InterviewTanzTheater

Im Gespräch mit Sonja Karadza, Jürgen Eick, Sandro Lunin vom Performing Democracy Festival

Vom 6. bis zum 16. Juni findet nach dem Aussetzen und den Einschränkungen der Ausgaben von 2020 und 2022 das Internationale Festival der Darstellenden Künste in Freiburg wieder mit vollem Programm statt. Es heißt jetzt „Performing Democracy“. Warum es umbenannt wurde und worum es bei dem von E-Werk, Theater Freiburg und Theater im Marienbad gemeinsam organisierten Festival geht, erfuhr Bettina Schulte im Gespräch mit Sonja Karadza, Jürgen Eick und Sandro Lunin.

Kultur Joker: In den letzten Jahren gab es eine ziemliche Namensdynamik um das Freiburger Festival für Tanz, Theater und Performing Arts. Was hat Sie dazu bewogen, dem Festival jetzt eine inhaltliche Richtung zu geben: „Performing Democracy“?

Karadza: Wir hatten in Freiburg früher zwei Festivals: ein internationales Tanzfestival, das vom E-Werk ausgerichtet wurde, und das internationale Theaterfestival, gemeinsam kuratiert vom Stadttheater und vom Theater im Marienbad. Das Theaterfestival wurde aus Kostengründen von der Stadt gestrichen, das Tanzfestival blieb erhalten. Es gab dann einen Moment, in dem sich die damaligen Leitungen der drei Institutionen zusammengesetzt und festgestellt haben, dass die Grenzen zwischen den Genres Tanz, Theater und Performance fließend geworden sind. Es entstand die Idee, an die Stadt heranzutreten, um ein gemeinsames Festival für die Performing Arts ins Leben zu rufen. Damals unter dem Titel „Tanz- und Theaterfestival Freiburg“. Das war 2014. Verbunden war damit die Idee, Produktionen in den jeweiligen Häusern zu zeigen, die dort nicht üblich sind. Es ging nicht darum, die Sparten zu bedienen, sondern für ein Gastspiel den geeigneten Raum zu finden, das Programm sollte möglichst durchlässig sein. Beim Kuratieren haben wir zwar unser Expertinnenwissen eingebracht, aber alle Kuratierenden sollten in Frage kommende Aufführungen ansehen. Peter Carp, der als Intendant der Städtischen Bühnen auf Barbara Mundel folgte, wollte das Festival fortsetzen, fand aber den Namen zu sperrig. Als „Freiburg Festival“ sollte es eine Marke setzen. Das ist uns nicht gelungen, weil die Marke schon besetzt war. Dann sind wir in eine thematische Suchbewegung gegangen: Der erste Titel war „How close is far“. Wir haben uns dann auf den Untertitel „Performing Democracy, Art, Clima“ etc. geeinigt. Nach dem Stand der Weltpolitik ist uns klar geworden, dass wir statt dessen noch einige Ausgaben mit dem Titel „Performing Democracy“ machen.

Lunin: Ich kam dazu, als der Titel schon stand, aber ich freue mich sehr darüber. Denn er zeigt, dass wir uns auch um Gesellschaft und Politik kümmern und nicht einfach ein „Kunstfestival“ machen. „Performing“ weist darauf hin, dass es ein Festival der darstellenden Künste ist. Sie stehen im Zentrum in all ihren Variationen.

Eick: Es ist eine Schärfung des Profils. Wir müssen uns auch überregional positionieren, uns fragen, in welchem Kontext wir mit anderen Festivals in Deutschland stehen. Man muss seine Lücke finden. Vor zwei Jahren sind wir auf die Demokratie als Alleinstellungsmerkmal gekommen. Der Name Freiburg Festival nach der Plattform-Idee Berliner Festspiele war zu allgemein und führte ästhetisch und inhaltlich zu einem wilden Mischmasch. Was mich darüber hinaus besticht: Es ist eine wundersame Zusammenarbeit zwischen drei Häusern, die ästhetisch unterschiedlich unterwegs sind, und bietet die seltene Gelegenheit, dass wesentliche Institutionen in Freiburg gemeinsam über Inhalt nachdenken. Da muss weiter dran gearbeitet werden. Dieses Festival ist extrem wichtig für Freiburg.

Kultur Joker: Das Festival wurde geboren aus der Zusammenarbeit zwischen dem AAK, dem Arbeitskreis für Alternative Kultur, und dem Theater. Wieviel von dieser Vorgeschichte findet sich in den heutigen Organisationsstrukturen wieder?

Karadza: ich finde es extrem spannend, dass wir in unseren Häusern jeweils ein ganz anderes Publikum ansprechen und das Programm dementsprechend größer aufstellen. Damit können wir recht viele Bürger und Bürgerinnen der Stadt abholen.

