Kunst

Hoffnung auf Veränderung: „Modern Times – Bilder der 1920er Jahre“ – eine eindrucksvolle Ausstellung im Museum für Neue Kunst in Freiburg

Die Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Druckgrafiken in der Ausstellung „Modern Times – Bilder der 1920er Jahre“ lassen sich vielfältig rezipieren. Erkennbar trägt Kunst hier zeitgenössische Probleme und Folgen des Weltkriegs aus, etwa Conrad Felixmüllers „Soldat im Irrenhaus (1918); überdies werden rasante technische Entwicklungen beleuchtet sowie die miserablen Lebensbedingungen vieler Arbeiter, was gleich zu Beginn der Schau eine Szene aus Chaplins Film „Modern Times“ illustriert. Die Bilder spiegeln zudem Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung und Emanzipation: Café, Kabarett, Straße und Atelier werden zu wichtigen öffentlichen Orten.

Sechzig Künstler sind mit 145 Werken vertreten, mehrheitlich Leihgaben aus dem Lindenau-Museum Altenburg, dreizehn entstammen dem MNK Freiburg. Die Wandtexte der Kurator:innen schlagen einige Perspektiven auf die Thematik vor, etwa Armut und Reichtum, Kriegstraumata, Revolution sowie politische Radikalisierung, letzten Aspekt verdeutlicht Erich Drechslers „Streikposten während des Kapp-Putsches“ (1923). Offensichtlich tritt uns eine aufgewühlte Weimarer Republik entgegen, wofür u.a. fünfzig Blätter des Radierzyklus „Der Krieg“ (1924) von Otto Dix stehen. Millionen Kriegsinvaliden lebten nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, hinzu kam die Inflation. Von Leid und Elend zeugen Oscar Nerlingers „Lastträger“ (1931), die schemenhaften Lebewesen in Paul Fuhrmanns Gemälde „Technokratie“, die Serie „Ruhrrevier – Auf der Zeche“ (1921) von Conrad Felixmüller sowie Porträts des ausgezehrten „Arbeiters Max John“ und die „Zeitungsträger“ von Georg Scholz. Wie verzweifelt Kinder von Armut und Alleinsein betroffen sein konnten, signalisiert farbstark „Der kleine Trommler“ (Elisabeth Voigt, 1926) sowie Zeichnungen von Käthe Kollwitz. Vorwiegend stehen die gezeigten Künstler dem Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit nahe. Mit Arbeiten des international vernetzten Otto Freundlich („Die Zeichen“, 1919) erfolgt jedoch ein Ausblick auf die Abstraktion (und NS-Verfolgung ab 1933); zudem weist Felixmüllers karikierendes Porträt des „Dadasophen“ Raoul Hausmann auf subversivere Kunststrategien, die im Weltmist zum Lachen reizten.

Elisabeth Voigt: „Der kleine Trommler“,1926 Foto: punctum Bertram Kober

Soziale Randgruppen werden in den Blick genommen, etwa „Prostituierte“ von Hans Baluschek. Das Verhältnis der Geschlechter pikiert Hanna Nagels Aquarell „Ich plädiere für gerechte Schmerzverteilung“ (1930), wobei sie ihrem nüchternen Realismus surrealistischen Witz mitgibt. Die Lage der Kunstschaffenden war oft desaströs, utopische Kraft beharrte trotzdem. Man traf sich viel, untersuchte das Chaos der Ereignisse, gründete Zeitschriften, die einer kämpferischen Kunst als Medium dienten, und verfasste subversive Manifeste; ästhetische Ansprüche, auch in puncto Kleidung, blieben obligat. In seinem autobiographischen Text „Menschen“ hält Felixmüller die Stimmung eines Treffens im Atelier fest: „Unerwartet viele Besucher folgten dieser Einladung. Wir legten gleich los: Ansprachen, Dichterlesungen, Diskussion. Vom Expressionismus zum Pazifismus wechselnd, gegen Krieg. Von der Vision des kommenden Menschen, vom Frieden. Vom Glück und von der in Russland eben ausgebrochenen Revolution (…). Es sprachen Maler, Dichter, Nationalökonomen, Kunsthändler, Soldaten (…). Viele Meinungen wogten bis zum harten Streit hin und her bis in die Morgenstunden“.
Wie experimentierfreudig die Zwanziger Jahre waren, zeigen auch Kurz-Filme von Walter Ruttmann („Lichtspiel Opus 1+2“, 1921) und Hans Richter („Vormittagsspuk“, 9 Min.), die im Schau_Raum des Museums zu sehen sind. Hier werden neue visuelle Formen erprobt, die sich von Figuration und bedeutungsvollem Erzählen lösen und für Wahrnehmungsvorgänge sensibilisieren. Anhand der Leihgaben aus dem Lindenau-Museum wird deutlich, dass die Jahrzehnte der deutschen Teilung Unterschiede und Verdrängungen in der Sammlungspolitik ergeben haben, die kunsthistorisch noch zu verstehen bleiben. Die Schau ergänzen vier zeitgenössische künstlerische Positionen, ein fundierter Katalog und Veranstaltungen.

Modern Times. Bilder der 1920er Jahre. Museum für Neue Kunst. Marienstr. 10a. Freiburg. Di-So 10-17 Uhr. Bis 16.02.25

Bildquellen

  • Elisabeth Voigt: „Der kleine Trommler“,1926: Foto: punctum Bertram Kober
  • Bernhard Kretzschmar: „Im Café“, ca. 1926, Lindenau-Museum Altenburg © VG Bild-Kunst Bonn 2024: Foto: punctum Bertram Kober