Im Gespräch: Prof. Dr. Rainer Grießhammer, Träger des Deutschen Umweltpreises

Er war langjähriger Geschäftsführer des Öko-Instituts, ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg, Bestsellerautor, Träger des Deutschen Umweltpreises und wurde vor kurzem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet: Professor Rainer Grießham-mer, der seit langemvor dem Klimawandel warnt, ist aber auch Hoffnungsträger. In seinen Büchern fordert der promovierte Chemiker nicht nur eine engagierte Klima-schutzpolitik und nachhaltigen Konsum, sondern zeigt auch Perspektiven auf – wie in seinem jüngst erschienenen Verhaltens- und Politikratgeber „#klimaretten“. Friederike Zimmermann, die nicht glauben kann, dass es noch immer Klimawandel-Leugner gibt, wollte von ihm wissen, wie man diese überzeugen und ein bisschen mehr Schwung in die Zukunftsdebatte bringen kann.

Kultur Joker: Herr Grießhammer, die ersten Zeilen Ihres Buches „#klimaretten“ sind formuliert wie ein Supermarktschild: „Gute Argumente, Fakten und CO2-Werte – Jetzt und Hier!“ Warum ist es nötig, diesen Ton anzuschlagen?

Grießhammer: Der Ton soll direkt ansprechen und zielt auf die jüngere „Fridays for Future“-Generation ab.Denn ich habe auf den Diskussionen, Demos usw. gemerkt, dass diese jungen Leute zwar sehr engagiert sind, es ihnen aber vielfach an Argumenten fehlt. Für eine andere Politik und anderes Verhalten.

Kultur Joker: Sie wollen den Lesern also nicht nur Tipps für eine nachhaltigere Lebensweise geben,sondern ihnen Rüstzeug an die Hand liefern, sie wappnen, um sich gut gegen die Klimaskeptiker durchsetzen zu können. Das hat fast schon etwas Kämpferisches… Müssen wir zum Schutz des Klimas eine Art Kampf führen?

Grießhammer: Klimaschutz ist ja hart umstritten und wird vor allem auch von der Seite stark bekämpft, die im Grunde ganz besonders zur Klimaerhitzung beiträgt: Die Mineral-ölindustrie beispielsweise oderdie Betreiber von Kohlekraftwerken. Es gibt regelrechte Lobbyverbände, wie es sie früher bei der Tabakindustrie gegeben hat. Diese versuchen gezielt mit Scheinargumenten und Verunsicherung notwendige Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern. Insofern muss man sich dafür rüsten, ja, und sehr klare und harte Argumente bereit haben, um den Klimaschutz voranzubringen. Verhalten und Verhältnisse müssen geändert werden.

Kultur Joker: Sie sagen, der Klimaschutz ist „umstritten“ – das kann man doch gar nicht glauben… Ist er tatsächlich inhaltlich umstritten, oder wollen die Lobbyisten nur ihre Pfründe verteidigen?

Grießhammer: Man kann kaum noch verstehen, wie das jemand noch nicht realisiert haben kann. Gerade in den letzten drei Jahren ist der Klimawandel auch in Deutschland sehr deutlich geworden. Früher war es ja so, dass die Szenarien und Prognosen noch fernere Zeiten und andere Länder betrafen, etwa Inselstaaten, die weit entfernt sind. So dachten viele, na ja, wenn’s ein bisschen wärmer wird, ist das ja auch nicht so schlimm. Aber jetzt häufen sich die Extremwetter-Ereignisse auch in Deutschland: Starkregen und Überflutungen, Dürren, Waldbrände, Wassermangel – im Schwarzwald versiegen die Quellen. All das international noch verstärkt durch sehr ungewöhnliche Ereignisse: In Sibirien taut der Permafrost auf, im Amazonas-Regenwald gab es dieses Jahr 200.000 Brände. Also hallo: Der Klimawandel ist da. Aber immer noch zeigt sich bei vielen ein persönlicher Widerstand und eine Art Trägheit: Wenn man das jetzt wirklich ernst nehmen würde, so müsste man ja auch persönlich aktiver werden.

