Joan Mirós fulminantes Alterswerk im Zentrum Paul Klee in Bern

Joan Miró: „Frau vor der Sonne I“, 1974, Acryl auf Leinwand, 258,5 x 194 cm Fundació Joan Miró, Barcelona Foto: Jaume Blassi © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich

Im Berner Zentrum Paul Klee zeigt sich, dass eine Ausstellung von längst Bekanntem nicht nur ästhetisch Freude macht, sondern auch manche Entdeckung bereit hält und den künstlerischen Stellenwert eines Werks erneut herausstellt. Mit 73 Arbeiten aus dem Spätwerk – Bilder und Skulpturen sowie eine der großen Wandarbeiten mit Textil/Collage (Sobreteixim) – wird die Gestaltungsvielfalt des katalanischen Künstlers Joan Miró (1893 – 1983) deutlich. Die Ausstellung entstand im Austausch mit der Fundació Joan Miró in Barcelona, die wiederum 2022 Paul Klee-Werke aus dem ZPK zeigen konnte. Diese Verbindung ist auch ikonographisch wichtig, da Klees Werk Miró entscheidende Impulse für neue bildkünstlerische Freiheiten gab: der Leere mehr Raum geben, Fläche und Linie als Einzelform zeichenhaft freisetzen – was durch Reisen in die USA und nach Japan vertieft wurde (vgl. Paysage, 1968, Acryl a. Lw., mit einem einzigen zartblauen kleinen Kreis auf der hellen Leinwand). In Bern wird der Übergang zu Mirós Spätwerk gezeigt, dessen fruchtbare Entwicklung sich auch dem neuen großen Atelier in Palma de Mallorca verdankt. Es wurde 1956 von Mirós Freund Josep Lluís Sert gebaut, der auch 1975 der Architekt des Fundació-Gebäudekomplexes in Barcelona ist. Im Atelier in Palma beginnt Miró damit, seine alten Werke einer Revision zu unterziehen (“Idee, die Malerei zu ermorden“). Er distanziert sich von seiner erfolgreichen, aber auch kommerzialisierten Malerei der surrealistischen Zeit und setzt dem einen starken gestischen bis „rohen“ Farbauftrag entgegen. Er überarbeitet Gemälde, indem er kontrapunktisch schwarze und farbige Linien und Formen auf das Vorhandene setzt, wobei Schwarz die dominante Farbe vieler Bilder ist und bleiben wird. War die Collage im Frühwerk als gestalterisches Hilfsmittel im Entwurfsprozess eingesetzt, wird sie nun Teil der Gestaltung selbst. Den großen Auftakt der Miró-Schau setzt das Modell der monumentalen Plastik „Liebespaar mit Mandelblüten“, die 1978 im Pariser La Défense-Viertel aufgestellt wurde. Auch eine Reihe von Gipsentwürfen macht Mirós plastische Themen und Formensprache anschaulich.

Miró schuf immer wieder Arbeiten für den öffentlichen Raum, um Kunst in der Gesellschaft und als Teil des Alltagslebens zu verankern. Im Rundgang präsentieren sich weitere Plastiken als bunt bemalte Bronzen. In den 1970er Jahren arbeitet Miró immer wieder an Bildern zum Thema Frau: Es sind flächig-schwarze Abstraktionen, die durch symbolhafte Zeichen als „Frau vor Mond“, „Frau vor Sonne“ oder „Frau auf der Straße“ bestimmt werden. Nicht nur in diesen gemalten Variationen zeigt Miró seine Experimentierlust. In einer Art Antimalerei arbeitet Miró seit 1971 an den sogenannten Sobreteixims, objekthaften Arbeiten, die bis zu monumentalen Wandarbeiten als Collage aus verschiedensten Materialien entwickelt werden, wie sie in der Fundació in Barcelona Ende 2022 zu sehen waren. Eine weitere Besonderheit in Mirós Spätwerk sind die Toiles brûlées, die als Serie 1973 entstandenen „verbrannten“ Leinwände. In diese Gemälde brennt der Künstler Löcher, öffnet also die Zweidimensionalität der Bildfläche in ebenso radikaler Weise wie es Lucio Fontana mit seinen Schnitten in die bemalte Leinwand tat. Eines dieser mit Feuer bearbeiteten Bilder von Miró ist so gehängt, dass Licht und Schatten die Löcher auf der Wand deutlich sichtbar machen – denn an die Wand gehängt, könnten bei der malerischen Gestaltung mit Weiß, Schwarz und Rot die Fehlstellen als Teil der Gestaltung übersehen werden. Eine bebilderte Vita und ein Film, der Miró in seinem Atelier von Palma zeigt, runden die Ausstellung ab.

Katalog: Joan Miró. Neue Horizonte /New Beginnings. 176 Seiten, Text dt./engl., ca. 100 farbige Abbildungen, CHF 38 – ISBN 978-3-86442-407-6
Joan Miró. Neue Horizonte. Zentrum Paul Klee, CH-Bern, bis 7. Mai 2023. www.zpk.org

Bildquellen

  • Joan Miró: „Frau vor der Sonne I“, 1974, Acryl auf Leinwand, 258,5 x 194 cm Fundació Joan Miró, Barcelona: Foto: Jaume Blassi © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich
  • Joan Miró bearbeitet eine seiner verbrannten Leinwände, 1973 Foto: Francesc Català-Roca: © Photographic Archive F. Català-Roca – Arxiu Històric del Col·legi d‘Arquitectes de Cataluny