Inkommensurables Sprechdrama

Im Theater Freiburg inszeniert Marcus Lobbes einen Schnelldurchgang durch Faust I und Faust II

Johanna Eiworth, Martin Weigel, Charlotte Müller Foto: Maurice Korbel

„Der Faust (…) ist doch ganz etwas Inkommensurables, und alle Versuche, ihn dem Verstande näher zu bringen, sind vergeblich“, zitiert Frank Pauly im Programmheft zum „Faust“ den Autor. Wer, wenn nicht einmal Goethe soll es denn wissen, scheint das Zitat nahezulegen. Tja, wer? Im Theater Freiburg hat sich nun Regisseur Marcus Lobbes nicht allein an den gänzlich inkommensurablen Faust II gewagt, er hat ihm auch den ersten Teil der Tragödie vorangestellt und das Ganze sehr flott, in gerade einmal zwei Stunden bewältigt. Tatsächlich sind nicht nur die Striche weitreichend – Faust I ist wesentlich auf den Pakt Fausts mit Mephisto und die Verführung Gretchens konzentriert – Lobbes unterbindet auch weitgehend jegliche Interaktion der sechs Darsteller (Frank Albrecht, Marie Bonnet, Johanna Eiworth, Mathias Lodd, Charlotte Müller und Martin Weigel). Das spart Zeit.

Das Publikum sitzt im Kleinen Haus in vier Blöcken um einen gläsernen Kubus, der oben und unten offen ist und der die Zuschauer widerspiegelt (Bühne: Wolf Gutjahr). Dann Auftritt der Schauspieler, deren Körper Wolf Gutjahr durch Schaumstoffelemente deformiert hat, die unter Trainingsjacken, Leggings und Streifenpullis stecken und die kubistische Skulpturen aus ihnen machen. Die Darsteller schlüpfen unter den Kubus und finden sich zu einem Menschenknäuel. Es spricht wie aus einem Mund.

Marcus Lobbes nimmt die Dialoge nicht als Rollen, sondern als Textflächen und lässt sie unisono vom Ensemble vortragen, später im Wechsel, so wie er es bereits bei seinen Vorgängerinszenierungen „Kaspar Häuser Meer“ von Felicia Zeller und Elfriede Jelineks „Rechnitz. Der Würgeengel“ praktiziert hat. Nur, Goethes Faust ist dialogisch konzipiert. Wer hier im Publikum nicht textsicher ist, wird kaum die Handlung oder im zweiten Teil die Debatten um Revolution und Evolution, antike und neuzeitliche Ästhetik verfolgen können. Mag sein, dass es den Regisseur auch nicht interessiert, doch was ihn wirklich interessiert, ist nur schwer aus dieser Inszenierung abzulesen.

Der Menschenknoten am Boden hat – wie Faust auch – seine Bestrebungen.
Er dreht sich im Kreis, eine Schulter hier gefasst, ein Bein dort und weiter geht’s im Text. Fällt das Stichwort „ins Freie“, löst sich das Knäuel und Charlotte Müller tritt als erste aus dem Inneren heraus und vor das Publikum.  Dann, im zweiten Teil tragen die Schauspieler goldfarbene Catsuits und nun wandert der Text im Kubus von einem zum anderen, die Darsteller stehen dem Publikum zugewandt und nehmen unspektakuläre Posen ein.

Konzentration auf den Text entsteht durch diese Art der Wiedergabe nicht, nicht einmal wird Neugierde an Faust oder gar Kritik an seiner maßlosen Hybris geweckt. Dass er sich Helena aneignet und mit ihr die Antike, dass hier Kriege geführt werden, gebrandschatzt, die Idylle von Philemon und Baucis in den Flammen aufgeht, Land gewonnen wird, dass hier ein Porträt des neuzeitlichen Menschen entworfen wird – geschenkt.
Wenn Marcus Lobbes‘ Inszenierung die Beweisführung darstellt, dass Faust II ein Lesedrama ist, wäre die Angelegenheit geglückt, wenn auch auf eigene Kosten.
Weitere Vorstellungen: 7./13. Juli, Theater Freiburg.
AH