Kultur Joker: Da das „gedankliche Greenwashing“ und die Verdrängung sogar in den eigenen vier Wänden bestens funktionieren, ist neben Vehemenz auch subtiles Vorgehen gefragt.In Ihrem Buch haben Sie „Klimachecks“ erarbeitet, mit denen man in wenigen Minuten die eigene Lebensweise auf wirklich nachhaltiges Verhalten überprüfen kann. Warum das?

Grießhammer: Viele glauben, dass sie eigentlich recht umweltbewusst leben, weil sie Müll trennen, ein paar Energiesparlampen eingeschraubt haben und gelegentlich im Bioladen einkaufen. Aber wer die vier Klimachecks für Mobilität, Wohnen, Ernährung und Stromverbrauch durchgeht, merkt schnell, dass er beim Ranking nicht bei A oder B landet, sondern bei E und F.

Kultur Joker: Ein Grund dafür ist vielleicht, dass vielen klimaschonendes Verhalten wie ein Aufruf zur Askese erscheint. Ist denn Askese wirklich nötig?

Grießhammer: Überhaupt nicht. Vieles kann man allein schon mit Effizienz und leicht verändertem Verhalten erreichen. Die meisten Maßnahmen zum Strom- oder Heizenergiesparen lassen sich ohne jede Komforteinbuße hinbekommen. In anderen Bereichen ändert man sein Verhalten, indem man zum Beispiel mehr Fahrrad fährt oder mehr vegetarisch isst. Beides ist gut für die Gesundheit; und es gibt äußerst leckere vegetarische Gerichte. Das ist doch eher ein Komfortgewinn.

Kultur Joker: In Ihrem Buch zeigen Sie, dass viele Klimaschutzmaßnahmen auch finanziell vorteilhaft sind. Ist den Menschen der eigene Geldbeutel näher als das Klima?

Grießhammer: Zumindest reden sich viele mit dem Argument heraus, dass sie sich Umwelt- oder Klimaschutz finanziell gar nicht leisten können. Das ist kompletter Unsinn. Wenn man Strom- oder Heizenergie spart, ein kleines Auto fährt oder gar Carsharing nutzt, spart man sehr viel Geld. Davon kann man problemlos auch noch den Mehrpreis von Biolebensmitteln zahlen. Das Erstaunliche ist vielmehr, dass die meisten Haushalte die hohen Einsparungspotentiale gar nicht nutzen. Zwei Drittel von befragten Haushalten konnten weder ihre ungefähren Stromkosten noch ihren Stromverbrauch angeben.

Kultur Joker: Aber wo registriert man dann die höheren Kosten?

Grießhammer: Meistens nur in der Gesamtsumme. Das Geld wird irgendwie knapp, und dann lästert man beispielsweise über höhere Benzin- oder Strompreise. Es ist aber tatsächlich ein Problem, dass man bei einer Reihe von Klimaschutzmaßnahmen keine direkte Rückmeldung bekommt. Wenn Sie ein neues Gerät kaufen, schlägt sich das erst in den nächsten Jahren in der Stromrechnung nieder. Oder man spart 15% Heizenergie und es folgt ausgerechnet ein kälterer Winter und Sie verbrauchen mehr Heizenergie. Eine direkte Rückmeldung bekommt man dagegen beim Betanken eines Autos, da rattern die Euro-Beträge richtig hoch.

Kultur Joker: Wie ließen sich denn solche Rückmeldungen bei Klimaschutzmaßnahmen einbauen?

