albers zu sein – dennoch stehen sie im historischen Kontext der Geschlechterstereotype.

Neben den 40 Paaren, die aus führlich untersucht werden, streift die Ausstellung bislang wenig beachtete MitarbeiterInnen bekannter Künstler, z.B. Gabrielle Buffet, Frau von Francis Picabia. Der Katalog zur Ausstellung, in dem ausgezeichnete Texte verschiedene Facetten der Thematik analysieren, berücksichtigt über zweihundert Namen (Autour de couples modernes. Sous la direction d’Emma Lavigne. 432 Seiten) und stellt insofern ein neues Lexikon dar.

Wer den Ausflug nach Metz unternimmt, der kann sich hier ergänzend die Schau „Das Abenteuer Farbe“ zu Gemüte führen; denn die Auseinandersetzung mit der Wirkung von Material und Farbe gehört zu den Sujets, die Künstler-Paare intensiv entwickelt haben, wobei sich virtuose Handwerksfähigkeiten und die Suche nach modernen künstlerischen Formen auf jeweils singuläre Weise verbinden.

Couples Modernes / Moderne Paare 1900 – 1950. Centre Pompidou-Metz. 1, parvis des Droits-de-l’Homme. Di geschl., Mo-So 10-18 Uhr. Bis 20. August 2018.

Cornelia Frenkel