Verbannte Bücher: Shakespeare und zwei Pinguine werden in den USA zensiert – Bayern zieht nach

Der Kampf zwischen Demokraten und Republikanern nimmt in den USA seit geraumer Zeit merkwürdige, man möchte beinahe sagen, alarmierende Formen an. Allein zwischen Juli 2021 und Juni 2022 wurden nach Angaben des US-Autorenverbandes PEN America landesweit 1648 Bücher an öffentlichen Schulen verboten – Tendenz steigend. Nun handelt es sich bei den Werken vornehmlich nicht um gewaltverherrlichende, rassistische oder antisemitische Literatur, vor denen die Kinder Amerikas geschützt werden sollen. Die Zensur betrifft Werke, die sich mit den Themen sexueller sowie ethnischer Identität befassen.
Darunter auch Bücher wie „How to be an Antiracist“ von Ibram X. Kendis oder „Gender Queer: A Memoir“ von Maia Kobabes, das 2020 von der American Library Association mit dem Alex Award für Jugendliteratur ausgezeichnet wurde. Ron DeSantis, Gouverneur von Florida, reitet beim neuen Zensur- und Bücherverbotswahn ganz vorne mit. Erst im vergangenen Jahr versuchte er per Gesetz Universitäten und Hochschulen dazu zu drängen, Fächer, Vorlesungen und Veranstaltungen zu verbieten, in denen Gleichheit, Diversität und Critical Race Theory befürwortet werden. Der interdisziplinäre Ansatz der Critical Race Theory geht übrigens davon aus, dass Rassismus strukturell verankert ist und Teil einer gesellschaftlichen Ordnung. Darüber muss Amerika diskutieren, auch und vor allem angesichts der massiven Polizeigewalt gegenüber Afroamerikaner:innen (#blacklivesmatter) oder der noch immer existierenden Reservate, in denen die indigene Bevölkerung Amerikas bis heute lebt und die aufgrund der blutigen Eroberung Amerikas durch uns Europäer:innen nur noch rund 1 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Doch laut DeSantis müssten weiße Studierende vor der amerikanischen Geschichte, der Sklaverei und Gewalt beschützt werden.
Kritisches Denken zu verbieten, wirft indes kein gutes Licht auf die Vorzeigedemokratie. Das „Don‘t say gay“-Gesetz, ebenfalls ein rechtspopulistischer Geniestreich DeSantis, verbietet seit 2023 die Themen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität bis zur zwölften Klassenstufe. Selbst Shakespeare kann sich vor dem Gesetz nicht drücken, dieser darf nur noch in zensierter Version gelesen werden und auch die wahre Geschichte zweier männlicher Pinguine, die gemeinsam ein Ei ausbrüten, ist fortan verboten. Zu groß sei die Gefahr, dass Kinder durch die pornografischen und unchristlichen Inhalte verstört werden – aber nicht verstört genug, um speziell für Kinderhände gefertigte Junior-Waffen abzufeuern. Ein Land der grenzenlosen Möglichkeiten – und Absurditäten.
Während in Amerika ein Kulturkampf herrscht, der längst den Wahlkampf erreicht hat, schwappt der Diskurs über den großen Teich bis nach Bayern. Da hat Markus Söder nämlich unlängst bemerkt, dass das Genderbashing Aufmerksamkeit und im besten Fall Stimmen bringt. Seit dem 19. März hat der bayerische Ministerrat ein „Verbot der Gendersprache“ beschlossen. Doppelpunkt, Sternchen, Lücke – alles unzulässig und fortan an bayerischen Behörden, Schulen und Universitäten verboten. Das betrifft nicht nur den dienstlichen Schriftverkehr, auch Elternbriefe, interne Kommunikation und selbst im Unterricht steht das Gendern unter Strafe: Disziplinarmaßnahmen, Verweise oder eine Geldstrafe bis zur Höhe der monatlichen Dienstbezüge können die Folge sein.
Ein Grund fürs Genderverbot sei, neben dem immerwährenden Diskurs um die Schönheit der deutschen Sprache, vornehmlich geführt von Menschen, die selbst nicht publizieren, das Offenhalten von Diskursräumen in einer liberalen Gesellschaft. Das ist ein interessantes Argument. Bislang ist der Autorin dieses Artikels kein Gesetz bekannt, dass das Gendern vorschreibt (ergo einen Diskursraum schließt), sehr wohl jedoch ein Gesetz, dass das Gendern verbietet. Zugleich beschlossen in dem Landtag, der lediglich 25 Prozent seiner Sitze an Frauen verteilt hat. „Ich fühle mich fast um 100 Jahre zurückversetzt“, beklagt Ruth Müller (SPD), die in den vergangenen zehn Jahren frauenpolitische Sprecherin im bayerischen Landtag war.
Liebe Leser:innen, ob Sternchen, Doppelpunkt oder Lücke, letztendlich geht es um Inhalte. Politik soll Lösungen für akute gesellschaftliche Probleme finden. Da würde uns jetzt spontan die Wirtschaftskrise, der Konflikt im Nahen Osten, der Ukrainekrieg, Fachkräftemangel, eine mangelhafte Infrastruktur und Unterstützung von Familien und/oder Alleinerziehenden in Deutschland, Altersarmut oder eben auch die geringe Repräsentation von Frauen im bayerischen Landtag einfallen. Zensur ist hier sicher keine Lösung. Bitte weitersuchen, Markus.

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