Im Gespräch: Dominic Miller, Gitarrist und Act auf dem ECM-Festival Freiburg

Dominic Miller geht seit über drei Jahrzehnten mit Superstar Sting auf Tournee und ins Studio. Mit seinem Spiel hat der Gitarrist Welthits wie „Fields Of Gold“ oder „Shape of My Heart“ maßgeblich geprägt. Aber der 64-jährige Miller nimmt auch eigene Platten auf. Am 9. Mai spielt er mit seiner Band auf dem ECM-Festival Freiburg, veranstaltet vom forum jazz e.V.. Mit dem in Argentinien geborenen Gitarristen sprach Olaf Neumann über wahrhaftige Klänge und die Zusammenarbeit mit dem ECM-Gründer Manfred Eicher und dem Perfektionisten Sting.

Kultur Joker: Am 9. Mai spielen Sie auf dem ECM-Festival Freiburg. Das Album „Vagabond“ ist Ihre dritte Veröffentlichung bei ECM Records. Warum passen Sie so gut zu dieser deutschen Plattenfirma?

Dominic Miller: Es ist interessant, weil ich schon immer ein Fan von ECM-Musik war. Als Heranwachsneder mochte ich Künstler wie Ralph Towner, Pat Metheny, Keith Jarrett, Egberto Gismonti oder John Abercrombie. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal selbst zu dieser Szene gehören würde, und auch nach drei Alben bei ECM weiß ich eigentlich nicht, wie ich in diese renommierte Plattenfirma hineinpasse. Ich liebe aber den gesamten Prozess der Plattenaufnahme bei ECM. Dieses Label ist eines der großen Wunder der Musikwelt.

Kultur Joker: Die Musikindustrie hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Gilt das auch für ECM?

Miller: Dieses Label ist seinen Prinzipien immer treu geblieben. Das ist es, was ich an ECM so bewundere. Manfred Eichers ganzes Konzept ist, den Moment so abzubilden, wie er ist – mit all seinen Perfektionen und Unvollkommenheiten. Ein Album aufzunehmen ist ein bisschen wie ein Selfie zu machen, aber ich will kein Selfie, sondern ein gutes Foto von meiner musikalischen Reise. Als ich 18 oder 19 war, hörte ich gern den ECM-Künstler Egberto Gismonti, und manchmal hörte ich halt Unvollkommenheiten in seinen Artikulationen. Ich verstand das damals nicht, aber gerade diese Unvollkommenheiten haben meine Seele berührt. Wenn ich in einem Studio Musik für ein anderes Label aufnehme und einen Fehler mache, möchte ich ihn korrigieren. Und das kann ich auch dank der Wunder der modernen Technik. Aber Manfred Eicher will das nicht auf ECM-Platten. Er will eine wahrhaftige Interpretation. Und eine wahrhaftige Interpretation eines jeden Musikers ist nicht perfekt.

Kultur Joker: Sie haben im Lauf Ihrer Karriere mit einigen der größten Musikproduzenten gearbeitet. Ist Eicher als Producer genauso einmalig wie als Labelmacher?

Miller: Absolut. Er ist in erster Linie Produzent und zweitens ein Label-Visionär. Ich bin mit ihm im Studio gewesen und weiß, wie er arbeitet. Für mich ist Manfred Eicher einer der größten Produzenten, die je gelebt haben – wie Quincy Jones oder George Martin. Wenn meine Band und ich mit ihm ins Studio gehen, betrachte ich ihn als den fünften Beatle. Er ist definitiv ein Teil der Band, weil er mutige Entscheidungen trifft, wie man Musik interpretiert. Manfred bringt uns an einen Ort, an den wir aus eigenen Kräften nicht gelangen könnten.

Kultur Joker: Funktioniert das vor allem über Gespräche?

Miller: Ja, sehr sogar. Manfred hat keine Angst, dir zu sagen, was er von einer Sache hält. Vielleicht habe ich sechs Monate lang an einem Zwischenspiel oder einem Motiv für ein Musikstück geschrieben, ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt zu haben, aber dann improvisiere ich im Studio vielleicht etwas und er sagt: „Das ist großartig, genau das will ich!“ Und das kann eine Idee sein, für die ich fünf Minuten gebraucht habe. Von den ursprünglichen Stücken für das „Vagabond“-Album wurden einige von Manfred gestrichen, weil er der Meinung war, dass sie nicht passen würden. Ich hätte das Gefühl haben können, dass er falsch lag, aber das hatte ich nicht. Ich vertraue auf sein Urteilsvermögen.

Kultur Joker: Wählt der mittlerweile 80-jährige Labelchef Manfred Eicher seine Künstler noch immer persönlich aus?

