Von Totengräbern und Glücksbringern

Die Berliner Philharmoniker eröffnen mit Mozarts „Zauberflöte“ die neuen Osterfestspiele Baden-Baden

Papageno als Globetrotter mit schwerem Rucksack

Ein starker Beginn. Die Ouvertüre von Mozarts „Zauberflöte“ ist im Festspielhaus Baden-Baden erst wenige Takte alt, da schreiten Chormitglieder durch die Mittelgänge des Zuschauerraums nach vorne, betreten die Bühne und gruppieren sich um den Orchestergraben. Als hätte sie Mozarts Musik angelockt. Als wollten sie schauen, ob da wirklich die Berliner Philharmoniker zur Eröffnung der neuen Osterfestspiele Baden-Baden musizieren.
Zum Schlusschor „Es siegte die Stärke, und krönet zum Lohn“, den der Rundfunkchor Berlin strahlkräftig singt, versammelt sich in Robert Carsens Inszenierung das gesamte Personal wieder an der Rampe. Und auch im Orchestergraben geht die Sonne auf, wenn die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle diese „Zauberflöte“ mit virtuosen Streicherläufen und hellem Blech zum Funkeln bringen.

Dazwischen aber ist einiges getrübt. Es gelingt an diesem Abend leider nicht, diese so heterogene Oper in ihrer Vielschichtigkeit wirklich zusammenzuhalten. Regisseur Robert Carsen deutet vieles an, führt aber wenig aus. Auch musikalisch bleibt die Interpretation oft dem Moment verhaftet. Lehnt sich wohlig zurück oder tritt auf der Stelle, anstatt nach vorne zu gehen.
Dabei gelingt Simon Rattle bei der Ouvertüre eine Lesart, die die Ohren spitzen lässt. Die berühmten Eröffnungsakkorde sind feierlich, aber nicht zu pathetisch. Für den Allegroteil wählt Rattle zwar einen auffallend ruhigen Puls, aber durch klare Akzente, deutliche Phrasierungen und eine genaue Artikulation kommt Leben in die Fuge. Im weiteren Verlauf des Abends nimmt der Dirigent sehr langsame Tempi, in denen die Musik stehen bleibt. Im zweiten Aufzug gelingt der musikalische Fluss wesentlich besser. Wie überhaupt nach der Pause diese „Zauberflöte“ an Format gewinnt.
Das liegt auch an Robert Carsens Regie. Die Todessymbolik, die den ganzen Abend durchzieht, entwickelt hier besondere Bildkraft, wenn Pamina und Tamino zur Feuerprobe das Totenreich mit den rötlich schimmernden Mumien (Licht: Robert Carsen, Peter van Praet) durchschreiten und auf dem Rückweg die Wasserprobe in der nun blau beleuchteten Szenerie bestehen.
Was dieser „Zauberflöte“ vor allem fehlt, ist eine klare und stimmige Zeichnung der Figuren. Der König der Nacht raubt Carsen die Auftritte. Die für Simone Kermes eingesprungene Ana Durlovski steht im schwarzen Cocktailkleid (Kostüme: Petra Reinhardt) bereits auf der Bühne, als sie „O zittre nicht, mein lieber Sohn“ mit lasziven Bewegungen und feinen, aber wenig durchschlagenden Koloraturen ausstattet. Ihre Rache-Arie erinnert mehr an Vogelgezwitscher als an den Wutausbruch einer verletzten Frau. Sarastro steht immer irgendwo herum – auch wenn er gar nicht da zu sein hat. Dimitry Ivashchenko singt ihn mit mächtigem Bass und tragfähiger Tiefe. Er bleibt aber ein Mann ohne Eigenschaften – wie auch der von Pavol Breslik wunderbar lyrisch gesungene Tamino.
Kate Royal zeigt das Innenleben von Pamina, José van Dam ist als Sprecher immer noch ein Bassbariton mit enormer Ausstrahlung. Die drei exzellent besetzten Damen (Annick Massis, Magdalena Kozená, Nathalie Stutzmann) bringen auch darstellerisch etwas Schwung ins Geschehen, die drei Knaben (David Rother, Cedric Schmitt und Joshua Augustin von den Aurelius Sängerknaben Calw) sind echte Glücksbringer.
Als Belebung erweist sich auch Michael Nagys Papageno, den die Regie als Globetrotter mit schwerem Rucksack und Baseballmütze sieht. Am Ende bekommt er seine bezaubernde Papagena (hinreißend charmant: Regula Mühlemann). Und selbst der Pamina begrabschende Monostatos (zu wenig beängstigend: James Elliott) erhält von der Regie wie alle anderen männlichen Protagonisten ein Weibchen. Alles wird gut.
Weitere Vorstellung: 1. April, 18 Uhr. www.festspielhaus.de
Georg Rudiger