Im Theater Basel geht „Die Dreigroschenoper“ durch den Prozess der Verfremdung erneuert heraus

Theater ist auch immer das, was man daraus macht. Auf der Großen Bühne des Theater Basel führt Jörg Pohl im Blaumann und Schiebermütze, mit Zigarre und runder Brille in die Kunst der Verfremdung ein. Sein süddeutsch gefärbter Singsang klingt ein bisschen so, als könnte Bertolt Brecht damit in Augsburg aufgewachsen sein. Zwei Gesten markiert und Jonathan Jeremiah Peachum steht vor uns, der Herrscher über ein Imperium von Bettlern, die alle auch nur markieren. Gleich wird er eine Lehrstunde geben, wie ein Bettler zu sprechen hat, damit er den Bürgern das Kleingeld aus den Taschen zieht. Die Bibel würde man hier nicht erwarten, doch weil Sprache Kapital und sie immer noch die beste Geschichtensammlung ist, wird sie bei Peachums sogar angekettet. Da in Antú Romero Nunes‘ Inszenierung alles dem Gesetz der Verfremdung unterliegt, ist von der Bibel jedoch nichts zu sehen.
Überhaupt ist in dieser schlackenlosen Inszenierung von Bertolt Brechts und Kurt Weills „Die Dreigroschenoper“ ausgesprochen wenig zu sehen. Zuschauer ohne Vorstellungskraft sollen nach Hause gehen, lautet also folgerichtig Pohls/Brechts Forderung, der natürlich nicht nachgekommen wird. „Wir machen hier armes Theater“, wird es später einmal heißen. Die Handlung ist Sprache: die Heirat zwischen Mackie Messer (Sven Schelker) und Polly Peachum (Aenne Schwarz), der Konkurrenzkampf zwischen Mackie Messer und Peachum, bei dem mal die Polizei, mal die Huren bestochen werden und der für den Verbrecherkönig in der Zelle enden wird. Alle tragen blaue Baumwollanzüge (Kostüme: Victoria Behr), und ein Gestänge aus Neonröhren, das vom Schnürboden gesteuert wird, ist sozusagen das Bühnenbild (Florian Lösche). Die Neonröhren sind mal horizontal, mal vertikal angeordnet, mal hängen sie sehr tief, einmal formieren sie sich zu einem Feld unzähliger Kreuze. Dennoch ist in diesen dreieinhalb Stunden viel zu sehen. Und obgleich alle diese proletarischen Blaumänner tragen, wirkt das so gar nicht wie Arbeit. Das großartige Ensemble spielt leichtherzig und bis in die Kampfszenen zwischen Mackie Messer und Polizeichef Brown (Thomas Niehaus) ausgesprochen körperlich und liefert ein Spektakel, das zudem witzig ist und auch vor dem Kalauer nicht zurückschreckt.
Denn eigentlich ist es mit „Die Dreigroschenoper“ ja eine Crux. Einerseits eine Antwort auf John Gays und Johann Christoph Pepuschs „The Beggar’s Opera“ und so von Beginn an ein Stück Theatergeschichte. Obendrein durch die leidige Geschichte mit den Erben, die eine weitergehende Bearbeitung des Stoffes verhindern, irgendwie eingefroren. Andererseits ist „Die Dreigroschenoper“ seit der Uraufführung 1928 ein Ohrwurm. Und auch in Basel, wo das Orchester mit auf der Bühne sitzt (musikalische Leitung: Sebastian Hoffmann), bekommt das Publikum „Die Ballade der sexuellen Hörigkeit“ ebenso zu hören wie den „Kanonensong“, das klingt mitunter sehr jazzig und sogar nach Charleston. Auch musikalisch macht das Schauspielensemble seine Sache wirklich gut, allen voran Sven Schelker (Mackie Messer) und Barbara Colceriu (Celia Peachum). In Antú Romero Nunes‘ Inszenierung sind die viel zitierten Bonmots Brechts (von der Aufforderung, nicht so romantisch zu glotzen bis hin zur Abwägung, ob es ein größeres Verbrechen sei, eine Bank zu gründen als sie auszurauben), viel zitierte Bonmots. Doch indem Regisseur und Ensemble sich derart auf die Sprache konzentrieren, klingen sie wieder nachdenkenswert. Und wenn am Ende doch noch mit der Verfremdung gebrochen wird und es Theaterplüsch und Naturalismus zu sehen gibt, ist man sofort bereit, wieder an die Kraft der Bühne zu glauben. Draußen vor dem Theater haben sich die wirklichen Bettler mittlerweile einen Schlafplatz gesucht. Die Frage ist, was man daraus jetzt macht.

Weitere Vorstellungen: 25. März, 30. April Große Bühne, Theater Basel.

Bildquellen

  • Bühnenarbeiter in Brechts Werk: Foto: Ingo Hoehn