Lunin: Die Offenheit zwischen den Institutionen finde ich sehr spannend. Das Theater Freiburg, für das ich hier am Tisch sitze, erlebe ich nicht nur in der Tanzsparte mit ihren Gastspielen als ungemein interessiert an internationalen Entwicklungen. In der Zusammenarbeit glückt sehr viel. Man gibt sich gegenseitig die Hand und entwickelt eine gemeinsame Energie.

Eick: Die gemeinsame Programmgestaltung schützt auch vor Betriebsblindheit. Ich sage es mal einfach so: Es ist klug, was wir machen. Wir sind in unseren eigenen Sparten das ganze Jahr unterwegs. Es ist klug, diese Ressourcen zu bündeln. Und inspirierend. Es geht ja auch darum, produktive Spannungen zu entwickeln. Da wird gestritten um das beste Ergebnis. Diesen Streit hat Freiburg verdient.

Kultur Joker: Wie viele andere Kulturveranstaltungen hat das Festival stark unter den Maßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus gelitten. 2020 ist es komplett ausgefallen, 2022 gab es eine abgespeckte Version. Kann man von einem Neuanfang sprechen?

Karadza: Auf jeden Fall. Wir stellen in unseren Häusern fest, dass die Menschen zurückkommen und hungrig auf Kultur sind. Gerade ein solches Festival mit dieser Schwerpunktsetzung kann diesen Hunger stillen.

Eick: Für ein internationales Festival ist eine Corona-Pandemie nicht nützlich. Wir waren ziemlich abgeschnitten. Zum Glück produzieren die Künstler jetzt wieder und touren auch. Wir präsentieren neue Produktionen, die weltweit gezeigt werden.

Lunin: Europaweit gibt es schon noch ein Zögern. Der Austausch mit den Kontinenten des Südens – Lateinamerika, Afrika, Asien –, hat extrem stark gelitten. Es hat eine Art von Re-Nationalisierung und Re-Lokalisierung stattgefunden, der wir bei unserem Festival deutlich entgegentreten mit einem interkontinentalen Programm.

Kultur Joker: Die Grenzen zwischen Tanz und Theater sind durchlässiger geworden, die ästhetischen Mittel vielfältiger. Geht das zu Lasten der Sprache – gerade bei internationalen Produktionen?

Lunin: Das sehe ich nicht so. Wir haben heute mit den Übertiteln die Möglichkeit, Verständigung herzustellen. Das hat sich sehr etabliert. Die Gruppen haben gelernt, mit dieser Form zu arbeiten. Das kann ein sehr schönes und spannendes ästhetisches Mittel sein.

Karadza: Und Personen, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, sind herzlich eingeladen, die Aufführungen in ihrer Sprache zu verfolgen.

Eick: Ich nähere mich Produktionen nicht über die Sprache. Sondern über die Inhalte. Und manchmal ist es wichtig, die Originalsprache zu hören. Auch wenn man sie nicht versteht. Der Erklärbär darf nicht überall herumstehen.

Kultur Joker: Es gibt drei Schwerpunkte, die sich während der Zusammenstellung des Programms für Sie herauskristallisiert haben: Klimawandel und Utopie, Demokratie und Widerstand, Krieg und Kindheit: Gibt es etwas, was diese Schwerpunkte vereint? Und wie sind die Begriffs­paarungen zu verstehen? Klimawandel wird in der Regel eher mit Apokalypse zusammengebracht, Demokratie braucht keinen Widerstand, wenn man von den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen und der Landwirte hier und in Frankreich absieht.

Karadza: Was alle Produktionen aus meiner Sicht miteinander verbindet, ist die unbändige Energie, die von ihnen ausgeht. Wir wollen nach vorn schauen. Das gilt auch für den Schwerpunkt Klimawandel. Die brasilianische Tanzproduktion „Encantado“ von Lia Rodrigues, die nach ihrem gefeierten Auftritt mit „Furia“ vor zwei Jahren im Kleinen Haus wieder in Freiburg zu erleben ist, weiß um die Kraft von Verzauberung, Magie und Beschwörung und birgt damit das utopische Potenzial einer anderen, naturnäheren Lebensweise.

Eick: Was den Widerstand angeht, sind gerade auch die beiden Musikproduktionen zu nennen. Von den Dakh Daugthers, einer fünfköpfigen Frauenband von ehemaligen Musikstudentinnen, die seit dem Majdan in der Ukraine Kult sind und nach dem russischen Überfall im Exil leben, geht eine Wahnsinnspower aus. Das sagt schon der Titel ihres szenischen Konzerts im Großen Haus des Theaters: „Ukraine Fire“. Mindestens ebenso kraftvoll ist die Performance von Martá Gornicka, die mit 21 ukrainischen, polnischen und belarussischen Frauen im Chor auftritt unter dem Titel „Mothers – A Song of Wartime“.

