Vorhänge, Masken und ein Taschentuch

Mariame Clément inszeniert den „Rosenkavalier“ an der Straßburger Opéra national du Rhin

Starke theatralische Momente prägen diese Inszenierung des Rosenkavalier 

Obwohl Richard Strauss seine Oper „Der Rosenkavalier“ eine „Komödie für Musik“ nennt, scheint in diesem gemeinsam mit dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal verfassten Werk immer wieder Melancholie durch.
Regisseurin Mariame Clément lässt in Straßburg die Oper mit einer stummen Szene beginnen. Eine alte Frau geht am Stock mit langsamen Schritten auf die Bühne. Ihr Taschentuch, mit der sie eine Träne trocknet, fällt auf den Boden. Und wird vom Harlekin zurückgegeben, der der prächtig gekleideten Dame beim Hinausgehen hilft. Eigentlich ist es die junge Sophie, die in der Schluss-Szene das Taschentuch verliert. Und „der kleine Neger“, wie es im Libretto heißt, „findet es, –  hebt es auf – und trippelt hinaus.“

Durch diesen Vorausgriff setzt die Regisseurin die Angst vor dem Altern, die die Marschallin umtreibt, in ein starkes Bild. Die eigentliche Geschichte erzählt Mariame Clément ganz linear in reduzierten Räumen, die an eine Commedia dell’arte-Bühne erinnern. Holzbretter für den Fußboden, Vorhänge als Raumteiler (Bühne und Kostüme: Julia Hansen) – fertig ist das Palais der Marschallin. Die Bediensteten treten nur in Perücke und Maske auf – und haben durchwegs alberne Auf- und Abgänge. Wie überhaupt die Verortung in der Commedia dell’arte sich nicht richtig erschließt, zumal sie von der Regie eher halbherzig umgesetzt wird.
Es sind die kleinen Geschichten, die bei diesem „Rosenkavalier“ berühren – etwa die subtile Annäherung zwischen Sophie und Oktavian, die gut beobachtete Vater-Tochter Beziehung zwischen Faninal (mit viel Substanz: Werner Van Mechelen) und Sophie, die für einen Moment ganz echte Depression des Baron Ochs von Lerchenau.

Musikalisch ist dieser „Rosenkavalier“ auf ordentlichem bis gutem Niveau. Wolfgang Bankl ist als Ochs kein polternder Grobian, sondern verleiht mit seinem geschmeidigen Bass diesem Provinzadligen durchaus Eleganz. Der Oktavian von Michaela Selinger gerät ungewöhnlich knabenhaft, da ihr Mezzosopran so schlank wie ein Sopran klingt. Daniela Fally singt die schwindelerregend hoch steigenden Linien von Sophie mit großer Präzision und vielleicht ein wenig zu viel Schärfe. Melanie Dieners Marschallin jedenfalls ist das musikalische Zentrum. Ihr Sopran hat die Leichtigkeit, um im Liebesspiel mit Oktavian die Jugend erblühen zu lassen – und besitzt auch die dunkleren Farben einer reiferen Frau.

Die Straßburger Philharmoniker brauchen ein wenig, um in der trockenen Akustik des Opernhauses einen gut ausbalancierten Mischklang hinzubekommen. Aber nach und nach spielen sich die Musiker frei und entwickeln mehr Klang. Dirigent Marko Letonja hat ein gutes Gefühl für die immer wieder anklingenden Walzer, die er zwar mit einem ganz geraden Dreiertakt, aber in der großen Linie sehr frei musizieren lässt. Insgesamt wechselt Letonja mit dem Orchestre philharmonique de Strasbourg mit großer Selbstverständlichkeit zwischen Intimität und großer Ansprache, zwischen Leichtigkeit und schwerem Pathos.
So subtil und klug Mariame Cléments Regie auch in Teilen wirkt – etwas mehr Führung täte der Inszenierung gut. Man vermisst in diesem „Rosenkavalier“ ein wenig die Idee, den persönlichen Interpretationsansatz.

Am Ende schafft die Regisseurin dann noch einen starken theatralischen Moment, wenn sie zum finalen Terzett die Bühne leer räumt und das neue Liebespaar Oktavian und Sophie vor einem weiten, blauen Horizont zeigt. Die junge Sophie steht mit ihrem Oktavian ganz vorne auf der Bühne, hinten erscheint die alte Dame. Und die Marschallin betrachtet vom Mittelgang aus das Geschehen. Drei Frauen in unterschiedlichem Alter – wie in einer Zeitachse angeordnet. Das Taschentuch, das Sophie verliert, gibt der Harlekin der alten Frau zurück.
Weitere Vorstellungen: Mulhouse/La Filature: 6. Juli, 19 Uhr, 8. Juli, 17 Uhr. Karten:  Tel. 0033 3 89 36 28 28 (Mulhouse) oder www.operanationaldurhin.eu

Georg Rudiger