Grießhammer: Wenn die Bundesregierung die CO2-Bepreisung wie in anderen Ländern auf 100 Euro statt 25 Euro gesetzt hätte, würde man beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen eine direkte Rückmeldung bekommen. Und wenn das Fliegen nicht so gnadenlos subventioniert wäre, würde man innerdeutsch nicht fliegen und sich jede Ferienreise gut überlegen. Im Haushalt selbst kann man natürlich den Strom- und Gasverbrauch selbst ablesen und beim Auto die gefahrenen Kilometer und den Durchschnittsverbrauch.Beim Fahrradfahren merkt man schnell, wieviel Benzingeld man spart, indem man das Auto stehen lässt.

Kultur Joker: Und wie sieht es mit Ihrer Lebensweise aus?

Grießhammer: Meine Devise war schon immer, nur Maßnahmen zu empfehlen, die ich auch selbst einhalte. Um es konkret zu machen: Wir haben zu zweit eine sehr kleine Wohnung mit 67 qm.Wir haben kein Auto, nutzen Carsharing, aber radeln meistens. Unser Stromverbrauch liegt bei 900 KWh (der eines vergleichbaren Zwei-Personen-Durchschnittshaushalts liegt bei 3.500 KWh). Und wir essen wenig Fleisch. Innerdeutsch oder auf kurzen Strecken fliege ich überhaupt nicht. Meine Schwägerin mit Familie wohnt aber in Kalifornien, da sind wir schon hingeflogen. Von daher ist meine Lebensweise also nicht zu hundert Prozent „Öko“, aber wenn sich alle so verhalten würden wie ich, wären die CO2-Emissionen nur halb so hoch.

Kultur Joker: Aber wie ist es, wenn die Radwege gefährlich sind oder man auf dem Land wohnt, oder wenn die Bahnfahrt nach Berlin teurer ist als der Flug?

Grießhammer: Nicht so leicht. Gerade deshalb lege ich im Buch den Schwerpunkt auf Politik und passende Rahmenbedingungen. Der öffentliche Nahverkehr muss besser und billiger werden und auch die Region besser einbinden. Die Radwege müssen ausgebaut werden, breiter und sicherer werden – deshalb unterstütze ich auch den Freiburger Fuß- und Radentscheid. Und die hohen Subventionen beim Fliegen müssen gekappt werden. Es ist ja leider so, dass beim Fliegen die Kerosinsteuer bzw. Mineralölsteuer, nicht bezahlt werden muss, bei internationalen Flügen auch die Mehrwertsteuer nicht. Jeder Bahnreisende, jeder Autofahrer, bezahlt das, nur der Flugpassagier nicht. Deshalb ist Fliegen auch so billig, deshalb sind innerdeutsche Flüge häufig günstiger als die Bahnfahrt. Würde das ordentlich besteuert, so sähe das komplett anders aus. Dann würde man nicht übers Wochenende mal schnell nach Barcelona fliegen, weil das einfach zu teuer wäre.
Ein anderes Beispiel ist das Dienstwagenprivileg, durch das ein Arbeitgeber seinen Angestellten sehr kostengünstig ein Auto zur Verfügung stellen kann und dafür minimal Steuern zahlt.Zum einen bevorzugt das Dienstwagenprivileg also diejenigen, die sowieso mehr Geld haben (denn die anderen bekommen in der Regel keinen Dienstwagen). Zum anderen dominiert es den Automobilmarkt, denn schließlich würden sonst längst nicht so viele große Autos gebaut und verkauft. Also wie ich im Buch schon gesagt habe: Man muss Verhalten und Verhältnisse ändern. Das bedingt sich gegenseitig. Ohne das eine wird es das andere nicht geben.

Kultur Joker: Aufklärung ist wohl das einzige Mittel, in den Köpfen etwas zu bewegen. Dafür bietet Ihr Buch eine tolle Grundlage, eine Art „Gebrauchsanleitung“ für alle, sind die Zusammenhänge unseres Ökosystems und des Klimawandels doch sehr komplex. Aber nun heißt es Leute dazu zu bewegen, das Buch auch zur Hand zu nehmen. Die aber haben in der Regel wenig Lust, sich nach Feierabend noch mit so komplexen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Welche Wege gibt es noch die Leserschaft zu erreichen?

