Im Gespräch: Dirk Nabering, Veranstalter und Festivalleiter

Der Weg ist immer mehr als das Ziel

Er holte Klassik-Koryphäen aus aller Welt nach Freiburg: Dirk Nabering, der von 1968 bis 2010 u.a. die Albert-Konzerte leitete und seitdem die Nabering-Konzerte veranstaltet, ist ein genialischer Unruhegeist par excellence. Im April begeht er seinen 70. Geburtstag mit einem „Festival Pro“. Dieses beinhaltet neben der Konzertreihe „Bach & Barock“ auch ein anspruchsvolles musikalisches Begleitprogramm zu „Die Weiße Rose“, einer Ausstellung über den Deutschen Widerstand gegen die NS-Diktatur. Mit Dirk Nabering sprach Friederike Zimmermann.

Kultur Joker: Herr Nabering, Sie haben mal wieder Großes vor. Ganz nach früherer Manier veranstalten Sie gleich mehrere Vorhaben parallel: Auf der einen Seite „Bach und Barock“, auf der anderen Seite Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert. Wären Sie mit nur einem Projekt nicht ausgelastet?

Dirk Nabering: Der Bach-Barock-Zyklus ist ein altes Vorhaben, während die Idee der Weiße-Rose-Ausstellung und des Programms „Verfolgung, Widerstand, Exil“ als Wunsch zwar seit langem, in der Planung ist, aber erst seit sechs Monaten besteht. Ein Geschenk, das ich mir selbst zum 50jährigen Berufsjubiläum bereite.

Kultur Joker: Auf welche Veranstaltungen dürfen wir uns in den nächsten Wochen im Einzelnen freuen?

Dirk Nabering: Das „Festival Pro“ in Freiburg und in der Regio, das vom 18. bis 30. April und am 14. Mai stattfindet, fußt, wie gesagt, auf zwei Säulen: Eine Ausstellung „Die Weiße Rose“ behandelt mit dokumentarischem Material den Widerstand der Münchner Studenten gegen Hitler; einbezogen in die Darstellung ist Gedankengut des Kreisauer Kreises, der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ und anderer Impulsgeber des Deutschen Widerstandes. Das dazugehörige Rahmenprogramm mit Vorträgen und Musik konzentriert sich, weit gefasst, auf „Verfolgung, Widerstand, Exil“ und lässt 36 Komponisten zu Worte kommen, die verfolgt waren und/oder ins Exil gehen mussten. Die andere Säule: „Bach & Barock“ – acht Konzerte in acht der schönsten Barockkirchen Freiburgs und der Umgebung, die aus der gleichen Epoche stammen, wie die dort aufgeführten Werke von Bach. Nämlich seine Suiten, Sonaten und Partiten für ein Melodieinstrument (Pirmin Grehl Flöte, Thomas Zehetmair Violine, Jens Peter Maintz Violoncello) und die Goldberg-Variationen (András Schiff Klavier).

Kultur Joker: Man sagt Ihnen nach, Ihre Programmgestaltung weise einen untrüglichen Stempel auf. Was zeichnet Ihr besonderes „Händchen“ aus?

Dirk Nabering: Für die Vermittlung von Kunst sollten Geschmack, Wissen, Können, Sensibilität, Respekt und Würde – verbunden mit Unbestechlichkeit und einer guten Prise Humor – an erster Stelle stehen. Mir war es stets gleichgültig, ob man mich für altmodisch oder für modern hielt. Ich bemühe mich, in meiner Dramaturgie und Repertoirewahl (die in meinem Beruf an erster Stelle stehen MUSS und nicht durch Kniefälle vor „Stars“ zu ersetzen ist) der kapitalmarkt-getriebenen, renditeorientierten Wirtschaft zu trotzen und mit Neugier und Unangepasstheit meinen Weg kompromisslos und unbeirrt zu gehen, orientiert am (eher raritätenbetonten) Repertoire.

Kultur Joker: Sie sagten einmal, als Konzertveranstalter komme es nicht darauf an, möglichst schnell viel Geld aus den Konzerten zu ziehen, sondern auf eine wirkliche Partnerschaft mit dem Publikum, die jahrzehntelang andauern kann. Was genau ist damit gemeint?

Dirk Nabering: Ich mochte mich zu keinem Zeitpunkt in den wohlgeölten Betrieb des Musiklebens einordnen lassen und habe dafür Sorge getragen, mich vor postmoderner Orientierungslosigkeit, künstlerischer Beliebigkeit und davor, stromlinienförmig „umgänglich“ zu werden, zu bewahren. Ein Graus waren mir stets solche Hörer, für die alles leicht und sofort zugänglich sein muss, Kulturflaneure mit Ohren von Eisen und hörnerner Gleichgültigkeit. Auch vermag ich Programm-Verantwortlichen und Produzenten keinen Respekt abzugewinnen, die die Musik bzw. die Kunst auf die hinteren Plätze bloßen Zeitvertreibs verdrängen, Konzerte in den Dienst des Sozialprestiges schieben und sich – wie es auch viele Politiker tun – mit Musik oder Kunst schmücken, wenn sich Hochkultur mit Status verbinden soll. Kurz gesagt: Ich hasse den eitlen und damit oft so lächerlichen Kulturbetrieb, der sich hemmungslos der heiligen Kuh „Wachstum“ verschreibt. Opportunismus, Neid, Willkür, Eitelkeit und Gier haben im alltäglichen Leben nichts, erst recht aber in der Kunst gar nichts zu suchen.

