Im Gespräch: Jimmy Cliff, Reggae-Legende und Schauspieler (Archiv, 1991)

Anfang der 60er Jahre, als Reggae in den USA und Europa noch ziemlich unbekannt war, war Jimmy Cliff einer der ersten Musiker, die mit Reggae-Musik in den Staaten tourten. Durch jamaikanische Einwanderer gab es in England zwar damals schon einige Clubs, die Ska-Musik gespielt haben, aber auch dort war es Jimmy Cliff, der die ersten Reggae-Hits landete. In Afrika und Südamerika ist Cliff der Reggae-King schlechthin. Er war es, der die Vorarbeit leistete, auf die dann später Musiker wie Desmond Dekker, Bob Marley oder auch Bands wie UB 40 aufbauen konnten. Seit nahezu dreißig Jahren begeistert er überall auf der Welt. Das diesjährige ZMF (1991) brachte ihn auch nach Freiburg, wo wir mit ihm sprachen.

Kultur Joker: Ursprünglich war Reggae der musikalische Ausdruck eines starken Protests, und auch die Ritualmusik der Rastafarier. Zusammen mit Desmond Dekker warst Du einer der ersten Musiker, die Reggae populär gemacht haben. Würdest Du sagen, Du hast das religiöse aus der Musik herausgenommen, sie vereinfacht und kommerzialisiert?

Cliff: Nein, keinesfalls. Für mich bedeutet Religion etwas Heiliges, und was für mich heilig ist, ist das Leben und die Wahrheit. Und diese zwei Dinge versuche ich immer in meine Musik einzubeziehen. Die Texte der Songs sind über das Leben – und jeder sollte versuchen ein gutes und ehrliches Leben zu führen. Wir müssen versuchen, die negativen Aspekte durch die positiven auszubalancieren. Diese Gedanken versuche ich rüberzubringen.

Kultur Joker: Hat deine Art von Reggae dann noch etwas mit dem Ur-Reggae, der Rastafarier gemeinsam?

Cliff: Nun, der Rasta-Kult hat auch mit Wahrheit und Wahrheitssuche zu tun. Da geht es nicht nur darum, Dreadlocks zu tragen. Die Rastas predigten die Wahrheit über die Unterdrückung der Schwarzen. Da geht es um die Befreiung und die Selbstachtung. Und darüber singe ich auch.

Kultur Joker: Du hast dazu beigetragen, Reggae-Musik bekannt zu machen, und diese Musik war in Afrika z.B. schon immer populär. In den Staaten jedoch ist Reggae erst populär geworden, nachdem Musiker wie z.B. Paul Simon, Johnny Cash oder Paul McCartney – also Musiker, die keinerlei Beziehungen zu den Reggae-Roots haben – anfingen, diese Musikrichtung zu spielen. Was für Gefühle ruft so etwas in Dir hervor?

Cliff: Darf ich ganz ehrlich sein? Also Bitterkeit. Aber das ist ja die immerwährende alte Geschichte – wie beim Jazz, wie beim Rock’n Roll, wie bei jeder Musikrichtung, die von Schwarzen gemacht wurde. Die Schwarzen kreieren die Musikform und die Weißen machen dann das große Geld damit. Und das macht mich bitter.

Kultur Joker: Und was hältst Du von weißen Bands wie UB 40, die nur Reggae spielen?

Cliff: Das knüpft an die vorherige Frage an. Alle Formen moderner Pop-Musik haben ihren Ursprung in schwarzer Musik. Aber die wenigsten schwarzen Musiker verdienen daran. Eine Band wie UB 40 macht eine Menge Geld mit Songs, die andere geschrieben haben. Elvis hat sich ja auch reichlich an bereits vorhandenen „schwarzen“ Songs bedient und ist reich und berühmt geworden. Es hat sich in dieser Richtung kaum etwas geändert. Ein paar Musiker bekommen etwas mehr Anerkennung – Michael Jackson z.B.. Aber was für einen Preis hat er dafür bezahlt. Er hat sich sogar äußerlich den Weißen angepasst, hat seine Physiognomie verändern lassen. Für mich ist das ein zu hoher Preis.

Kultur Joker: Ich habe mal gelesen, dass Du zur Soulmusik gewechselt hast wegen der stilistischen Einschränkungen des Reggaes. Aber während der diesjährigen Europa-Tournee hast Du fast ausschließlich Reggae gespielt. Zurück zu den Roots, oder wie?

Cliff: Wie alle Künstler betrachte ich mich als kreativen Menschen. Und Reggae ist nur eine Musikrichtung. Warum sollte ich keine Soulmusik spielen? Jede Form schwarzer Musik hat Soul – westafrikanischer Hi-Life, karibischer Calypso, Reggae – das sind alles Musikrichtungen mit Soul. Was die Kritiker, die das geschrieben haben, meinten, war die schwarz-amerikanische Soulmusik. Ich habe in den 70ern Soulmusik gespielt, weil ich offen für verschiedene Richtungen bin.

Kultur Joker: Dylan hat einmal einen deiner erfolgreichsten Titel „Vietnam“, als das stärkste Protestlied aller Zeiten beschrieben. Diese Zeiten liegen nun ein Vierteljahrhundert zurück. Protestierst Du immer noch?