Grießhammer: Das Lesen von Umweltbüchern hat leider stark nachgelassen, gerade bei den jungen Leuten. Deshalb haben wir uns überlegt, 20 Klimaschutzvideos zu machen, die von Moritz Bross mit den beiden Darstellern Anna Nell und Simon Sumbert auf der Grundlage des Buches „#klimaretten“ produziert und von der Freiburger Bürgerstiftung finanziert wurden. Behandelt werden alle Themen in Verbindung mit Klimaschutz nach den 17 Umweltzielen der UN, die in der Agenda 2013 verabschiedet wurden. Die Clips dauern immer zwischen einer und zwei Minuten und bieten sehr schnell einen Einblick auf ein Thema. Verbreitet werden die Low-Cost-Videos hauptsächlich in sozialen Medien wie YouTube und Instagram. Dazu gibt es noch Verweise auf eine Website, wo man genaue Hintergrundinfos zum Thema findet. Das ist eine Art gestufte Herangehensweise, mit der man sicher viel mehr Leute erreicht als mit dem Buch. Die Videos wurden schon in den ersten drei Wochen 10.000-20.000 Mal angeschaut, das Buch hat sich nach einem Dreivierteljahr etwa 2500 Mal verkauft. Je mehr Videos veröffentlicht werden, desto mehr pushen sie sich auch gegenseitig.

Kultur Joker: Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie „schwanken zwischen Zuversicht und Frust“. Dass Klimaretten nun mal auch bedeutet, uns selbst zu retten, ist offenbar immer noch nicht überall angekommen?

Grießhammer: Es ist tatsächlich so, dass die Klimaerhitzung auf die nächsten Jahrzehnte und erst recht darüber hinaus viel bedrohlicher ist als alles, was es je zuvor an Umweltbedrohung gab. Auf der anderen Seite sind viele Maßnahmen schon eingeleitet, die Erneuerbaren hatten im ersten Halbjahr 2020 schon einen Anteil von 50% an der Stromproduktion und auch bei der Mobilität und Ernährung beginnt die Transformation. Ich glaube nicht, dass das 1,5-Grad-Limit noch eingehalten werden kann. Aber mit starken Klimaschutzmaßnahmen kann die Klimaerhitzung noch erheblich abgeschwächt werden. Mit jeder 0,1-Grad-Erhitzung, die noch verhindert wird, können wir vieles retten.

Kultur Joker: Aber reversibel ist der Klimawandel nicht?

Grießhammer: Man wird es vielleicht in 100 Jahren oder später schaffen, tatsächlich wieder auf die alten CO2-Werte zurückzukommen, aber ohne starken Klimaschutz sind die Gletscher weg, die Meere gestiegen, viele Wälder gestorben, die Permafrostböden aufgetaut. Mit hohem Engagement können wird diese Kipppunkte hoffentlich noch verhindern. Denn diese wirken wie Multiplikatoren, deren Kettenreaktion man gar nicht absehen kann.

Kultur Joker: Es lohnt sich also zu kämpfen?

Grießhammer: Auf jeden Fall. Und klar ist: Unsere Enkel werden uns sonst sicher fragen, warum habt ihr nichts gegen die Klimaerhitzung gemacht?

Kultur Joker: Herr Grießhammer, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!

Rainer Grießhammer: #klimaretten. Jetzt Politik und Leben ändern. Lambertus Verlag, Freiburg i.B., 20202, 19,90 Euro.
Klimaschutzvideos: www.freiburger-buergerstiftung.de/2020/07/21/klimaschutzvideos/ oder www.youtube.com/channel/UC79qgXPQVE9EohEFpKAEmxw/videos

Bildquellen

  • Prof. Dr. Rainer Grießhammer: Bicker