Ob einfache Gemüter ernsthaft glauben, dass ein Rüstungskonzern die Klimakrise bekämpfen will?

„Spirit of Ecstasy“, Geist der Verzückung, heißt die Kühlerfigur, die seit 1911 die Haube eines jeden Rolls-Royce ziert“, so beginnt der Text eines bekennenden Atomkraft-Fans in einem großen Nachrichten-Magazin. Die Leserschaft denkt an Luxus-Autos, dabei geht es um die Rüstungssparte, die seit den 1950-ern Antriebsreaktoren für Kriegsschiffe baut. Mit blumigen Worten wird über einen „ästhetischen Energiezwerg“ berichtet, den die „Traditionsfirma“ mit „Liebe zum Detail“ entworfen habe. Unter der Überschrift „das AKW für Ihren Garten“ werden Illusionen geweckt. Aufmerksame Medienkonsument:innen kennen die Marschrichtung inzwischen vom Dauerfeuer aus allen Zeitungs-, TV- und Radio-Redaktionen: „mit Minimeilern gegen den Klimawandel“ suggeriert nicht nur der zitierte Text.
Etwa eine Woche lang wussten Spiegel-Leser*innen „mehr“, dann setzte Rolls-Royce eine Pressemitteilung ab, welche die Nachrichtenagenturen dpa und AFP – mit allen Reizwörtern – durch den Blätterwald ventilierten. Fortan las man auch in vielen anderen Zeitungen irgendwas mit „Rolls-Royce“, „zwei Fußballfeldern“, „Mini-Kraftwerke“ „eine Million Haushalte“ und „Klimaschutz“. Das ist umso bemerkenswerter, weil in den Agentur-Berichten über Wetterextreme das Wort „Klima“ auffallend oft fehlt.
Ob einfache Gemüter ernsthaft glauben, dass ein Rüstungskonzern die Klimakrise bekämpfen (!) will? Nicht doch! Er hat nach eigenem Bekunden für sein Atom-U-Boot-Geschäft „eine bedeutende Lieferkette aufgebaut“ und will diese für den zivilen Atomkraft-Sektor weiterentwickeln. Es geht um mehrere Hundert Firmen, um „Rohstoffe, Schmiedeteile, mechanische Komponenten, Pumpen und Ventile, elektrische Steuerungen und Systeme, Instrumente, Software und technische Dienstleistungen.“ Neben den Lieferketten geht’s um die Fachkräfte: „ein ziviles SMR-Atom-Programm würde das Verteidigungsministerium von der Last befreien“ Entwicklung und Erhaltung des Kompetenzpools allein zu schultern.

Ankündigungen für SMR-Serienfertigungen zutiefst unrealistisch
Die Atomkraft wird dem Klima nichts nützen. Auch die kleinen modularen Atomreaktoren, sogenannte SMR, werden den Niedergang der Atomindustrie nicht aufhalten. Zu der für Investoren abschreckenden ausgedehnten Zeitschiene kommen weitere Risiken hinzu. Diese treiben die Kosten pro Kilowattstunde (kWh), also den entscheidenden Parameter, noch weiter in die Höhe als bei großen Reaktoren der dritten Generation; beim Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) erleben wir das Zeit- und Kostendesaster seit den frühen 1990-ern.

Das Henne-Ei-Problem
Die Vorstellung, dass eine modulare Produktion, das heißt, eine Fertigungslinie die Probleme löst, ist unrealistisch. Um modulare Kapazitäten aufzubauen, braucht man sehr volle Auftragsbücher für Hunderte SMR über die gesamte Lieferkette. Um die Auftragsbücher voll zu bekommen, muss man nachweisen, dass SMR bereits funktionieren und zeit- und kostengerecht produziert werden können. Dies aber wird erst möglich, wenn viele Dutzende, wenn nicht Hunderte von Aufträgen erteilt werden. Dieser Teufelskreis wird bei all dem euphorischen SMR-Theoretisieren komplett ausgeblendet. Auch Rolls-Royce wird dieses Henne-Ei-Problem nicht lösen. In einer Post-Brexit-, Post-Corona-Wirtschaft wird es unerschwinglich teuer, modulare Montagelinien aufzurüsten. Für die gesamte vorgeschaltete Lieferkette wären massive Investitionen erforderlich, um Größenvorteile durch Replikationsvorteile zu ersetzen. Somit ist das SMR-Investitionsrisiko sogar größer als bei der ohnehin fragwürdigen Wirtschaftlichkeit großer AKW.
Hinzu kommt, dass SMRs pro kWh denselben Atommüll produzieren wie große Reaktoren. Auch die Sicherheitsprobleme werden nicht kleiner. Im Gegenteil, in einer zunehmend instabilen Welt würde jeder von Kostenreduktion getriebene SMR-Export in Staaten ohne verlässliches Regime Ausbruchsherde für Waffen- und Terror-Superspreader provozieren.
Investitionen in die Atom­energie sind unwirtschaftlich. Die Kapitalbindung würde den Klimaschutz obendrein behindern. Erneuerbare Energien haben sowohl niedrigere Investitionskosten als auch niedrigere Erzeugungskosten.

Wenn die „Nachrichten“-Agentur mit PR-Tools Zielgruppen beliefert
All das fand sich natürlich nicht in den x-fach weiterverbreiteten „Nachrichten“-Agentur-Meldungen. Auch die Information, dass die Stromkund*innen und Steuerzahler*innen über die Reaktoren zur Stromproduktion diejenigen Reaktoren für den Kriegsschiff-Antrieb querfinanzieren sollen, wurde nicht mitgeliefert. Die wenigsten wissen, dass die größte deutsche Nachrichten-Agentur, dpa, eine „Corporate Publishing“-Sparte hat, die sie offenbar so in das Gesamtunternehmen integriert, dass ein Filz aus Journalismus und PR entsteht: “Erstklassigen Journalismus gibt es bei dpa nicht nur in den Nachrichtendiensten, sondern auch maßgeschneidert nach den individuellen Vorgaben der Kunden. Mit redaktioneller Expertise und weltumspannendem Netzwerk unterstützt dpa Custom Content mit hochwertigem Content und kreativen, crossmedialen Konzepten“ heißt es dort wortwörtlich.
Eine weitere 100%-ige dpa-Tochter trägt ebenfalls die frohe Kunde vom atomaren Klimaretter Rolls-Royce hinaus in die Welt: dpa newsaktuell sorgt „für einen effektiven Zugang zu Medien und Verbrauchern. Unsere PR-Tools beliefern Ihre Zielgruppen per Mail oder Redaktionsticker, veröffentlichen PR-Content im Web und sorgen für hohe Auffindbarkeit bei Google und Co.“
Obwohl sich die Autorin größte Mühe gibt, die interessensgeleiteten atomaren Klima-Mythen faktenbasiert einzuordnen, wird das vermutlich kaum bei „Google und Co“ gefunden. Schön, dass Sie wenigstens den Kultur Joker lesen.

Bildquellen

  • Ein Rolls Royce im Garten – Grund zur Ekstase oder Ent-Rüstung?: Foto: Stegen