Zwischen religiösem Kult und Kindheitstrauma

Cindy Sherman: „Untitled“, 1990
© Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth

In leuchtend bunten Farben tritt einem der Popstar Beyoncé mit ihren neugeborenen Zwillingssöhnen im Arm von einem lebensgroßen Foto entgegen. Beyoncé inszenierte sich nach der Geburt ihrer Zwillinge 2017 im Stil einer Fruchtbarkeitsgöttin vor einem üppigen Blumenbouquet. Man mag das für übertrieben oder geschmacklos halten, aber eines ist klar, Beyoncé feiert ihre Mutterschaft. Welche Arten von Mutterschaft es gibt zwischen religiösem Kult und Kindheitstrauma, lässt sich in der Ausstellung „Mutter!“ bis zum 6. Februar in der Kunsthalle Mannheim erforschen. Mit über 150 Ausstellungsstücken von der Antike bis Heute geht es um das Elementarste überhaupt, denn ohne eine Mutter würden wir gar nicht ins Leben kommen.
Vielen Religionen war und ist die Mutter heilig. Von den kleinen ausgestellten Statuetten der altägyptischen Göttin Isis, die auf einem Thron sitzt mit ihrem Sohn Horus auf den Knien, führt eine direkte Linie in der Art der Darstellung zur christlichen Muttergottes. Die gezeigte „Madonna mit Kind“ des dänischen Malers Dieric Bouts aus dem 15. Jahrhundert ist idealtypisch: Maria blickt zärtlich auf den kleinen Jesus in ihren Armen. Die US-amerikanische Fotokünstlerin Cindy Sherman griff 1990 dieses Motiv auf. Sie fotografierte sich selbst in dieser Pose. Ihr madonnenhafter Gesichtsausdruck sitzt perfekt, aber ist das in ein weißes Tuch gehüllte Kind echt? Die nackte Mutterbrust ist jedenfalls eindeutig aus Plastik… René Magritte drehte das Motiv in „Der Geist der Geometrie“ einfach um und überrascht augenzwinkernd durch eine Mutter mit Babykopf, die ein Kleinkind mit dem Gesicht der Mutter hält.
Die eigene Mutter lässt einen emotional nicht los. Eine Station der Ausstellung beschäftigt sich mit der Verarbeitung des Todes der Mutter. Sophie Calle hat aus den Fotoalben und Notizbüchern, die ihre Mutter Monique ihr kurz vor ihrem Tod übergab, eine bewegende und sehr persönliche Serie gemacht. In ihr lernen wir posthum Moniques Charakter und Gedanken kennen. Petrit Halilajs Mutter vergrub ihren Schmuck im Vorgarten, bevor die Familie während des Jugoslawienkriegs aus dem Kosovo floh. Halilaj erinnert mit überdimensionalen Ohrringen an seine Mutter. Die ornamentalen Muster der Ohrringe sind mit gelbem Sand ausgefüllt, dem Überrest des zerstörten Elternhauses.
Das Glück der Mutterschaft findet sich in den ausgestellten Werken, zum Beispiel den intimen Mutter-Kind-Gemälden von Paula Modersohn-Becker, ebenso wie das Unglück, keine Mutter zu werden. In der Fotoserie „Annonciation“ von Elina Brotherus sieht man die zunehmende Verzweiflung der finnischen Künstlerin, die auch mithilfe künstlicher Befruchtung nicht schwanger wird. Am Ende steht sie trotzig vor der Kamera, ihren Dackel im Arm, und ruft dem Publikum zu: „My dog is cuter than your ugly baby“ (Mein Hund ist süßer als dein hässliches Baby).
Wie sich die Rolle der Frau und Mutter im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte gewandelt hat, lässt sich an den Infotafeln „Die Geschichte der Mutterschaft in 10 Stationen“ ablesen. Das Recht zu wählen und eigenes Geld zu verdienen, die Antibabypille und die legalisierte Abtreibung sind bahnbrechende Wendepunkte. In Margaret Atwoods düsterem Bestseller „A handmaid‘s tale“ ist es mit der Selbstbestimmung der wenigen noch fruchtbaren Frauen vorbei. Sie müssen als Mägde der herrschenden Elite Kinder gebären. In der Mannheimer Kunsthalle ist ihre leuchtend rote Uniform mit der weißen Haube aus der Verfilmung zu sehen.
Von Müttern wird erwartet, ihre Kinder zu lieben und zu schützen. Laure Prouvost setzte das in ihrer für „Mutter!“ geschaffenen Installation auf eine leicht gruselige Weise um. In dem halbdunklen Raum lauert ein Muttertier mit langen Tentakeln. Aus einer der Glasbrüste tropft eine dunkle Flüssigkeit. „Mootherr“ wirkt nährend nach innen und abwehrend nach außen. Nicht jede Mutter liebt ihr Kind. Die Folgen zeigt Tracy Moffat in ihrer 1999 entstandenen Fotoserie „Scarred for life“. Gezeichnet fürs Leben sind die Kinder und jungen Frauen, deren Mütter sie durch gemeine Bemerkungen verletzen, sie vernachlässigen oder dem Spott ihrer Altersgenossen preisgeben.
So vielschichtig wie die Mutterschaft ist auch die Mannheimer Ausstellung darüber, in der es auf konzentriertem Raum vieles zu sehen und zu entdecken gibt.

„Mutter!“, Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim, Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr, jeden 1. Mittwoch im Monat 10-22 Uhr, www.kuma.art. Bis 06.02.2022.

Bildquellen

  • Cindy Sherman: „Untitled“, 1990 © Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth: © Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth
  • Elina Brotherus: „Mein Hund ist süßer als dein hässliches Baby“, 2013, Louisiana Museum of Modern Art, Erworben aus Mitteln der Augustinus Fonden: © Elina Brotherus/ VG Bild-Kunst, Bonn 2021