Karikaturen statt Charaktere

Das Theater der Immoralisten bringt Ernst Tollers Drama „Hoppla, wir leben!“ auf die Bühne
Am Ende ist Karl Thomas ganz allein auf der Bühne – und gibt sich die Todesspritze. Dann geht das Licht aus. Obwohl Regisseur Manuel Kreitmeier den Schluss von Ernst Tollers fünfaktigem, autobiographisch geprägten Drama „Hoppla, wir leben!“ merklich gekürzt und dadurch auch seiner dramatischen Zuspitzung beraubt hat, ist die Schluss-Szene eine der wenigen, die wirklich unter die Haut gehen. Das Publikum im Theater der Immoralisten (besuchte Vorstellung: 24.2.) applaudiert lange.
„Hoppla, wir leben!“ ist die bisher größte Produktion, die das freie Theater stemmte. Für die Geschichte des gescheiteren Revolutionärs Karl Thomas, der von Camil Morariu mit bösem Blick und viel Emotion ausgestattet wird, haben die Immoralisten einen schmalen Gang gebaut, der von zwei Aufzügen begrenzt wird (Bühne: Jürgen Dworschak, Manuel Kreitmeier). Hier treten im Vorspiel die zum Tode verurteilten Revolutionäre heraus, bevor sie von Baron Friedrich (mit Machogehabe und dreckigem Lachen: Wigand Alpers) von der Aufhebung der Hinrichtung erfahren und ins Internierungslager gesteckt werden.

Der neue Präsident(Ulrich Winterhager) ist kein Freund der Demokratie

Hier gehen im eigentlichen Stück, das mit der Freilassung von Karl Thomas aus der Psychiatrie am 8. Mai 1927 einsetzt, Bankiers, Gewerkschaftler, Kriegsminister und Offiziere ein und aus. Der Innenminister und ehemalige Mitgefangene Wilhelm Kilman (schön schmierig: Markus Schlüter) ist ein begehrter Mann, der ständig am Handy hängt und seinen früheren Freund Karl Thomas abblitzen lässt.
Aber trotz allem Hin und Her nimmt der Abend nicht so richtig an Fahrt auf. Das liegt zum einen am schlechten Timing der Dialoge. Die Texte der Figuren wirken manchmal wie aufgesagt. Die Spannungskurve fällt immer wieder. Das liegt auch an den vielen Pausen, die wenig erzählen und zäh werden können. Besonders die Auftritte des in eine Lederhose gesteckten Provinzlings Antonio Denscheilmann als Pickel, der bei Toller als Running fungiert, nehmen immer wieder Tempo aus dem Geschehen, ohne dabei die intendierte absurde Komik zu entfalten.
Aber auch die Überzeichnung der Figuren zur Karikatur ist fragwürdig. Nadja Odermatt bleibt als überschminkte Politikergattin so klischeehaft wie Ulrich Winterhager als im Rollstuhl sitzender Kriegsminister mit Pickelhaube und Häkeldecke. Jochen Kruß ist ein verklemmter Gewerkschaftler ohne Biss, Florian Wetter ein irrer Irrenarzt.
Auch wenn der Abend etwas intimer wird und die Beziehung von Karl Thomas zu seiner Jugendliebe Eva Berg (Antonia Schirmeister) in den Fokus gerät, fehlt es an Differenzierung. Sebastian Ridder trägt als Graf Lande das Monokel aus einer der letzten Immoralisten-Produktionen „Bunbury“ – und spielt ihn ähnlich tuntig wie Jack Worthing. Auch für die aufgeklebten Schnurrbärte findet sich beim Bankier (Ulrich Herbertz) und seinem Sohn (Mirijam Busch) eine Zweitverwertung.
In manchen Momenten schafft es die Musik von Florian Wetter, dem Abend mehr Nachdruck zu verleihen. Die Pause zwischen dem Vorspiel und dem ersten Akt etwa lässt das Seelenleben des Revolutionärs während seiner achtjährigen Gefangenschaft hörbar werden, wenn sich sein Aufbegehren in heftigen Klang-eruptionen (Cello/Akkordeon: Hannah Schwegler, E-Bass: Steffen Peters, Klavier: Florian Wetter) widerspiegelt oder leise Töne von seiner Resignation künden. Hier lernt man noch am ehesten diesen Menschen kennen, in den Toller so viel von sich selbst gelegt hat. „So dreht euch weiter im Karussell“, sagt Karl Thomas im leider gestrichenen letzten Monolog kurz vor seinem Selbstmord, „tanzt, lacht, weint, begattet euch – viel Glück! Ich springe ab.“ Georg Rudiger

Weitere Vorstellungen: 1./3./ 7./9./10./14./15./18./21./29./ 30./31. März 2012, jew. 20 Uhr. Theater der Immoralisten, Ferdinand-Weiß-Straße 9-11, Freiburg. Karten: Tel. 0761/2111830