Im Gespräch: Hengameh Yaghoobifarah, Autor*in und Journalist*in

Mit dem Buch „Ministerium der Träume“ hat Hengameh Yaghoobifarah einen Bestseller gelandet. Bekannt oder vielmehr berüchtigt war Hengameh schon vorher, denn Hengamehs Kolumnen für die taz haben schon die eine oder andere Kontroverse ausgelöst. Im Juli hätte Hengameh im Rahmen des Literaturfestivals „Aller Anfang ist Yeah“ in Freiburg gelesen. Leider entfiel der Auftritt – dafür hat Fabian Lutz mit Hengameh ein Interview geführt – und über Crocs, Gender-Outlaws und den Aldi-Style gesprochen.

Kultur Joker: Du hast in Freiburg Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik studiert. Welche drei Dinge sind dir von der Stadt im Kopf geblieben?

Hengameh Yaghoobifarah: Ich erinnere mich an sehr viel Sonne, fragwürdige Mode und gute Fahrradwege.

Kultur Joker: Ich habe dein Portrait in der „Vogue“ gelesen. Dort bezeichnest du dich als „Gender-Outlaw“. Was heißt das?

Hengameh Yaghoobifarah: Den Begriff hat Kate Bornstein geprägt. Damit bezeichnet sie Menschen, die aus der Zweigeschlechtlichkeit herausfallen und sich nicht mit hegemonialen Genderrollen identifizieren.

Kultur Joker: „Outlaw“ klingt noch dazu verbrecherisch und ein bisschen nach Knalleffekt.

Hengameh Yaghoobifarah: „Gender-Outlaws“ erleiden wie Verbrecher Sanktionen, wenn sie mit den Normen brechen. Ich bin aber nicht nonbinär, weil ich provozieren oder edgy sein will, sondern weil ich mich weder als männlich noch als weiblich identifiziere.

Kultur Joker: Deine taz-Kolumne heißt „Habibitus“, wo du Fashion und Haltung zum System forderst. Wie geht das zusammen? Fashion klingt für mich nach Kommerz, Haltung zum System nicht.

Hengameh Yaghoobifarah: Fashion ist für mich nicht das, was ich kaufe oder das, was trendet. Kleidung und Ästhetik sind für mich eine Möglichkeit des Ausdrucks. Und Ausdruck kann immer auch politisch sein. Ich will nicht sagen, dass diese oder jene Art von Mode politisch ist oder nicht, sondern fragen, welche Art von Ästhetik eine bestimmte Haltung transportiert. Das ist ein kulturwissenschaftlicher Blick auf Mode. Es geht darum, sich Trends wie Uggs oder Crocs anzuschauen und zu überlegen, was da noch drin steckt und für was das steht.

Kultur Joker: Mit Fashion oder der Selbstbezeichnung als „Gender-Outlaw“ willst du nicht provozieren – viele Leute fühlen sich trotzdem provoziert. Kommst du mit dieser Diskrepanz klar?

Hengameh Yaghoobifarah: Ich kann nicht kontrollieren, wie mich Leute wahrnehmen. Das ist dann deren Ding. Nachvollziehen kann ich das nicht immer. Ich bin eben jemand, der Dinge sagt, die andere Leute eher aufregen. Auch, weil ich Sachen nicht durch die Blume ausdrücke, sondern sehr direkt und ehrlich bin. Ich finde nicht, dass man andere vor der Wahrheit beschützen muss oder Missstände nur euphemistisch ansprechen soll, damit sich niemand vor den Kopf gestoßen fühlt.

Kultur Joker: Im Namen der Kolumne verbindest du den arabischen Begriff „Habibi“ („mein Liebling“) mit dem deutschen Begriff „Habitus“. Ist dir die Vermengung verschiedener Sprachen wichtig?

Hengameh Yaghoobifarah: Was heißt wichtig? So rede ich eben, das ist mein Vibe. Den Titel „Habibitus“ hat mir Fatma Aydemir (Anm.: Schriftstellerin und Journalistin)vorgeschlagen, die Mischung fand ich richtig nice. Einerseits steckt da Lifestyle, andererseits Soziologie drin.

Kultur Joker: Themen, die bei dir zusammenkommen.

Hengameh Yaghoobifarah: Ich interessiere mich für Popkultur, aber auch für Gesellschaft und Politik. Das zu trennen finde ich ziemlich realitätsfern. Alle Menschen haben doch irgendein Interesse an Politik, genauso an Lifestyle. Ich finde es schade, dass Dinge, die Spaß machen, wie Mode oder Pop, gleich als apolitisch oder als kommerziell gelten. Es geht ja nicht immer darum, sich kapitalistisch an Trends zu beteiligen, sondern um Spaß, auch um Spaß an der Politik.

Kultur Joker: Apropos Mode: Auf deinem Fashion-Blog „Queer Vanity“ präsentierst du die Aldi-Aesthetics. Wie gehen Aldi und Ästhetik zusammen?

Hengameh Yaghoobifarah: Das war ziemlich random. Ich hatte einen blauschwarzweißen Pulli, also irgendwie im Aldi-Nord-Look. Zufällig war dann auch ein Aldi im Hintergrund, dann habe ich das eben kombiniert. Manches, was ich mache, passiert auf einem Shitposting-Level. Da lege ich nicht alles auf die Goldwaage, sondern mache die Sachen spontan.

Kultur Joker: Im Mittelpunkt von „Ministerium der Träume“ steht die Beziehung zweier Geschwister. Eine ist tot, die andere versucht, eine Verbindung zu der Toten aufzubauen, auch über die gemeinsame Herkunft, die Migration nach Deutschland. Ist eine gemeinsame Herkunft, eine gemeinsame Familiengeschichte etwas, das vor Hass schützen kann?

Hengameh Yaghoobifarah: Ich denke nicht, dass eine Herkunftsfamilie unbedingt Schutz bietet. Viele queere Menschen zum Beispiel müssen sich gerade vor ihrer Herkunftsfamilie schützen. Mir geht es eher um Wahlfamilien, eine Gemeinschaft, die nicht unbedingt nach der Logik der Heterokleinfamilie geht. Ich finde es wichtig, sich ein Leben mit Handlungsmacht, Selbstbestimmtheit und Freude zu schaffen.

Kultur Joker: Klassische Abschlussfrage: Was kommt als nächstes? Ich habe auf Instagram von einer Verfilmung deines Romans gelesen. Stimmt das? Magst du etwas darüber verraten?

Hengameh Yaghoobifarah: Wahrscheinlich wird sogar eine Serie daraus. Bis die Serie oder Verfilmung erscheint wird es aber wohl noch dauern.Die beiden Produktionsfirmen Jünglinge und Komplizen Film arbeiten aber daran.

Kultur Joker: Hengameh, wir sind gespannt auf deine zukünftigen Projekte! Herzlichen Dank für das Gespräch.

Hengameh Yaghoobifarah: „Ministerium der Träume“, Aufbau Verlag 2021. www.aufbau-verlage.de

Bildquellen

  • Hengameh Yaghoobifarah: Foto: Tarek Mohamed Mawad