Zum Tod von Christoph Meckel

Bereits mit seinem ersten Buch „Tarnkappe“ erwies sich Christoph Meckel 1956 als Wort- und Bildkünstler, in diesem Januar noch erhielt das Werk des Erzählers, Lyrikers und Zeichners den Antiquaria-Preis für Buchkultur. Nun ist er im Alter von 84 Jahren verstorben.
Zu Lebzeiten war er viel unterwegs, hat Länder und Kontinente bereist, wozu er einmal sagte: „die Welt war mein Gegenüber, die Straße wurde meine Universität“. Text und Bild wusste er auf singuläre Weise zu verbinden, wie etwa seine mit poetischen Zeichnungen versehenen Briefe zeigen und vor allem „Die Weltkomödie“, eine exorbitante Erzählung in grafischen Bildern, entwickelt im Laufe eines halben Jahrhunderts (1955-2005) und 2012 zusammenhängend ediert. Sie umfasst große Zyklen (u.a. „Moël“, „Der Turm“, „Das Meer“, „Die Argonauten“, „Passage“) und kleine Zyklen („Panoptikum“, „Die Savannen“), Triptychen, Diptychen, Friese (z.B. „Transit“, „Gärten“), Miniaturen und Einzelblätter. Sie lässt den Leser kontinuierlich in eine bildgewordene Prosa eintauchen, die Landschaften, Städte, Figuren, Gegenstände, Wirkliches und Phantastisches – wie auf einer Theaterbühne – versammelt und stetig transformiert. Durch die gesamte „Weltkomödie“ promeniert „Moël“, eine Art Vagabund und Träumer, mit einem Fisch unterm Arm; weitere Kunstfiguren sind „Bobosch“, „Clarisse“ und „Balsam“. Sie alle sind unterwegs und werden im Zuge der Erzählung mit Insignien ausgestattet, darunter Schlüssel, Windrad, Bollerwagen und Blume. Überdies sind Vogel und Elefant, Feder, Glockenbaum und Leiter präsent, nicht zu vergessen Licht, Luft und schwebende Liebespaare. Alle Sinne werden mit diesem humorvollen „Alphabet“ angesprochen, das ein „Bild des Menschen in Raum und Zeit“ gibt und auf über 2000 Blätter vom Kommen und Gehen handelt, vom Auf- und Abbauen in einer Art Tollhaus.
Als Kind musste Christoph Meckel die Schrecken des Krieges begreifen, war mit Mutter und Brüdern im Dezember 1944 aus dem zerstörten Freiburg durch eine verwüstete Welt nach Erfurt geflohen; dort erlebt er die amerikanische Besatzung (mit Tanzmusik und Kaugummi), sechs Wochen später rückt die Rote Armee ein, zum Flüchtlingselend kam nun nackte Angst. Mit dieser Urszene beschäftigt er sich noch Jahrzehnte später immer wieder, z.B. in dem Buch „Einer bleibt übrig, damit er berichte“ und in „Russische Zone“, denn damals fehlte ihm die Sprache für das Erlebte: „Die Gegenwart war ein schlechter Traum (…). Von den Verbrechen der Deutschen erfuhr ich nichts. Ich hatte die Toten in den Trümmern gesehen, zerquetscht, verkohlt (…). Der gequälte Mensch war, was mich schlaflos machte.“
Diese extreme Erfahrung dürfte grundlegend für Christoph Meckels Werk sein. Dieses rettet die Tatsachen vor der Verdrängung und entzieht das Denken einer nur zweckhaften Nutzung. Ohne Zweifel ist der Autor stets gegen den Zeitgeist angetreten, gibt eine kritische Antwort auf das „Dritte Reich“ und den Nachkrieg, spürte auch in der eigenen Familie Lebenslügen und autoritäre Strukturen auf, so in den „Suchbildern“ über seinen Vater und seine Mutter. Immer wieder verblüffen seine Wortschöpfungen sowie die Fähigkeit Menschen zu vergegenwärtigen, man denke an die Erzählung vom Bauern Mathieu („Ein unbekannter Mensch“) sowie an „Licht“. Nicht zuletzt hat er andere Schriftsteller porträtiert, etwa Marie Luise Kaschnitz („Wohl denen, die gelebt“) und Peter Huchel („Hier wird Gold gewaschen“). Was für eine intellektuelle Kraft! Postum wird die gesammelte Prosa „Eine Tür aus Glas, ganz offen“ erscheinen.

Gedenkfeier: 26. Februar 2020, 16 Uhr – Historisches Kaufhaus Freiburg, Münsterplatz

Bildquellen

  • Christoph Meckel 2014: privat