Lunin: Und nicht zu vergessen die Produktion „Depois do silencio“ der brasilianischen Theatermacherin Christiane Jahaty, die nach 2018 auch zum zweiten Mal zum Festival eingeladen worden ist und mehrfach in Zürich gearbeitet hat. Das auf einem Roman und einem Dokumentarfilm über die Ermordung eines Gewerkschaftsführers basierende Stück beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Sklaverei in Brasilien und verknüpft damit die Hoffnung auf einen Wandel.

Kultur Joker: Können Sie eine Produktion nennen, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Lunin: Wir waren uns ganz schnell einig, dass wir „SPAfrica“ von Julian Hetzel und Ntando Cele einladen wollten, eine Performance, die den Zusammenhang von Kapitalismus und Rassismus über das Gefühl der Empathie erkundet. Ich kenne die phantastische Performerin Ntando Cele aus meinen Jahren als Kurator in der Schweiz. Es ging bei der Auswahl aber vor allem darum, neben inhaltlich überzeugenden Arbeiten ein möglichst breites Spektrum an ästhetischen Formen zu zeigen: vom großen Format bis zur intimen Installation des palästinensischen Künstlers Basel Zaara, bei der jeweils ein einziger Zuschauer ein 15-minütiges Stück erlebt. Es ist diese Vielfalt, die mich begeistert.

Karadza: Zu dieser Vielfalt zählt auch das Rahmenprogramm, für das wir mehrere andere Freiburger Institutionen gewinnen konnten: das kommunale Kino, das Literaturhaus, das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus, den Slow Club und die Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk. Ich persönlich freue mich besonders darauf, alle Inszenierung live zu sehen und auf das Foyer danach: die Gespräche, den Austausch mit dem Publikum, mit den Künstlern und Künstlerinnen, diese sehr besondere Stimmung, die man auf Festivals genießen kann.

Kultur Joker: Festivals, so meine Beobachtung, werden im Kulturbetrieb immer beliebter. Das Publikum sucht und liebt den Eventcharakter. Sollte man künftig noch mehr auf Festivals setzen?

Lunin: In Festivals bündeln sich große Energien. Sie ragen aus dem alltäglichen Kulturbetrieb heraus. Aber sie müssen auch etwas Herausragendes bleiben. Und der alltägliche Betrieb ist und bleibt genauso wichtig.

Eick: Man ist heute schnell dabei, kulturelle Events als Festival zu deklarieren, um Publikum anzulocken. Da sehe ich die Gefahr einer inflationären Entwicklung. Nicht jede Veranstaltungsreihe, die sich auf ein paar Tage erstreckt, kann für sich beanspruchen, ein Festival zu sein. Man muss deutlich unterscheiden zwischen einem auch überregional bedeutenden Festival wie „Performing Democracy“ und lokal begrenzten Ereignissen.

Kultur Joker: Kommen wir zum Schluss zur Frage der Finanzierung. Das Festival verfügt über ein Budget von rund 330 000 Euro. Das ist nicht viel. Die Stadt Freiburg stemmt diese Summe fast allein, nachdem sich das Land Baden-Württemberg aus der Finanzierung zurückgezogen hat.

Karadza: Im kommunalen Haushalt sind knapp 200 000 Euro für das Festival eingestellt. Das reicht natürlich vorn und hinten nicht. Das Drittel, das das Land vorher zugesteuert hat, wird durch verschiedene andere kleinere Töpfe kompensiert. Die Stadt Freiburg ist noch einmal über einen Klimatopf dabei, mit dem unser Klimaschwerpunkt gefördert wird, es gibt da und dort beim Land Subventionslinien, die man anzapfen konnte. Aber das heißt jedesmal: Anträge schreiben – und diese sind auf dieses eine Festival beschränkt.

Eick: Es ist ein Unding, dass das Land für dieses hochkarätige Festival kein Geld übrig hat. Das muss sich unbedingt ändern. Um den Fortbestand des Festivals zu sichern, muss wieder eine dauerhafte Förderung von Landesseite her. Der Etat ist ohnehin sehr knapp bemessen. Wenn die beteiligten Häuser – das gilt vor allem für die personell bescheiden ausgestatteten Aufführungsorte E-Werk und Theater im Marienbad – nicht alle ihre Kräfte anspannen würden, um die Organisation und die technische Einrichtung der gezeigten Aufführungen zu stemmen, wäre das Festival in dieser Form gar nicht möglich.

Kultur Joker: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Weitere Infos: www.performing-­democracy.de

Bildquellen

  • Jürgen Eick, Sandro Lunin, Sonja Karadza: Copyright: Tobias Semmelmann