Miller: Ja, das tut er. Es ist ein kleines Wunder, dass ich überhaupt mit ECM in Verbindung stehe, denn ich kam durch Mundpropaganda zu ihnen. Eines Tages tauchte ich auf Manfreds Radar auf, besuchte ihn in München und verstand mehr, wer er war und er verstand mehr, wer ich war. Tatsächlich wählt Manfred Eicher alles selbst aus – die Besetzung, die Songs, die Art und Weise, wie sie artikuliert werden, die Reihenfolge und das Artwork. Manche mögen ihn als Kontrollfreak bezeichnen, aber in Wirklichkeit befähigt er Künstler, bessere Musiker zu sein, als sie es in einer anderen Situation wären.

Kultur Joker: Wäre Manfred Eicher auch eine gute Wahl, wenn es um die Produktion eines Albums von Sting geht?

Miller: (lacht) Es kommt darauf an, was für eine Art von Platte das sein soll. Denn Sting ist ein Perfektionist und nimmt sich gerne Zeit für seine Musik. Und die Sache mit ECM ist die, dass man, wenn man eine Platte für sie aufnimmt, ein großes Statement abgibt. Das bedeutet, dass es nur zwei oder drei Tage dauert, ein komplettes Album aufzunehmen, aber Sting braucht allein zwei oder drei Tage, um überhaupt erst einmal loszulegen. Er veranschlagt mindestens zwei oder drei Monate für die Aufnahme eines Albums. Natürlich würde ich gerne sehen, wie Sting und Manfred zusammenarbeiten, aber ich weiß nicht, wie viel Geduld Sting haben würde. Wäre er in der Lage, seine Gesangs- und Musikproduktion innerhalb von zwei, drei Tagen abzuschließen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das möglich ist.

Kultur Joker: Kennen die beiden sich eigentlich?

Miller: Auf jeden Fall, und sie verstehen sich sogar sehr gut. Ich habe Manfred Eicher zu ein paar Sting-Konzerten eingeladen. Und Sting ist ein großer Fan von ECM. Wie Sie wahrscheinlich an seiner Musik erkennen können, ist er ein Jazz-Fan.

Kultur Joker: Ist es nicht kurios, dass ausgerechnet ein deutsches Label so bedeutend für die internationale Jazz-Musik geworden ist?

Miller: Nun, die heimische Szene ist unglaublich. Ich habe mit vielen guten Künstlern aus Deutschland zusammengearbeitet. ECM ist ein Statement für die europäische Ästhetik der Instrumentalmusik. Es existiert kein anderes Label wie dieses. In Amerika gibt es Blue Note und Verve, aber nichts wie ECM. Ich halte es nicht einmal für ein Jazz-Label, denn für mich ist weder Egberto Gismonti noch Keith Jarrett ein Jazzer. Es ist einfach instrumentale zeitgenössische Musik mit Einflüssen von Klassik bis Funk, Jazz und Country. ECM ist in dieser Hinsicht ziemlich einzigartig. Es macht genau das, was auf dem Etikett steht.

Kultur Joker: War die Begegnung mit Stings Musik für Sie genauso wichtig wie zum Beispiel die Musik von Chrissie Hynde oder Tina Turner?

Miller: Ich glaube nicht, dass irgendjemand besser oder schlechter ist als jemand anderes. Sie haben da drei sehr berühmte Leute erwähnt, aber 80 Prozent meiner Kooperationspartner sind Leute, die die meisten nicht kennen. Ich habe mein Handwerk durch die Zusammenarbeit mit allen gelernt. Mit Sting, Chrissie Hynde oder Tina Turner Musik zu machen, ist viel einfacher, weil sie sich auf das konzentrieren, was sie tun wollen. Die Arbeit ist schwieriger, wenn jemand weniger konzentriert ist. Aber es ist auch eine große Herausforderung und Befriedigung, wenn ich die Musik von jemandem verbessern kann. Sting ist wahrscheinlich die Person, mit der ich am meisten und längsten zusammengearbeitet habe, aber auch Chrissie Hynde und Tina Turner hatten nachhaltigen Einfluss auf mich.

Kultur Joker: Sting gilt – bei aller Popularität – als schwierig, wenn nicht abgehoben. Wie hoch sind seine Ansprüche an Musik?

Miller: Ich würde nicht sagen, dass er ein schwieriger Künstler ist. Sting ist mit Sicherheit ein Perfektionist. Ich liebe es, mit ihm zu arbeiten. Er muss wirklich überrascht oder unterhalten werden. Es ist wichtig, viel mit ihm auszuprobieren. Sting identifiziert sich voll und ganz mit der Philosophie des Jazz: also über den Tellerrand zu schauen und gleichzeitig die Disziplin der Form zu wahren. Er ist sehr sicher beim Arrangieren seiner Songs. Alles, was nicht zu seiner Musik oder zu seiner Erzählweise passt, sollte nicht vorhanden sein. Er ist da sehr streng. Das ist die einzige schwierige Seite an Sting. Ich habe so viel von ihm gelernt und habe viele dieser Prinzipien in meiner Musik umgesetzt.

