Aktionswoche Agrardiesel und EU-Mercosur Freihandelsabkommen: Hintergründe zum Protest

In ganz Deutschland blockieren seit den frühen Morgenstunden tausende Menschen aus der Landwirtschaft mit Traktoren den Straßenverkehr, um ihren Protest gegen die geplante Streichung des Agrardiesels zu äußern. Dabei geht es den Landwirt:innen nicht nur um die geplanten Kürzungen durch das drohende Haushaltsloch, vielmehr sollen die Proteste auf die allgemein prekäre Situation in der Landwirtschaft aufmerksam machen. Die Aktionswoche dauert bis 15. Januar und endet mit einer Großdemonstration in Berlin.

Immer mehr Höfe in Deutschland stehen vor dem Aus

Seit Jahren schreitet das Höfesterben voran. Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes gab es 2020 noch 263.500 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland und damit 185.000 weniger als im Jahr 2001. Ein Rückgang um mehr als 40 Prozent bei den Betrieben, die bewirtschaftete Fläche soll jedoch gleich geblieben sein. Doch wie passt das zusammen? Wie in vielen Branchen werden auch in der Landwirtschaft kleine Betriebe geschlossen und das Land an Großbauern und Agrarkonzerne verkauft.

Der kleinen und mittleren Landwirtschaft in Deutschland geht es zunehmend an die Substanz. Die Erträge stimmen seit geraumer Zeit nicht mehr, dem gegenüber steht ein Berg an Bürokratie, der es vielen Landwirt:innen unmöglich macht, ihr Land sinnvoll zu bestellen. Am Ende des Monats sieht es für kleine, mittelständische und ökologisch handelnde Betriebe finanziell schlecht aus. Ein weiteres Problem stellt die Spekulation mit Ackerland dar. Investor:innen haben fruchtbares Ackerland als zukunftsträchtige Finanzanlage entdeckt, sodass Kauf- und Pachtpreise enorm gestiegen sind. Darüber hinaus sehen sich heimische Landwirtschaftsbetriebe mit internationaler Konkurrenz konfrontiert, die auf gigantischen Feldern mit in Europa verbotenen Giften und billigen Arbeitskräften günstiger und schmutziger produziert.

Agrardiesel: Wer profitiert davon?

Auslöser der Proteste in dieser Woche sind die geplanten Kürzungen bei der Subvention des Agrardiesels, von der ohnehin hauptsächlich große Agrarbetriebe und -konzerne profitieren. Die „Agrarheute“ fasst die Problematik wie folgt zusammen: „Klein- und Nebenerwerbsbetriebe erhielten im Wirtschaftsjahr 2020/21 im Durchschnitt eine Erstattung von 874 Euro auf die gezahlte Energiesteuer für ihren Dieselverbrauch. Großbetriebe in Form juristischer Personen in Ostdeutschland kamen hingegen durchschnittlich auf eine Steuererstattung von 26.620 Euro. Wer viel Diesel verbraucht, zahlt umso mehr Energiesteuer und erhält einen entsprechend höheren Betrag erstattet.“ Die Mitwelt Stiftung Oberrhein schlägt indes einen steuerbefreiten Sockelbetrag von 5000 Euro für Agrardiesel vor. Dieser würde insbesondere kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben nutzen und wäre ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit, Klimaschutz und gegen die Verwandlung der Landwirtschaft in eine konzern- und profitdominierte Branche.

Das EU-Mercosur Freihandelsabkommen: Ein Messer im Rücken regionaler Landwirtschaft?

Nicht nur der Agrardiesel lässt die deutsche Landwirtschaft aufschreien und bedroht die Existenz kleiner und mittelständischer Höfe. Seit mehr als 20 Jahren verhandelt die südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur mit der Europäischen Union über eine Freihandelszone, die über 31 Prozent der globalen Warenexporte abdecken würde. Im Zentrum des Abkommens steht die Einfuhr von Futtersoja und Rindfleisch in die EU sowie der Export von Industriegütern und Pestiziden nach Südamerika. Die Bauernverbände in Deutschland und dem gesamten europäischen Raum kritisieren das Abkommen scharf, auch Umweltorganisationen protestieren.

Greenpeace Demo gegen EU-Mercosur © Chris Grodotzki / Greenpeace

In einigen südamerikanischen Ländern sind wichtige Umweltauflagen beim Lebensmittelanbau oder der Haltung von Vieh nicht verpflichtend, sodass sich die Landwirtschaft in der EU nicht als weitreichend konkurrenzfähig sieht und eine Flut billiger und schmutzig produzierter Produkte fürchtet.
Menschenrechtsverletzungen und Korruptionsvorwürfe sind weitere Kritikpunkte. Denn noch immer zerstören Brandrodungen zur Erschließung neuer Felder am Amazonas, im Cerrado oder  im El Chaco den Lebensraum vieler Tiere und vertreiben indigene Völker von ihrem Land. Zudem wird die geplante Ausfuhr von Pestiziden europäischer Chemiekonzerne scharf kritisiert, darunter befinden sich auch Substanzen, die in der EU als giftig gelten und nicht zugelassen sind, da mit schweren gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung zu rechnen ist. Greenpeace bezeichnet das geplante Abkommen als „Giftvertrag EU-Mercosur“, der „klimaschädlich, naturfeindlich und veraltet“ sei.

Klare Position gegen Rechts

Im Rahmen der Bauernproteste, die bereits im Dezember 2023 starteten, haben sich zuletzt auch Reichsbürger, rechtsextreme Gruppierungen und Hooligans unter die Demonstrant:innen gemischt. Ausschreitungen, die Blockade der Fähre des Wirtschaftsministers Habeck, rechte Parolen und fragwürdige Symbolik, darunter ein Galgen an dem eine Ampel aufgehangen wurde, waren die Folge. Vor der Aktionswoche riefen besagte Gruppen zu einem Generalstreik ab 8. Januar auf. Der Deutsche Bauernverband e.V. distanziert sich deutlich davon. „Wir Landwirtinnen und Landwirte stehen für deutlichen, aber friedlichen und demokratischen Protest. (…) An alle Reichsbürger, Umsturzpropagandisten, Verschwörungstheoretiker sowie rechtsextreme Randgruppen und radikale Randalierer: Ihr gehört nicht zu uns und seid bei unseren Aktionen, Demos und Kundgebungen unerwünscht. Sagt euren „Generalstreik“ am besten wieder ab“, postet der Bauernverband am 4. Januar auf Instagram.
Auch in Südbaden protestierten heute bereits tausende Landwirt:innen. Auf dem Platz der Alten Synagoge in Freiburg fand eine große Kundgebung statt, der Münstermarkt in der Innenstadt wurde boykottiert und Traktoren versperrten die Straßen. Weitere Aktionen sind unter anderem in Breisach, Triberg und Lörrach geplant, demnach soll es bis Freitag in Südbaden weitere Sternfahrten, Mahnfeuer und Kundgebungen geben.

Bildquellen

  • Anzahl und Größe der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland: © Statistisches Bundesamt
  • Greenpeace Demo gegen EU-Mercosur: © Chris Grodotzki / Greenpeace
  • Protest der Landwirtschaft in Berlin: © Deutscher Bauernverband e.V.