„Bin ich dein Geliebter?“, ruft der Fan

Ultimative Adaption von Brechts „Baal“ im Theater der Immoralisten

Baal (Markus Schlüter) und Emilie (Anna Tomicsek) Foto: Frank Müller

Eigentlich begann Berthold Brecht seinen Baal als Parodie auf einen Dichter-Zeitgenossen – und landete schließlich bei sich selbst. So geht es vermutlich jedem ernsthaften Künstler, der sich mit Brechts erstem Drama befasst, denn hier geht es um Totalität und Kompromisslosigkeit, um eine unerbittliche Suche, die nie gestillt sein wird.

Doch ist Baal eigentlich kein Künstlerdrama, gemeint ist auch nicht das verkannte oder verkommene Genie. Vielmehr geht es um die Intensität des Lebens, nach der im Grunde jeder Mensch strebt. Die Freiburger Immoralisten, die mit Baal (Regie: Manuel Kreitmeier) bereits den zweiten von drei Teilen innerhalb ihrer mehrfach geförderten Reihe „Pulverfass: Weimar!“ zeigen, transponierten das Stück folgerichtig in den heutigen Starkult der Rockmusik. Als singender Rockstar, dem alle zu Füßen liegen, gibt Baal (Markus Schlüter) mit seiner Stimme sogleich die radikale Schlagrichtung des ganzen Stückes vor, begleitet von Florian Wetter am Flügel – er zeichnet auch für die beachtlichen Kompositionen verantwortlich – und Hannah Schwegler am Cello.
Die Intensität des Lebens – der umschwärmte Baal lebt sie vor. Dadurch zieht er den Neid anderer auf sich, wirkt aber sowohl auf Männer als auch auf Frauen ungemein anziehend. Erstere, Bewunderer und Angstgegner seiner Wildheit und Freiheitsliebe, biedern sich an und werden verächtlich abgewiesen. Die Frauen: bloße Spielbälle seiner erotischen Launen, benutzt und entsorgt auf dem Müllberg seiner Verachtung. Da ist der Mäzen Mech (Uli Herbertz), dessen Frau Emilie (Anna Tomicsek) er zur Geliebten nimmt. Oder sein Bewunderer Johannes (Uwe Gilot), der ihm die eigene Geliebte Johanna (Chris Juliane Meiser) vor die Füße legt. An Freund Ekart (Jochen Kruß) will Baal die schwangere Sophie (Christina Beer) loswerden. In seiner grenzenlosen Verachtung treibt er andere in den Tod, wird schließlich selbst zum Mörder und Verfolgten und krepiert am Ende elend und verlassen.
„Die Welt ist nicht Ihr Zirkus!“, sagt einmal der Pope und hält Baal ein weißes Plastikkreuz entgegen. „Was ist sie dann?“, fragt dieser, doch hat er längst begriffen, dass eigentlich er es ist, der vorgeführt wird. Im Wahn gegen jede Vereinnahmung und Baals Hinneigung zum schrankenlosen Leben gilt dieses Stück häufig als wüste Eloge auf die Selbstliebe; entsprechend erschwert ist die Identifikation mit der Figur des Baal. Manuel Kreitmeiers Inszenierung versteht diesen Widerspruch stimmig aufzulösen, der letztlich aus Baals Abgrenzung gegenüber der Mittelmäßigkeit seiner Mitmenschen resultiert. Er zeigt Baal als einen Suchenden nach Vollendung, die er nicht finden kann; der aus Enttäuschung darüber, dass er trotzdem verehrt wird, trinkt. Baals Kunstwerk ist aber das Leben selbst, durch das er kopf- und kompromisslos stürzt, das Werk eines Manikers.
Wie immer kommt die Regie mit wenigen Requisiten aus. Im Hintergrund der Szene das versammelte Ensemble (hier wären noch Antonio Denscheilmann, Daniel Leers und Uli Winterhager zu nennen), das während des ganzen Stückes präsent bleibt und so wie eine Art Background agiert. Wahrhaft sparsam auch der Einsatz der Kostüme – viel weiße Rips-Unterwäsche bei den Herren, die Damen in schwarze Spitze gekleidet –, dabei zuweilen etwas überzogen, ohne überladen zu wirken. Diese Balance, die ja letztlich große Kunst ausmacht, zieht sich durch die gesamte Inszenierung, die bei aller Radikalität und Kompromisslosigkeit des Inhalts durch die Einhaltung einer strikten äußeren Form stets gewahrt wird. Eine Gegensätzlichkeit, die auf den Zuschauer einen starken Reiz ausübt. Darin liegt auch die große Stärke der Darsteller, die diesen Widerspruch zwischen äußerer Form und innerer Rolle gleichsam aufzulösen verstehen, getragen von großer Spielfreude und schauspielerischer Qualität. Die Wiederholung abstrakter kleiner Bewegungssequenzen, wie sie Manuel Kreitmeier jedem ihrer Charaktere einverleibte, erinnert gar ein wenig an Robert Wilsons Bewegungsregie. Auch die Musik, anfangs von Baal noch veräußert wie ein Wutschrei, verkehrt sich im Laufe des Stückes nach innen und leuchtet dessen Gefühlswelten aus.
Baal ist das Publikum unwürdig wie ein unterwürfiges Weib, das sich dem Star anbiedert. „Bin ich dein Geliebter?“, ruft der Fan, ruft es immer wieder und eindringlicher. Er wird am Ende anstelle einer Antwort erschlagen. Das Publikum der Immoralisten bekommt hingegen viel, und zwar für wirklich große Kunst. Es dankt mit lang anhaltendem, frenetischem Applaus.
Weitere Aufführungen: Bis Ende Juni jeweils Do, Fr und Sa, um 20 Uhr. www.immoralisten.de
Friederike Zimmermann