Goethes „Italienische Reise“

Ein passionierter Fotograf lässt uns die „Italienische Reise“ neu kennenlernen, indem er dieses bedeutende Reisetagebuch auf originelle Weise belichtet und ins Bild setzt. Im September 1786 war Johann Wolfgang von Goethe nach Italien aufgebrochen, seine Reise dauerte bis Mai 1788; er suchte nach Muße und frischer Erfahrung, hatten sich doch in Weimar einiges Unbehagen angesammelt. Goethes Aufbruch kommentiert Denis Scheck: „Sportlich ist er eigentlich nie gewesen. Ein bisschen Wandern, gut und schön, und im Winter auch gerne die neue Trendsportart Schlittschuhlaufen (…). Aber nur eines kann er von Jugend an richtig gut: weglaufen!“ Bereits im Jahr 1770 schrieb er an einen Studienfreund: “Nach Italien, Langer, nach Italien! Paris soll meine Schule sein, Rom meine Universität.“ Doch erst fünfzehn Jahre später machte er sich auf den Weg und wird mit einer Welt konfrontiert, die seine Wahrnehmung in Frage stellt: „Es ist offenbar, dass sich das Auge nach den Gegenständen bildet, die es von Jugend auf erblickt, und so muss der venezianische Maler alles klarer und heiterer sehn als andere Menschen“. Das Textkorpus „Italienische Reise“ besteht im Übrigen aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, die im Nachhinein zum Buch gefügt wurden, so dass der Eindruck entsteht, der Reiseverlauf sei genau geplant gewesen; doch wollte Goethe eventuell nur bis Rom, um „eine Sehnsucht von 30 Jahren“ zu stillen.
Der Fotograf Helmut Schlaiß ist Goethes Route gefolgt, hat von ihm beschriebene Orte, Plätze, Standpunkte, Ausblicke und Bauwerke ausfindig gemacht und sie – mittels Schwarz-Weiß-Fotografie – festgehalten und mit Originalzitaten angereichert: etwa Goethes Blick auf den Markusplatz, das Forum Romanum, das Amphitheater von Taormina. Die Tour führt einmal der Länge nach durch Italien; begonnen hatte der Fotograf sein Projekt 2014, ausgerüstet mit einer Leica M Monochrom mit „Normalobjektiv“ (1:2/50 mm), das dem menschlichen Auge am ehesten entspricht. Es war mitunter langwierig, zu diesen ästhetisch gelungenen Fotografien zu gelangen; manchmal waren drei Tage Seelenruhe nötig, bis das erwünschte Motiv nicht von Menschen und Verkehrsmitteln verstellt blieb.
Goethe reiste durchaus abenteuerlich und machte Umwege. Um den Blick für das Fremde zu schärfen, nahm er sich Zeit und zeichnete auch, etwa das „Aquädukt des Claudius“, die „Ruinen auf dem Palatin“, die „Cestius-Pyramide im Mondlicht“ und immer wieder Rom. Seiner Liebe zu Italien sei aber „durch diese Reise ein tödlicher Stoß versetzt“ worden, schreibt er. Einerseits ist er voller Bewunderung, z.B. in Neapel auf dem Markt: „Hier bekommt man erst eine Idee von einem Volk, das in einer so glücklichen Gegend wohnt, wo die Jahreszeit täglich Früchte wachsen lässt.“ „Entzückt“ erblickt er von einer Anhöhe aus „Vorgebirge, Erdzungen, Felswände, dann die Inseln und dahinter das Meer.“ Doch das Reisen kostet zudem Mühe und konfrontiert ihn mit der Vergänglichkeit; 1876 schreibt er an Frau von Stein: „Hier ist was zerstört, hier was angeleckt, hier stinkt’s, hier raucht’s, hier ist Schmutz pp so in den Wirtshäusern (…).“ Auch aus weiteren Briefen geht hervor, dass ihm statt ungestörter Klassik allenthalben Ruinen, Geröll und Scherbenhaufen begegnen, weshalb er, statt nur Muße, auch viel zu denken findet – was zum Genuss beiträgt.

Johann Wolfgang von Goethe. Italienische Reise. Ein fotografisches Abenteuer von Helmut Schlaiß, mit einem Nachwort von Denis Scheck. Manesse Verlag 2019.

Bildquellen

  • Italienische Reise, Johann Wolfgang von Goethe, Helmut Schlaiß: Manesse Verlag 2019