Cliff: Meine Botschaft ist Frieden, Liebe und Licht. Licht ist Wahrheit. Wenn ich etwas sehe, das nicht in Ordnung ist, dann zeige ich mit dem Finger drauf. Wenn ich etwas sehe, das nicht wahr ist, dann zeige ich ebenfalls drauf. Und dann schreibe ich einen Song darüber. Das ist meine Waffe. Ich will natürlich, dass die Menschen glücklich sind. Ich will auch glücklich sein. Letztlich ist das unser aller primärer Anliegen. Und weißt du, was wahres Glück für mich bedeutet? Das bedeutet Frieden. Frieden mit sich und mit allen Menschen. Einer meiner neuen Songs heißt „Peace“. Da frage ich, „How is there going to be peace, if there is no justice? “

Kultur Joker: So ähnliche Texte hast Du bereits vor zwanzig Jahren gesungen. Du singst sie heute noch, und es hat sich nichts geändert.

Cliff: Doch, einige Veränderungen hat es gegeben. Einige Barrieren sind gefallen. Die Berliner Mauer z.B., Apartheid in Südafrika. Die Grundmuster der Systeme, die Fundamente, sind aber noch vorhanden, und da muss man weitergraben. Und man darf die Hoffnung niemals aufgeben.

Kultur Joker: Wann kommt eine Platte mit neuen Songs raus du wie soll sie heißen?

Cliff: Ich arbeite an meinem neuen Album das voraussichtlich Ende August oder spätestens im Herbst rauskommen soll. Ich weiß noch nicht genau, wie sie heißen wird, vielleicht „Winner“ oder „Samba Reggae“, vielleicht aber auch „Good Feeling, Good Thinking“ – weil ein gutes Feeling gute Gedanken erzeugt und umgekehrt, und das ist es doch, was wir alle wollen, oder nicht?

Kultur Joker: Wie ist es, für ein hauptsächlich weißes Publikum zu spielen, wie hier in Freiburg?

Cliff: Es sind einfach Menschen, und meine Botschaft richtet sich an alle Menschen. Ich komme gerade aus Brasilien, wo ich für Indianer, Afrikaner und Europäer gespielt habe. Musik ist wie Luft zum Atmen, sie ist für alle da. Der Hauptunterschied zwischen einem weißen und schwarzen Publikum ist vielleicht das Gefühl, Weiße brauchen bei einem Konzert mehr Zeit zum Auftauen.

Kultur Joker: Nun machst Du schon seit über dreißig Jahren Musik. Kommt es noch vor, dass du vor einem Konzert nervös bist?

Cliff: In Freiburg habe ich „Winner“ erstmalig live aufgeführt. Da war ich schon ziemlich nervös.

Kultur Joker: Das Titellied des neuen Albums?

Cliff: Ja. Jeder von uns ist ein Gewinner. Solange man das was man tut richtig macht – egal ob man Künstler oder Fabrikarbeiter ist. Die Menschen, vor allem in den reichen Ländern, sind heute oft frustriert, meinen, sie müssen immer höher hinauf und sehen kein Ende. Deshalb gibt es doch so viele unglückliche Yuppis. Das, was man tut, sollte man richtig tun und nicht halbherzig oder widerwillig.

Kultur Joker: Das klingt zwar beim ersten Zuhören positiv, aber bedeutet das nicht, jeder sollte mit dem was er tut zufrieden sein, z.B. auch der unterdrückte, ausgebeutete „kleine Mann“?

Cliff: Doch, man sollte mit dem was man tut zufrieden sein, und zufrieden ist man nur, wenn man es richtig tut. Aber das heißt doch nicht, dass man nicht versuche sollte, sich zu verbessern! Aber ich finde, auch die Schritte dorthin sollte man mit Zufriedenheit erfüllen. Nicht jeder kann König werden, nicht jeder wird reich sein.

Kultur Joker: Das geht in Philosophische. Kehren wir lieber zu den konkreten Dingen zurück. Du machst ja nicht nur Musik, sondern bist auch schon als Schauspieler aufgetreten. Eine Hauptrolle hast Du als Ivan in „The Harder They Come“ gespielt. Hast du weitere Ambitionen in diese Richtung oder war „The Harder They Come“ eine Ausnahme?

Cliff: In erster Linie bin ich Musiker, aber wie ich bereits sagte, betrachte ich mich als kreativen Menschen, und so habe ich auch danach Rollen angenommen. Meine letzte Filmrolle war im „Club Paradise“ (1986). Zusammen mit Robin Willams bin ich Besitzer eines heruntergekommenen, kleinen Hotels auf einer fiktiven karibischen Insel. Obwohl das ein high-budget Film war, war es kein so großer Erfolg. Vielleicht wäre der Film erfolgreicher gewesen, wenn Whoopie Goldberg, wie ursprünglich geplant, mitgespielt hätte. Das war nämlich eine Komödie. Aber die hatte Angst, vorm Fliegen, und wir konnten sie nicht dazu überreden, nach Jamaika zu fliegen, wo der Film gedreht wurde.

Kultur Joker: War das ein Musikfilm, wie „The Harder They Come“?

Cliff: Nein, aber ich habe als Clubbesitzer dann vier Songs gesungen. Und der Soundtrack zum Film enthält sieben Kompositionen von mir.

Kultur Joker: Auf der Bühne bist Du ein Energiebündel. Mich würde interessieren, wie alt Du bist. Ich konnte das in keinem Musiklexikon herausfinden, weil überall etwas anderes steht. Auch dein Geburtsort scheint nicht bekannt zu sein.

Cliff: Ja, manche Musik-Lexika nennen St. Catherines als meinem Geburtsort. Andere St. James, oder Somerton, oder einfach Jamaika. Aber ist das so wichtig? Ich lebe, wie Du siehst. Weißt du, es ist dieses westliche Konzept des Alters, das Dich alt macht. Ich bin einfach. Und irgendwann bin ich nicht mehr.

Kultur Joker: Wir hoffen, Du wirst noch ganz lange sein und bedanken uns für das Gespräch.