Noch nie so nötig wie heute: Das Kulturaggregat zeigt die Protestkunst von „Dies Irae“

Es gibt Städte, die dürften so ganz nach dem Geschmack des Kollektivs „Dies Irae“ sein. São Paulo gehört dazu sowie Grenoble und ab nächstem Jahr auch Genf. Seit 2007 ist die brasilianische Stadt werbefrei, acht Jahre später setzte auch die Stadt Grenoble durch, Werbeflächen im öffentlichen Raum abzuschaffen. Stattdessen wurden Bäume gepflanzt. 290.000 Flächen gibt es in Deutschland für Außenwerbung. Obwohl sie stumm sind, fällt es schwer, ihre lauten Botschaften zu ignorieren. Dass der öffentliche Raum überhaupt für Reklame genützt wird, ist für „Dies Irae“ ein Politikum, mehr noch, dass das Geld entscheidet, wer sie anmieten kann. Nicht grundlos hat sich das Kollektiv den Namen „Dies Irae“ gegeben, denn dieser Tag des Zorns läutet die Apokalypse ein. Werbung im öffentlichen Raum ist für „Dies Irae“ ein echter Aufreger. Seit 2013 ist die Gruppe in Deutschland aktiv, dass ihre Form des Widerstands aus der Street Art geboren ist, zeigt sich im Freiburger Kulturaggregat, das derzeit ihre Arbeit mit Fotos, Prints und Installationen vorstellt. „Nazis essen heimlich Falafel“ ist auf die weiße Wand gesprayt, das Stencil hängt daneben.

© DIES IRAE

Mit Adbusting allein, also dem Unterlaufen von Werbung im öffentlichen Raum, gibt sich das Kollektiv nicht zufrieden. Ein Großteil seiner Aktionen ist politisch – aus gegebenen und aktuellen Anlässen. Man kann davon ausgehen, dass „Dies Irae“ im Visier der Sicherheitsbehörden steht, auf einem ihrer Plakate wurden einmal DNA-Spuren sichergestellt. Daher sieht im Freiburger Kulturaggregat in einem kurzen Video den Mann in der Sicherheitsweste, der routiniert einen Schaukasten in Berlin aufschließt und das Plakat ersetzt, nur von hinten – als Teil einer 10 Städte-Plakataktion. Für die einen ist es eine legitime Protestform, Kunst, wenn nicht gar politische Aufklärung, für die anderen zumindest Sachbeschädigung. „Dies Irae“ ist Fan des öffentlichen Nahverkehrs und war daher während der Pandemie gegen Maskenverweigerer, das Kollektiv ist gegen Gentrifizierung und kapitalismuskritisch und selbstredend gegen rechte Gewalt.
Denn was soll man von einer Welt, in der mitten in einer deutschen Fußgängerzone die AfD ein Bürgerbüro aufmachen kann, auch halten? „Es geht doch nichts über den perfekten Standort, um darüber zu informieren, dass AfD-Politik in Wahrheit Reichen-Politik ist“ kann man weiß auf blau lesen, in einem Schaukasten, der sich unmittelbar vor dem Bürgerbüro befindet. Auf einem anderen Plakat prangt „Immer diese Einzeltäter“, der Schriftzug ist umgeben von Erinnerungen an Menschen wie Kevin S., der beim Anschlag von Halle 2019 starb oder an das Attentat auf den CDU-Politiker Andreas Hollstein, der 2017 wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik mit dem Messer bedroht wurde, aber auch von den Namen der Täter, etwa der rechtsterroristischen Vereinigung der Gruppe Freital (zur Erinnerung: acht Mitglieder wurden wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt). „Dies Irae“ ist so sprachmächtig wie versiert in visueller Kommunikation. Man darf vermuten, dass bei „Dies irae“, diesem Kollektiv mit politischem Langzeitgedächtnis und Humor, keine Amateure am Werk sind.

Dies Irae. Plakative Protestkunst, Kulturaggregat, Hildastr. 5, Freiburg. Mo, Do 18-20 Uhr, Fr, Sa 16-20 Uhr. Bis 24 Februar.

Bildquellen

  • Das Kulturaggregat zeigt die Protestkunst von „Dies Irae“: © DIES IRAE
  • Das Kulturaggregat zeigt die Protestkunst von „Dies Irae“: © DIES IRAE