Osterfestspiele Baden-Baden: „Parsifal“ überzeugt nur musikalisch

David Copperfield für Arme

Richard Wagner hatte für seine letzte Oper szenisch besondere Räume im Sinn. Diese vermisst Georg Rudiger in Dieter Dorns Inszenierung, mit der die diesjährigen Baden-Badener Osterfestspiele eröffnet wurden. Auf die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle ist allerdings Verlass.

Szene aus Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ im Festspielhaus Baden-Baden. (© Monika Rittershaus)

Simon Rattle geht schon fünf Minuten vor Beginn des „Parsifal“ im Festspielhaus Baden-Baden in den Orchestergraben zu seinen Berliner Philharmonikern. Vielleicht kann er es einfach nicht erwarten, zum ersten Mal mit diesem Orchester Richard Wagners Bühnenweihfestspiel zu dirigieren. Vielleicht möchte er auch den Auftrittsapplaus vermeiden, damit dieses besondere Werk wie im Bayreuther Festspielhaus aus der Stille beginnen kann.

Das „sehr langsam“ und „sehr ausdrucksvoll“ der Partitur interpretiert Rattle als fließend, ohne dabei zu prosaisch zu werden. Den Weihrauch atmet man im weichen, luftigen Streicherton, der zur Grundlage des ganzen Abends wird und den Orchesterklang in einem unendlichen Legato bindet. Obwohl Simon Rattle das Orchester immer wieder ins Pianissimo zurücknimmt und dabei kammermusikalische Intimität erzielt, wird dieser „Parsifal“ nie körperlos und auch nie statisch.

Richard Wagner hatte für seine letzte Oper szenisch besondere Räume im Sinn. Ein heiliger See, der Gralstempel in der Burg Monsalvat, Klingsors Schloss und sein Zaubergarten, ein heiliger Hain. Im Festspielhaus Baden-Baden fehlen in der seltsam drögen, uninspirierten Inszenierung von Dieter Dorn diese besonderen Orte. Die hölzernen Rampen und Aufbauten (Bühne: Magdalena Gut), die im ersten und dritten Aufzug hin- und hergeschoben werden, verbreiten den Charme einer Probebühne. Ihre dramaturgische Funktion erschließt sich so wenig wie ihre provisorische Gestalt. Klingsors Zauberreich ist eine blaue Quaderlandschaft mit Leuchtkugel und Speer, der sogar in einer handwerklich dilettantischen Performance (Licht: Tobias Löffler) auf Parsifal geworfen wird: David Copperfield für Arme.

Leider kann der bekannte Theaterregisseur auch mit der Personenführung nicht punkten. Szenisch stellt er Kundry zu Beginn jedes Aufzugs in den Mittelpunkt, leitet daraus aber keine weiterführenden Konsequenzen ab. Dass diese Männergesellschaft keine lebendige ist, merkt man an den verblichenen Farben und der Patina auf den Gesichtern (nicht immer intonationssicher: Philharmonia Chor Wien/Leitung: Walter Zeh).

Stephen Gould schenkt diesem Parsifal glanzvolle Höhen und wunderbare Legatophrasierungen. Am ehesten kann noch Franz-Josef Selig die Figur des Gurnemanz mit Leben füllen. Ein treuer Diener, eine Vaterfigur für den vaterlosen Parsifal, ein Gebrochener am Ende – all das verkörpert der großartige Bass mit seiner Interpretationskunst, die fast in die Liedgestaltung hineinreicht. Gerald Finley bleibt als Amfortas selbst in den größten Momenten der Verzweiflung immer in der tragenden, farbenreichen Gesangslinie.

Ruxandra Donose (Kundry) fällt im Solistenensemble ein wenig ab, kann sich aber in der Begegnung mit Parsifal im zweiten Aufzug zu einer Partnerin auf Augenhöhe steigern. Evgeny Nikitin, von der Regie als bemalter Rocker mit Pferdeschwanz und Lederjacke gezeichnet (Kostüme: Monika Staykova), ist ein fieser Klingsor mit ausreichend Dämonie. Am Ende darf Parsifal samt leuchtendem Gralskelch auf seinen Hochsitz und bedeutungsschwer in die Ferne schauen. Was aus seinem in Lumpen gehüllten Volk wird, weiß man nicht, weil sich die Regie auch die Frage nicht stellt.

Dafür kann man ein letztes Mal in den Luxusklang der Berliner Philharmoniker eintauchen, ehe diese Eröffnung der Osterfestspiele Baden-Baden mit vielen Bravos für das Orchester und die Sänger und etlichen Buhs für die Regie endet.

Georg Rudiger