Kultur Joker: Nun hat Freiburg ja speziell im Bereich der sogenannten klassischen oder E-Musik eine verhältnismäßig große Musikszene aufzuweisen. Was hat Ihre Frau Maija und Sie bewogen, dieser noch die „Nabering-Konzerte“ hinzuzufügen? Waren bei früheren Tätigkeiten Wünsche oder Träume offengeblieben?

Dirk Nabering: Im März 1967, neunzehnjährig, habe ich meinen Berufsweg als Programm-Verantwortlicher der Gustav-Mahler-Gesellschaft Berlin (Präsident Sir John Barbirolli) angetreten. Als Nachfolger des 1968 gestorbenen Eberhard Albert wurde ich (ebenfalls 1968) Chef der Albert-Konzerte in Freiburg. – Hier erfolgte die Trennung rund 42 Jahre später, im Jahr 2010. „Neben“ Albert war ich zwölf Jahre hindurch künstlerischer und organisatorischer Chef der „Berliner Festwochen“, mit Claudio Abbado und Ulrich Eckhardt als engsten Vertrauten. Dann auch Gründungsmitglied und Dramaturg bei Gidon Kremers maßstabsetzendem Kammermusikfest Lockenhaus und Künstlerischer Leiter beim „Kammermusikfest des ARD-Wettbewerbs“. DasVermitteln von Kunst ist nun mal (m)eine Leidenschaft – da bleiben stets Träume offen.

Foto von Dirk Nabering und Gidon Kremer in Freiburg im März 1985
Dirk Nabering (rechts) mit Gidon Kremer in Freiburg im März 1985 – dieses Jahr feiern beide ihren 70. Geburtstag   (© Maija Nabering)

Kultur Joker: Sie setzen sich besonders auch für die Neue Musik ein: 1970 bis 1974 arbeiteten Sie im Institut für Neue Musik der Freiburger Musikhochschule mit, bei den „Berliner Festwochen“ verantworteten Sie den „Jahrhundertklang“ mit Musik des 20. Jahrhunderts und auch jetzt haben Sie für das Programm „Verfolgung und Widerstand“ dreißig, im Dritten Reich verfemte, Komponisten ausgewählt. Wie werden Sie diese der Hörerschaft nahebringen?

Dirk Nabering: Inzwischen sind es gar 36 Komponisten geworden, die ich ausgewählt habe… und das „Nahebringen“ ist die Aufgabe der beteiligten Musiker! Dafür allerdings die Richtigen auszuwählen ist mein Anteil.

Kultur Joker: Wie kam diese besondere Zusammenarbeit mit der „Weiße Rose Stiftung“ München zustande?

Dirk Nabering: In Zeiten, in denen sich die Gesellschaft radikalisiert, Fremde und Fremdes zur Disposition gestellt werden, Etablierte sich längst nicht mehr zu Grundwerten bekennen, halte ich es für wichtig und notwendig, an mutige Menschen des Deutschen Widerstandes, an Verfolgte und an Exilierte zu erinnern. In diesem Sinn wandte ich mich an die „Weiße Rose Stiftung“, die mir dann die Ausstellung vermietete. Eine aus hochverehrten Freunden gegründete Troika – Alfred Brendel, Bruno Ganz und Michael Krüger – unterstützt das, indem sie die Schirmherrschaft für das Projekt, das in den Räumen der beispielhaften Wentzinger Schulen durchgeführt wird, übernommen hat.

Kultur Joker: Der Eintritt zu den Konzerten „Verfolgung, Widerstand, Exil“ ist kostenlos und derjenige zu den Barockkonzerten äußerst moderat. Wie lassen sich so hochkarätige Programme mit keinen oder nur wenig Einnahmen bestreiten?

Dirk Nabering: Dank der mitwirkenden Musiker, die eher aus Freude und Freundschaft auftreten als zum Gelderwerb, und von denen manche damit auch ein Zeichen „pro Nabering“ setzen wollen. Und wir selbst arbeiten unbezahlt.

Kultur Joker: Unter Ihrer Ägide als Programmchef und Leiter der Albert Konzerte gab es kaum einen bedeutenden Künstler, der hier in Freiburg nicht aufgetreten wäre. Und auch jetzt sind mit Sir András Schiff, Thomas Zehetmair und anderen wieder große Namen vertreten. Warum folgen diese Künstler so gerne und wiederholt Ihren Einladungen?

