Argumente in der Wahlzeit: Drei Überlegungen vor dem 23. Februar
Zum kulturpolitischen Diskurs gehören auch vorsichtige Analysen in als krisenhaft empfundenen Gegenwarten. Wir greifen – in aller Kürze – drei Themen auf: den Umgang mit Unternehmen eines US-Oligarchen durch die bundesdeutsche Bevölkerung (und Politik); die Frage der sozialen Sicherungssysteme; den vermeintlichen Zusammenhang von Migration und Jugendkriminalität.
Mister E. M.
Es ist an sich sehr erfreulich, von innovativen Entwicklungen der Forschung in Freiburg und Umgebung zu hören. So vermeldete jüngst stolz das Start-Up-Unternehmen „Constellr“, einen eigenen Satelliten ins All gebracht zu haben. Er soll von seiner Umlaufbahn exakte Wärmedaten der Erdoberfläche liefern. Das Besondere liegt wohl in der Messdatendichte und deren Transfer in Echtzeit. Die Erkenntnisgewinne sollen auch „intelligentere Entscheidungen für Klimaschutz, nachhaltige Ressourcennutzung und globale Ernährungssicherheit“ befördern.
Der Haken an der Sache ist dieser: Der Constellr-Satellit wurde mit einer Falcon-9-Rakete des kommerziellen Raumfahrtunternehmens SpaceX im Besitz des „Mister E. M.“ in den Orbit geschossen – das ist der Mann, der künftig den Mars besiedeln will. Die Freiburger Pioniere, ausgegründet aus dem ortsansässigen Fraunhofer Institut für Kurzzeitdynamik, hatten vielleicht keine Alternative für ihr Projekt. Aber die Überlegung, mit wem sie da kooperieren, darf möglich sein.
Eine analoge Diskussion entsteht mit den Automobilen des „Mister E. M.“: Länger schon gibt es Einwände und Proteste. Warum etwa muss unter der Überschrift des Umweltbewusstseins und der Energieeinsparung unbedingt ein Luxus-Auto der E-Klasse weltweit vertrieben und beworben werden? Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Und berührt noch gar nicht die (immer noch offene) Frage, ob Elektro-Autos überhaupt der Weisheit letzter Schluss sind: Die aufwendige Produktion frisst einen gegenüber dem Verbrenner deutlich höheren CO²-Verbrauch, der E-Fahrzeuge frühestens ab knapp 100.000 km Laufleistung eine bessere Umweltbilanz aufweisen lässt. Das legt noch einmal nachdrücklich die Frage ins Zentrum, weshalb gerade die deutsche Industrie nicht in den vergangenen Jahrzehnten mit Vorrang die Entwicklung alternativer Stoffe für den Verbrenner-Motor, also das ihr angestammte Terrain, vorangetrieben hat. Doch das ist ein eigenes Thema. Jedenfalls kommt angesichts der für die Batterie-Produktion immensen Ausbeutung des Rohstoffs Lithium, um dessen Abbauorte auch längst ein Wirtschaftskrieg entsteht, das nächste Umweltproblem: Das Metall wird durch die Verdunstung an die Oberfläche gepumpten Grundwassers gewonnen; in den trockenen Zonen Südamerikas mit großen Umweltschäden schon jetzt. Und die europäischen Vorkommen sind zwar bekannt, aber nahezu alle Standorte ziehen ebenfalls gewichtige ökologische Bedenken mit sich.
Reaktionen auf „Mister E. M.“ gibt es durchaus: Die Badenova und das Regierungspräsidium schaffen ihre Teslas ab. Das Unternehmen Rossmann teilte schon im August 2024 mit, für seinen Fuhrpark jedenfalls keine weiteren Tesla-Fahrzeuge mehr anzuschaffen. Die Debatte zieht inzwischen Kreise (vgl. Der Spiegel vom 24.1.2025). Die Universität Freiburg hat ihre Kommunikation auf dem Social-Media-Kanal X im Januar eingestellt, mehr als 60 weitere deutsche Hochschulen gehen jetzt denselben Schritt – ebenso Hertha BSC, der Nabu und der Guardian sowie zunehmend prominente Privatpersonen.
