Bestsellerautor Rutger Bregman verortet die menschliche Natur als „Im Grunde gut“

Seit vielen Monaten lässt sich das knapp 500 Seiten starke Buch „Im Grunde gut“ des niederländischen Historikers Rutger Bregman auf allen einschlägigen Bestsellerlisten finden. Darin geht es um nichts weniger als unsere Vorstellungen vom Wesen des Menschen: Ist er von Grund auf gut oder böse, solidarisch oder asozial, altruistisch oder nur auf Eigennutz gepolt. Die jeweiligen Antworten auf diese Grundsatzfragen bestimmen seit Jahrtausenden religiöse Glaubensfundamente oder den philosophischen Diskurs, formen Ideologien und daraus resultierend politische, ökonomische und soziale Systeme und begründen damit die jeweils herrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse.

Rutger Bregman: „Im Grunde gut“, Rowohlt Verlag 2019

Bregman lässt von Anfang an keinen Zweifel: „Dies ist ein Buch über eine radikale Idee“, schreibt er und einige Seiten weiter: „Es ist Zeit für ein neues Menschenbild. Es ist Zeit für einen neuen Realismus.“ Er zielt damit frontal auf die eingefahrenen Lehrsätze, wonach der Mensch von Natur aus egoistisch sei, gleich in welcher Ausprägung formuliert, ob in der Bibel oder von Augustinus, Machiavelli, Hobbes, Luther, Calvin oder den Verfechtern eines selbstsüchtigen „Homo oeconomicus“ als menschlichem Prototyp. Denn das davon geprägte negative Menschenbild habe sich fälschlicherweise im allgemeinen Bewusstsein als „realistisch“ durchgesetzt, während Ansätze, die das Gute im Menschen betonen, als wirklichkeitsfremdes Wunschdenken verspottet und gerade in unseren Tagen zynisch als Gutmenschentum denunziert werden. Einen gewichtigen Grundfür diesen falschen Blickwinkel sieht er in der erdrückenden Dominanz negativer Nachrichten in der Darstellungunserer Lebenswirklichkeit, die dadurch nicht den Tatsachen entspreche. Diese Verzerrung wirke als „Nocebo-Effekt“, der im Gegensatz zu einem positiven Placebo-Effekt, in diesem Zusammenhang eine negative Weltsicht hervorbringe. „“Was wir glauben, bestimmt, was wir werden. Was wir suchen, bestimmt, was wir finden. Was wir vorhersagen, bestimmt, was tatsächlich eintritt.“
Diese Thesen müssen freilich verifiziert werden. Und tatsächlich: Bregmann liefert eine breite Palette von Beispielen aus Literatur, Psychologie, Ökonomie, Biologie und Historie. Da wird zum Beispiel der tragischen, rein fiktionalen Geschichte vom „Herr der Fliegen“ von William Goldingdie wahre Begebenheit von sechs Jugendlichen, die es unter abenteuerlichen Umständen auf die unbewohnte Insel Ata südlich von Tonga verschlagen hat, gegenübergestellt.Im Gegensatz zur Romanhandlung des literarischen Welterfolgs nutzten die realen Menschen ihre jeweiligen Stärken nicht zu ihrem persönlichen Vorteil und Nachteil des Schwächeren, sondern organisierten solidarisch und diszipliniert ihr gemeinsames Überleben bis zu ihrer Rettung nach 12 Monaten. Oder: Die weltweit Aufsehen erregenden psychologischen Experimente von Philip Zimbardoim Stanford-Prison und von Stanley Milgram an der Yale Universität, bei denen Probanden für falsche Antworten von anderen als Bestrafung immer stärkere Stromstöße zugefügt werden sollten, wurden als weitgehend manipuliert oder gar gefälscht entlarvt. Weitere Beispiele zeigen unisono: Menschen sind durchaus verführbar, handeln aber vor allem nur dann grausam oder asozial gegenüber ihren Nächsten, wenn ihnen zuvor von Autoritätsinstanzen suggeriert wurde, dies diene einem höheren und somit guten Zweck. Dieses Phänomen kann allerdings zu den schrecklichsten Taten Einzelner führen wie bei Adolf Eichmann, der im Bewusstsein, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, die Vernichtungstransporte in die Konzentrationslager des Hitlerregimes organisierte.
Rutger BregmansBuch erhebt trotz eines vorbildlichen und ausführlichen Quellenregisters nicht den Anspruch wissenschaftlicher Akribie. Ihm geht es um einen Anstoß für einen Bewusstseinswandel hin zu einem positiven Menschenbild. Er resümiert zu Recht: „Letztlich gibt es nur wenige Vorstellungen, die die Welt so sehr beeinflussen wie unser Menschenbild. Was wir voneinander annehmen, ist das, was wir hervorrufen. Wenn wir über die größten Herausforderungen unserer Zeit sprechen – von der globalen Erderwärmung bis zum schwindenden gegenseitigen Vertrauen – glaube ich, dass deren erfolgreiche Bewältigung mit der Entwicklung eines anderen Menschenbildes beginnt.“ In einem Epilog schlägt er dafür zehn durchaus des Überdenkens werte Lebensregeln vor. Vielleicht ist sein Buch nicht ganz „Eine neue Geschichte der Menschheit“, wie es der Subtitle des Rowohlt-Verlags etwas großspurigankündigt, aber auf jeden Fall lesenswert und Ansporn für alle, die einen aktiven Part zur solidarischen Gestaltung unseres Zusammenlebens beitragen wollen.

Rutger Bregman: „Im Grunde gut“, Rowohlt Verlag 2019, Hardcover 24 Euro im Buchhandel

Bildquellen

  • Rutger Bregman: ©Stephan Vanfleteren