Im grünen Bereich: Im Theater Freiburg wurde das Auftragswerk „Rauflust oder Fifty Shades of Green“ von Herbert Fritsch uraufgeführt
Was kann denn jetzt noch kommen? – Auf wie viele Arten man sich verbeugen kann. Da gibt es den Impresario, der alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, den Ausreißer, die Diva. Und niemand gönnt dem anderen etwas, schon gar keinen Blumenstrauß – von wegen Teamleistung. Angeheizt vom Freiburger Publikum, das sich sichtlich freut bei Herbert Fritschs Auftragswerk für das Theater Freiburg „Rauflust oder Fifty Shades of Green“ die Rolle des Anheizers übernehmen zu dürfen, geht es im Großen Haus am Anfang noch einmal in die Verlängerung. Das Verbeugen ist ja im Theater eine Praxis, die damit bricht so zu tun als wären die Zuschauer nicht da und als wäre das Ensemble identisch mit seinen Rollen.
Zwischendurch kann man einen Blick auf die Bühne werfen. Ein paar sehr große Vögel, dazwischen eine Maria Magdalena mit einem Totenkopf, die Venus von Milo und ein Faun, der seinen Rausch ausschläft. Regelmäßige Besucherinnen und Besucher von Freiburger Inszenierungen dürften diese Bühnenplastiken bereits kennen, sie sind aus dem Fundus. Auf eher kleinen Bildschirmen laufen abstrakte Videos, manchmal sieht das aus als lösten sich Millefiori-Perlen auf. Zwei zapfenförmige Gewichte einer Kuckucksuhr vollbringen ihr mechanisches Werk im Schnürboden – vielleicht als Hinweis auf eine gut geölte Theatermaschinerie oder als Wink auf die Erotikserie, auf die der Titel anspielt. Doch weder wird dies in den kommenden 90 Minuten eingelöst noch die Referenz auf die „grüne“ Stadt Freiburg. Wären nicht wirklich die Gesichter, Haare, Hände, Beine und überhaupt die Kostüme derart grün (Bühne und Kostüm: Herbert Fritsch), man könnte glauben, es mit Fifty Shades of Bowing zu tun zu haben. Denn da ist noch die Verbeugung eines Staatsschauspielers, die lässige, eitle und bedeutungshubernde Verbeugung. Aber auch das ist irgendwann einmal vorbei. Und nach einer halben Stunde voller beißender Textseiten, sehr viel Atmen, Ekel, Panik und auch Schadenfreude geht Holger Kunkel dazwischen, fordert schneidend auf: „können wir anfangen“ und „Dann wollen wir mal“ und macht Petitessen vor. Sollte es hier etwas anderes geben als ein Kollektiv?
Herbert Fritschs Karriere als Regisseur ist eng mit Peter Carps Intendanz am Theater Oberhausen verbunden. „Rauflust oder Fifty Shades of Green“ steht nun am Ende von Carps Freiburger Zeit. Das allein dürfte ein Geschenk sein, vor allem jedoch erweist es sich als Geschenk an das Schauspielensemble, das durch Kollegen und Kolleginnen von der Musiksparte und Gäste erweitert wurde. Die 13 Darstellerinnen und Darsteller können ganz befreit ohne Text und Handlung aufspielen, dafür ist alles geschmeidig choreografiert. Wer das Programmheft durchliest, stößt auf Fritschs Missbehagen am Konzept von Theater als kritische Instanz. Jeden gesellschaftlichen Auftrag für das Theater lehnt er ab. Theater soll ein offenes Experiment sein, ein leeres Blatt. Einmal formiert sich das Ensemble zu einem Kreis von Protestierenden, auf deren Schildern nichts zu lesen ist. Charlie Casanova, die Fritschs Arbeit seit einigen Jahren in Zeichnungen festhält und in Freiburg auch auf der Bühne steht, vermerkt im Programm: „Für Hintergrund und Schrift die selbe Farbe zu verwenden: sehr ineffektiv“. Und ein anderes Mal rollt eine Treppenkonstruktion auf die Bühne, wer auf dieser Rednertribüne steht, könnte sich wie Lenin fühlen. Manche haben das Zeug zum Volkstribun, anderen versagen die Beine, wieder andere schlafen ein, ein weiterer verkriecht sich unter ihr. Doch eine Utopie stellt Fritsch auch nicht dar. Henry Meyer kippt wie ein steifes Brett um, wird von den anderen aufgefangen, doch aus der Rettung wird bald ein böses Spiel. Wenn die Haltung darin besteht, keine zu haben, bleibt vieles willkürlich. Den ganzen Abend arbeitet sich das Ensemble durch ein selbstreferenzielles Theatervokabular durch, das einerseits ausgesprochen kurzweilig ist, aber andererseits auch kaum bleibende Eindrücke hinterlässt. Außer diesem: wie frei Theater sein kann.
Weitere Vorstellungen: 3./4. und 15. Juni im Großen Haus des Theater Freiburg. theater.freiburg.de
Bildquellen
- Im Theater Freiburg wurde das Auftragswerk „Rauflust oder Fifty Shades of Green“ von Herbert Fritsch uraufgeführt: Foto: Thomas Aurin