Peter Grandls Thriller „Turmschatten“ wirft schwierige Fragen zur heutigen Mediengesellschaft auf

Getwitterter Hass. Ob AfD, Reichsbürger oder Donald Trump – viele Populisten verdanken ihre Durchschlagskraft den Sozialen Medien. In direktem Kontakt mit der Gefühlswelt ihrer (potentiellen) Anhänger*innen fällt es den Rechten heute leicht, emotionale Reaktionen aufzugreifen, anzuheizen und zu steuern. Dieser gefährlichen Dynamik nimmt sich Peter Grandls Debütroman Turmschatten an – allerdings in veränderter Ausgangslage. Hier ist es ein ehemaliger Mossad-Agent, der drei Neonazis im Keller eines Turms gefangenhält und über das Internet abstimmen lässt, ob sie leben oder sterben sollen. Die zugespitzte Lage verrät: hier liegt ein Thriller vor, einer, der tagesaktueller nicht sein könnte.

Peter Grandl, Foto: Proxenos GmbH

Für Peter Grandl bedeutet der Roman einen Überraschungserfolg. Nach langjähriger Karriere als Marketingmanager und Werberegisseur begann er die fünfjährige Arbeit an seinem 6oo-seitigen Debüt, stieß danach aber zunächst auf Absagen verschiedener Verlage. Erst auf der Leipziger Buchmesse 2019 erkannte die Eulenspiegel-Verlagsgruppe/Das Neue Berlin das Potential des Romans und veröffentlichte ihn im Februar 2020. Da eilte dem Buch jedoch bereits der Ruf voraus. 2019 gewann Turmschatten den begehrten Online-Award „Wattys 2019“ der Buchplattform Wattpad.com in der Sparte „Mystery & Thriller“. Und auch die Rezensionen im Folgenden fielen äußerst positiv aus. Peter Grandl kann also zufrieden sein, will er mit seinem Roman doch viele Menschen erreichen und zum Nachdenken anregen – über grundsätzliche moralische Fragen. Grandl dazu: „Inhaltlich geht es in meinem Roman um mehr als das Voting um Leben und Tod. Wer hat das Recht auf seiner Seite, und wo fängt Unrecht an? Was muss ein Mensch getan haben, um den Tod zu verdienen?“ Die Fragen, zu denen Ex-Mossad-Agent Ephraim Zamir seine Zuschauer*innen im Netz zwingt, treffen auch die Leser*innen.
Einfach macht es einem der Roman nicht. Auf Basis einer friedliebenden demokratischen Ordnung ist Zamirs Handlung voll zu verurteilen. Die Ermittlungen innerhalb des Romans zeigen dem gegenüber das differenzierte Bild eines Top-Agenten mit traumatischer Vergangenheit. Der Vater Zamirs starb durch einen Schlägertrupp der SA, Tante und Onkel wurden an der Schweizer Grenze erschossen, der Rest seiner Familie in Konzentrationslagern ermordet. Zamir selbst überlebte und verschrieb sich dem Kampf gegen die verbliebenden NS-Täter. Als Mossad-Agent beteiligte er sich etwa an der Entführung des SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann, die bekanntlich zum Prozess in Israel führte. Fakt und Fiktion.
Gleichermaßen gilt Zamir als skrupellos. Einen vermeintlicher Staatsfeind erschoss Zamir auf offener Straße, vor den Augen seiner schwangeren Frau. Auf seiner Suche nach Gerechtigkeit nutzt er die Stimmung der Menschen genüsslich und mit Kalkül. Die „persönliche Leidensgeschichte einer unschuldigen Frau“ zum Beispiel ist ihm bei seiner Voting-Aktion nur recht, „um die Quote nach oben zu treiben.“ Zamirs Blick bleibt voller Abschätzigkeit gegenüber denen, die er mit seinen populistischen Techniken zu lenken vermag: „Der Mensch war ein merkwürdiges Wesen. Der Tod von Millionen bewegte ihn nicht annähernd so sehr wie das tragische Schicksal des Einzelnen, wenn es nur anschaulich genug präsentiert wurde.“

Peter Grandl: „Turmschatten“, Verlag Das Neue Berlin, 592 Seiten, 25 Euro.

Turmschatten gibt über seine Figuren und damit wie beiläufig wichtige Einblicke zum Wesen des Populismus, der ganz wesentlich durch die affektgeladene Zuweisung von Schuld geprägt ist. Populismus ist überhaupt ein idealer Gegenstand für einen Thriller, basiert eine spannende, emotionsgeladene Geschichte doch weniger auf akribischer Rekonstruktion interessanter Fakten, sondern auf dem Zusammenspiel interessanter Figuren und ihrer Konflikte. Zamir sucht in seinem Geißeldrama nichts anderes als die vollkommene Bloßlegung des rechten Hasses, der auch in der scheinbar friedliebend demokratischen Bundesrepublik fortbesteht.
Peter Grandl möchte mit seinem Thriller „in Zeiten rechten Populismus“ viele Menschen erreichen. Seine Botschaft ist dabei deutlich: Das Gedankengut rechtsextremer Menschen ist gefährlich, Macht und Eigendynamik der Medien sind es aber auch. Als Medienkenner weiß er das, den Rest sehen wir heute auf den Straßen und in allen Sozialen Medien. Daumen hoch oder Daumen runter. Man kann also hoffen, dass die Problematik des Romans einige Menschen nachdenklicher stimmt und vorsichtiger mit der eigenen Vergangenheit, aber auch dem eigenen Twitter-Profil umgehen lässt.

Peter Grandl: „Turmschatten“, Verlag Das Neue Berlin, 592 Seiten, 25 Euro.