Dirk Nabering: Stimmt nicht ganz. Es gab zahlreiche Berühmte, die zu „meiner Zeit“ hier nicht auftraten: Weil ich ihre Art des Musizierens nicht mochte und sie daher nicht eingeladen hatte! Und die, die jetzt „noch zu uns kommen“? Womöglich, weil ich guten Wein anbiete… Aber ohne Spaß: Diese meine „Lieblingsmusiker“ mit ihren zwingenden Bach-Deutungen durften bei diesem Bach-Fest keinesfalls fehlen!

Kultur Joker: Einige der Künstler sind bereits gestorben, zu anderen haben sie heute noch Kontakt. Wen haben Sie am liebsten eingeladen und warum? Und mit welchem bevorzugten Repertoire?

Dirk Nabering: Zuerst zum Repertoire: Man hat Götter, Lieblinge, Vorbilder. In der Musik sind meine „Götter“ Bach, Haydn und Schubert; die „Lieblinge“ sind Schumann und Janáček – und von den „Neueren“ Nono und Kurtág. Meine Vorbilder (sowohl in menschlicher wie in künstlerischer Ausrichtung) waren, sind und bleiben David Oistrach, Rudolf Serkin, Svjatoslav Richter, Alfred Brendel und Georg Kreisler – und die habe ich am liebsten eingeladen. Große Verehrung gilt den Brüdern Adolf und Fritz Busch, Furtwängler und Mitropoulos, die aber leider vor meiner Zeit wirkten.
Aber es gibt nicht nur Musik im Leben! In der Architektur studiere ich derzeit intensiv Werke der romanischen Baukunst. Ensor, Redon und Munch bewegen mich in der Malerei augenblicklich in besonderem Maße. Georg Büchner hat mich, so lange ich zurückdenken kann, aufgeregt: namentlich sein „Lenz“ und sein „Wozzeck“ (Rudelverhalten, Brutalität, Erniedrigung, Demütigung, sozialer Ausschluss – damals und heute brennend wie die Sonne von Gültigkeit!). Meine erdgebundenere Leidenschaft gilt dem aktiven Weinbau.

Kultur Joker: Nun noch eine Frage zum Konzertveranstalter Nabering, der mittlerweile ja schon auf 50 Jahre Erfahrung zurückblickt: 1968 wurden Sie als 21-jähriger Musikalienhändler aus Berlin auf Empfehlung von Dietrich Fischer-Dieskau als Leiter der Albert Konzerte nach Freiburg geholt. Das liest sich wie ein Traum! Wäre heute so ein Weg grundsätzlich noch denkbar oder hat sich diese Sparte seitdem extrem verändert?

Dirk Nabering: Ich denke, heute ist es einfacher einen „Job“ zu bekommen, wenn man angepasst und unkompliziert ist. Das war ich nie. Stromlinienform war, in der Tat, 1968 noch nicht so sehr gefragt.

Kultur Joker: Sie wollen mit diesen Konzerten Ihre berufliche Laufbahn wirklich ganz beenden?

Dirk Nabering: Ich habe mich einst mit Enthusiasmus auf eine lange Wanderung eingelassen („Wanderer, es gibt keinen Weg. Weg entsteht im Gehen“ – Zitat Antonio Machado/Luigi Nono), ohne aber schließlich angelangt zu sein. Aber auch hierfür bleibt mir ein Zitat (Heimito von Doderer): „…dass ein jeder Weg seine eigene Würde hat und auf jeden Fall immer mehr ist als das Ziel“.

Kultur Joker: Wir wünschen Ihnen alles Gute auf diesem Weg und für all Ihre Projekte viel Erfolg! Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

Bach & Barock:
22./23./29./30. April und 14. Mai 2017
Orte: Barockkirchen in Hochdorf, Wittnau, Freiburg, Merzhausen, Horben, Sölden, St. Ulrich, St. Peter
Interpreten: Jens Peter Maintz, Pirmin Grehl, Thomas Zehetmair, András Schiff
Werke: Bach, Suiten für Violoncello, Partita für Flöte, Sonaten und Partiten für Violine, Goldberg-Variationen sowie Werke von F.I.Biber, Marain Marais, C.Ph.E. Bach, J.D. Zelenka

„Die Weiße Rose“ – Verfolgung, Widerstand, Exil
Ausstellung: 18. – 28. April 2017 | täglich außer Sa/So, 10-18 Uhr
Ort: In den Räumen der Wentzinger Schulen, Falkenberger Straße 21, Freiburg

Vorträge
21. und 28. April, 18 Uhr, Theatersaal der Volkshochschule, Rotteckring 12, Freiburg

Musikprogramm
18./19./20./ 21./24./25./26./27. und 28. April, jeweils 16 Uhr in der Aula der Wentzinger Schulen, sowie 23. April, 16 Uhr in der Altkatholischen Kirche St. Ursula: Werke von 36 Komponisten zum Thema „Verfolgung, Widerstand, Exil“

Infos und Details unter:  www.naberingkonzerte.de

Friederike Zimmermann

Bildquellen

  • kultur_joker_dirk_nabering_festival_pro_freiburg_foto_maija_nabering: Dirk Nabering (© Maija Nabering)