Leises Plätschern: Die Fondation François Schneider zeigt die sechs Preisträger:innen des Wettbewerbs Talents Contemporains
Territorien befinden sich in Bewegung. Wo man vor einigen Jahren noch von der Ideologie der sich auflösenden Grenzen träumte, der Annäherung aneinander statt Abgrenzung zueinander, erhält der Begriff heute eine neue, bedrohliche Bedeutung. Sechs Preisträger:innen der 12. Ausgabe des Wettbewerbs Talents Contemporains befassen sich mit eben diesem Thema in der aktuellen Sonderausstellung der Fondation François Schneider im elsässischen Wattwiller. „Territoires mouvants“, also „Bewegte Territorien“, nennt sich die Schau, in der Aurélien Mauplot, Bilal Hamdad, Ugo Schiavi, Manon Lanjouère, Noemie Sjöberg und Ulysse Bordarias vor dem Hintergrund des Wassers verschiedene künstlerische Darstellungsformen nutzen, um sich mit Geopolitik, Migration und Umweltkrisen auseinanderzusetzen.
Ein leises Plätschern durchdringt den Ausstellungsraum. Der Blick schweift suchend umher, erfasst die malerische Aussicht, die die Fensterfront des Erdgeschosses auf den idyllischen Garten der Fondation preisgibt. Doch woher das Geräusch? Dem Gespür und Gehör folgend, werden die Besuchenden einige Treppen hinab geführt. Doch bevor man dem Geräusch auf den Grund gehen kann, steht man vor dem eindrücklichen Werk des algerischen Malers Bilal Hamdad. Eine unheimliche, bedrückende Ruhe strahlen die übergroßen (160 x 230 cm) Gemälde aus. Im Zentrum der Mensch, den die umliegende Dunkelheit zu verschlucken scheint. Sogartig schlängeln sich die dunklen Farbnuancen um die detailreichen, beinahe fotorealistischen Körper. Unter ihnen das Wasser, das sich nur durch den leichten Schimmer seiner Oberfläche zu erkennen gibt. Wasser, das nicht wie die Quelle des Lebens sondern wie eine Kreatur bedrohlich anmutet. Wasser, das für jene, die auf Schlauchbooten das Mittelmeer zu überqueren versuchen, tödlich sein kann. Bei Hamdads Werk lohnt ein genauer Blick. Neben „Nuit égarée“, angelehnt an John Everett Millais’ „Ophelia“, hält „L’horizon II“ den Blick gefangen. Zwei Körper, die einem Kreuz ähnelnd reglos aufeinander liegen. Die Frau, der untere Corpus, hält eine Blume in der Hand, im Wasser, etwas weiter von ihr entfernt, schwimmt ein Blütenblatt. Auf dem Bein des quer über ihr liegenden Mannes, der nur noch eine Badehose trägt, können aufmerksame Beobachtende ein kleines Boot, einem Papierschiff ähnelnd, entdecken. Seit 2014 starben rund 30.547 Geflüchtete im Mittelmeer – gefangen in kleinen Booten. Trotz der detailreichen Malerei, wirken die Menschen in Hamdads Werk ihrer Identität beraubt. Wer sind Jene, die das Wasser zu verschlingen droht?
Wer sich von dieser Werkreihe losreißen kann, den führt das Plätschern zu einer weiteren Treppe. Unten angekommen, werden die Besuchenden von dämmrigem Licht umhüllt. Ein kurzes Blinzeln und schon erhebt sich vor einem der „Leviathan“, Ursprung des Plätscherns und mystisches Symbolbild für Chaos und die Sündhaftigkeit der Menschen. Ugo Schiavis „Leviathan“ wirkt wie ein übergroßes Lebewesen aus Urgezeiten. Über sein Gesicht, das sich dem Betrachtenden erst bei genauerem Hinblicken offenbart, rinnt das Wasser, bahnt sich einen Weg über Plastikflaschen, altem Seegarn, Kabeln und all dem, was der Mensch im Meer hinterlässt. Eine kraftvolle Installation, die die Ausstellung mit ihrem leisen Plätschern mahnend umhüllt.
Eine neue Facette bringt die Werkreihe der spanischen Künstlerin Noemi Sjöbergs in die Ausstellung. In Video und Fotografie widmet sie sich Jugendlichen in Porto, die von der Dom-Luis-Brücken in den Fluss Douro springen. Nicht aus reinem Spaß. Umringt von Tourist:innen, Schaulustigen und Kreuzfahrtschiffen, springen die Kids für einen Euro. Zur Belustigung anderer, wird ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Sjöberg kritisiert den Massentourismus, der den Anwohner:innen nicht Wohlstand bringt, sondern sie zu Schauobjekten macht, ihren Lebensraum verschmutzt. Wie weit kann der Mensch die Territorien noch verschieben? Die Ausstellung in der Fondation François Schneider lädt zum Nachdenken ein.
Territoires mouvants. Fondation François Schneider, 27 Rue de la Première Armée, Wattwiller. Bis 09.03.25
Bildquellen
- Bilal Hamdad: „L’horizon II“, 2022-23 © Bilal Hamdad,: Foto: Elisabeth Jockers