Kultur Joker: Sting hat in einem Interview mit der BBC vor dem Einfluss der KI auf die Musik gewarnt. Haben Sie Angst vor KI?

Miller: Ganz und gar nicht. Es ist ein ziemlich seltsames Phänomen. So etwas hätte ich mir vor zehn Jahren nicht vorstellen können. KI ist künstlich. Natürlich kann man alle Platten von Sting in den KI-Algorithmus eingeben und es könnte dabei ein Lied herauskommen, das wirklich nach seiner Stimme und seiner Art von Text klingt. Aber das Herz wird sich nicht täuschen lassen. Ich glaube, die Leute spüren, wenn sie etwas hören, das aus der Seele kommt. KI könnte niemals mit einem Song wie „Fields of Gold“ aufwarten.

Kultur Joker: Könnte KI Musikern helfen, beispielsweise eine Schreibblockade zu überwinden?

Miller: Das ist ein gutes Argument. Vielleicht ist da ja etwas Wahres dran. Eine Schreibblockade ist eine seltsame Sache. Wir Musiker leiden alle von Zeit zu Zeit darunter. Wenn mir das passiert, schalte ich alles ab, auch das Telefon. Und dann mache ich etwas anderes, gehe in Kunstgalerien oder in Theater, lese Bücher, esse mal etwas Anderes. Und dann starte ich den kreativen Prozess wieder und vielleicht fällt mir etwas Neues ein.

Kultur Joker: Ihre größten Helden sind Jimi Hendrix und Johann Sebastian Bach. Hat deren Musik Ihnen dabei geholfen, einen eigenen Stil zu finden?

Miller: Ich würde nie behaupten, dass meine Musik so wie Bach ist, aber ich bin von seinen Harmonien beeinflusst und habe sogar einige von ihnen „gestohlen“. Eines der besten Mittel gegen eine Schreibblockade sind Bachs Partiten und Sonaten. Er ist die Bibel, wenn es um Harmonien und Melodien geht. Und was ich von Jimi Hendrix übernommen habe, ist die extreme Vorstellungskraft. Der Fantasie sind bei ihm keine Grenzen gesetzt. Wenn ich mich inspirieren lassen will, höre ich Hendrix. Manchmal schaue ich mir Youtube-Videos von unglaublichen jungen Gitarristen, Schlagzeugern oder Pianisten an. Wow, sie sind so gut! Aber sie spielen nicht wie Hendrix. Seine Gitarre ist manchmal verstimmt, sein Spiel falsch artikuliert – aber es ist der ultimative Ausdruck von Fantasie.

Kultur Joker: Wie viele Gitarren benötigen Sie eigentlich?

Miller: Es ist ziemlich egal, welche Gitarre ich benutze, ich bin mit allem glücklich, was Saiten hat. Manche sind natürlich besser als andere. Ich habe das Glück, dass ich einige großartige Instrumente besitze. Ich benutze zum Beispiel meine 61er Statocaster sehr oft, wenn ich mit Sting arbeite. Und ich spiele auch ein paar klassische Gitarren. Das Interessante an Gitarren ist, dass man sie nie ganz richtig stimmen kann.

Kultur Joker: Haben Sie noch die Gitarre, mit der alles anfing?

Miller: Ja, eine Rodriguez-Klassikgitarre. Die hat mir mein Vater in den frühen 1980ern geschenkt, als ich meine Karriere begann. Ich habe auf ihr viel Musik geschrieben und sie auf Platten für Phil Collins, Sting und anderen verwendet. Es ist wahrscheinlich mein wichtigstes Instrument, weil es in unserer Familie war.

Kultur Joker: Ist Phil Collins ein Perfektionist à la Sting?

Miller: Nicht in der gleichen Weise. Ich kenne niemanden, der ein größerer Perfektionist ist als Sting. Das ist keine schlechte Sache. Er mag einfach die Details. Das habe ich bei Phil Collins nicht in dieser Form erlebt. Er ist lockerer, aber seine Platten sind auch perfekt. Das Endergebnis ist das, was dir zeigt, wie gut etwas ist. Die perfekteste Platte, die ich je mit Sting realisiert habe, ist wahrscheinlich „Ten Summoner‘s Tales“. Ich würde nichts an ihr ändern wollen.

Kultur Joker: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Dominic Miller Quartett ist am 9. Mai, 20 Uhr im Rahmen des ECM-Festivals Freiburg im Forum Merzhausen zu Gast. Tickets und weitere Veranstaltungen des Festivals: www.forumjazz.de

Bildquellen

  • Jacob Karlzon, Nicolas Fiszman, Dominic Miller, Ziv Rawitz: © Christoph Bombart / ECM Records