„Ich werde nicht hassen“ gastierte im Theater Freiburg – die bewegende Geschichte eines palästinensischen Arztes und die eindrucksvolle Weigerung, sich dem Hass zu ergeben

Über dem Kleinen Haus des Freiburger Theaters scheint eine Wolke zu schweben. Selten erlebt man ein Publikum so schweigsam und starr sitzend wie an diesem Abend. Auf der Bühne ein weißes Laken, ein Stuhl, ein Teddy, ein Whiteboard und daneben ein Pult. Mehr braucht es nicht, um das Publikum in den Sog des gut 90-minütigen Monologes zu ziehen, der die wahre Geschichte des Izzeldin Abuelaish erzählt. Zu bewegend die Inszenierung, zu nah die Gegenwart.
Dr. Izzeldin Abuelaish (grandios verkörpert durch Mohammad-Ali Behboudi) betritt die Bühne. Er tritt ans Pult, küsst den Koran, blickt kurz gen Decke und räuspert sich. Geboren am 3. Februar 1955 in Dschabalia, einem der größten Flüchtlingslager in Gaza, wuchs Izzeldin Abuelaish mit neun Geschwistern auf. Gemeinsam mit seinen Eltern teilten sich die elf Personen einen Raum. Um Gaza zu verstehen, so Izzeldin Abuelaish, müsse man die Geschichte und Geografie kennen. Er tritt zurück, nimmt einen Stift und malt einen großen Kreis auf das Whiteboard. „Das ist mein Gaza, das größte Gefängnis der Welt. Mit Meerblick.“ Drumherum Checkpoints und Grenzübergänge, an denen die Palästinenser laut Abuelaish eines gelernt haben: Das Warten.
Während der Nakba, der Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinensern zwischen 1947 und 1949, wurde seine Familie aus ihrem Heimatdorf Houg vertrieben. Dort seien sie angesehene Bauern gewesen, heute sind sie Bedürftige – davon habe sich sein stolzer Vater nie erholt.
Damit die elfköpfige Familie in Dschabalia überleben kann, muss sich Abuelaish mit 17 Jahren einen Job suchen – in der Nacht lernt er für die Schule, nach dem Unterricht geht er arbeiten. Dazwischen immer wieder Bombenalarm, Sirenen, Dunkelheit. „In einer Stunde muss alles geräumt werden“ schallt es durch den Raum. Das Publikum zuckt zusammen, während Izzeldin Abuelaish erzählt, wie der damalige Oberbefehlshaber Ariel Scharon das Flüchtlingslager zerstören ließ. Die Straßen seien zu eng für die israelischen Panzer.
Der junge Mann leidet unter Arthritis, die letztendlich so schlimm wird, dass er ein Krankenhaus aufsuchen muss. Ein Schlüsselmoment, denn in den Hallen des Krankenhauses darf er erstmals miterleben, dass palästinensische Ärzte mit Respekt und Anerkennung behandelt werden. „So kann ich Gaza und den Menschen dienen“ – später wird Izzeldin Abuelaish einer der angesehensten Gynäkologen des Landes. Nach seinem Schulabschluss 1975 erhält er ein Stipendium für ein Medizinstudium in Kairo, studiert später in Harvard, praktiziert als erster palästinensischer Arzt in Israel, dann in Saudi Arabien und Kanada. Während seiner Zeit in Kairo wird sein Bruder Nous mit 18 Jahren inhaftiert. Nach seiner Entlassung geht Nou in den Libanon und verschwindet spurlos. Seine Mutter, eine strenge Frau, wird die kommenden 19 Jahre jede Woche die Hemden ihres Sohnes bügeln. Dann stirbt sie. „Ihre Seele sucht ihren Sohn“, ein leises Schluchzen auf der Bühne, während sich Izzeldin Abuelaish auf dem Stuhl zusammenkauert.
Welch quälende Rolle das Warten im Leben des Izzeldin Abuelaish einnimmt, wird spätestens dann klar, als seine Frau, die er mit 32 Jahren heiratet, wegen Leukämie nach Tel Aviv ins Krankehaus eingeliefert wird. Er ist zu dieser Zeit in Brüssel, seine Kinder, insgesamt acht an der Zahl, rufen ihn an. Es stünde schlimm um ihre Mutter, er solle sofort zurückkommen. Sofort ist ein relativer Begriff. Über Saudi Arabien fliegt er zurück, von dort an wäre es eine kurze Autofahrt bis ins Krankenhaus. Doch Izzeldin Abuelaish, der als Friedensaktivist auch politisch aktiv war und bereits fünfmal für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, kommt nicht über die Grenze. Er stünde auf einer Liste Terrorverdächtiger. Nein, er stünde nicht mehr auf der Liste, schauen Sie noch einmal nach. Doch, nein, doch, nein. Ok, warten Sie. Quälend lang geht das Spiel, er wird von Checkpoint zu Checkpoint geschickt, während seine Frau in Tel Aviv an den Folgen ihrer Leukämieerkrankung stirbt.
Am 3. September 2009 startet in Gaza die Bodenoffensive. Izzeldin Abuelaish wägt sich und seine Kinder in Sicherheit, man habe ihm Neutralität versprochen. Wenige Tage später wird die ganze Welt Zeuge seines Verlustes. „Unser Haus wurde bombardiert, meine Töchter sind tot. Oh Gott, was haben wir getan?“ – er ist live im israelischen Fernsehen per Telefon zugeschaltet. An diesem Tag verliert er drei Töchter und eine Nichte, ihre Gesichter zerfetzt, die Gliedmaßen abgetrennt. Auf der Bühne im Kleinen Haus verschwinden Stuhl und Teddy unter dem Leinentuch, bis am Ende nur noch ein weißes Paket übrig bleibt. „Es ist an der Zeit, dass wir uns setzen und endlich miteinander reden. Das ist der einzige Weg.“ Minutenlange Standing Ovations – danach verlässt das Publikum den Raum. Darüber eine Wolke der Stille.

Bildquellen

  • Mohammad-Ali Behboudi verkörpert den palästinensischen Arzt Izzeldin Abuelaish: © Regina Brocke