Der Mann, dessen Namen wir nicht ausschreiben möchten und der kürzlich bei der Inauguration des neuen US-Präsidenten den ‚Hitler-Gruß‘ imitierte und zuvor die AFD als einzig wählbare Partei in Deutschland skizzierte, kann kein ernstlicher Ratgeber für Demokratien sein. Deshalb müssen Kooperationen mit ihm und seinen Unternehmen nicht nur zurückgefahren, sondern (hierzulande jedenfalls) komplett eingestellt werden. Bislang scheinen ihn die schon messbaren Absatzminderungen bei Tesla nicht zu stören, denn er setzt auf Aufträge in Milliardenhöhe für die Raumfahrt durch die neue US-Regierung. All‘ dies jedoch gemahnt, unser Kaufverhalten und die Positionen zur Pkw-Produktion und zur Nutzung bestimmter Internet-Plattformen zu überdenken.
Beamtentum und Pensionen
Die Sorge um die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung ist konkret. In den letzten Jahren entsteht deshalb zunehmend Kritik und Ärger: Bundestagsabgeordnete zahlen keine Beiträge für ihre Altersversorgung; Rechtsanwälte und Ärzte (sofern nicht angestellt) ebenso nicht, weil sie Mitglieder einer eigenen berufsständischen Versorgungseinrichtung sind. Von den Beamten gar nicht zu reden. Sozial ohnedies Privilegierte tragen also an diesem Punkt jedenfalls nicht zum Gemeinwohl bei.
Im Bundeswahlprogramm von Bündnis 90 / Die Grünen 2021 stand schon: „In einem ersten Schritt zu einer Bürger*innenversicherung sorgen wir dafür, dass […] Abgeordnete verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden.“ In dieser Legislatur hat das leider nicht geklappt. Mehrfach gab es Petitionen mit der Forderung nach einer allgemeinen Erwerbstätigenversicherung. Der Idee schlossen sich u.a. an: der DGB, der Sozialverband Deutschland (SoVD), der Paritätische Wohlfahrtsverband, die AWO. In das aktuelle Wahlprogramm der Grünen 2025 hat der Passus erneut Eingang gefunden, ergänzt nun um den Hinweis „und perspektivisch Beamte“ … – hoffentlich passiert da irgendwann mal was. „Politiker müssen sparen lernen“, das liest man grotesk nun auf einem Wahlplakat der FDP vor Ort. Wohlan denn!
Jugendkriminalität und Migration
Zur Debatte um Migration und Integration, bei der (leider) in Wahlzeiten der Anteil an Desinformation und irreführenden Meldungen zunimmt, tut es gut, zum Beispiel auf die Ausführungen von Bernd Klippstein zu hören. Klippstein war lange Jahre Jugendstaatsanwalt und Erster Staatsanwalt in Freiburg. Mehrfach hat er Vorträge zum Thema gehalten – die auf seiner Homepage (www.bernd-klippstein.de) auch dokumentiert sind. Da stellt sich manches etwas nüchterner dar als in medialen Berichten oder Wahlkampfreden. In penibler Auswertung der Statistiken und Reporte des Bundeskriminalamts und des Verfassungsschutzes sagt Klippstein: „Die Kriminalität steigt, auch durch Migranten. Aber sie hat noch nicht wieder die Zahlen von 2010 bis 2015 erreicht. Die Menschen, die kommen, sind hinsichtlich ihrer Kriminalitätsbelastung vergleichbar mit Gruppen, die hier schon lange leben und deutsche Staatsbürger sind.“ Andererseits nahm die Gesamtzahl rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten im Jahr 2023 gegenüber 2022 deutlich zu. „Die Aussage ‚Ausländer sind Krimineller als Deutsche‘ kann nicht seriös mit Fakten belegt werden.“ Vorsicht und Zurückhaltung in der Argumentation und Agitation sind also hiermit ernstlich angemahnt!
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- Bundestagswahl 2025: Foto: Element5 Digital/pexels