Einblick in die Abgründe einer Beziehung

Der Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ im Theater Harrys Depot

Je mehr sich in Edward Albees klassischem Ehe-Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zeigt, wie dünn der zivilisatorische Firnis ist, desto mehr bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken. Im Freiburger Theater Harrys Depot ist das Stück bis Februar zu sehen.

Warum heute noch Edward Albees 1962 in New York uraufgeführtes Ehe-Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ auf die Bühne bringen? Das kann man sich schon fragen: Nicht nur ist Mike Nichols’ vielfach ausgezeichnete Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Richard Burton eine Steilvorlage, auch die Gesellschaft samt Geschlechterrollen und Abhängigkeitsverhältnissen haben sich seitdem stark verändert. Beziehungskriege gibt es natürlich immer noch, auch im Theater. Einer der berühmtesten ist sicher dieser Dreiakter.

Nun ist Regisseurin Barbara Zimmermann vom Ensemble „Harry hol schon mal den Wagen“ bekannterweise Klassiker-affin, sie bleibt gerne nah am Text, starke Modernisierungen oder Neuinterpretationen sind ihre Sache nicht.

Und so bekommt man in ihrem kleinen Theater in der Spechtpassage derzeit auch den Klassiker quasi pur zu sehen: Quicklebendig, dynamisch und beeindruckend gut gespielt. Dabei wachsen Dominik Berberich (Georg), Juliane Flurer (Martha), Simon Matt (Nick) und Mia Lüscher (Süße) über sich hinaus: sie zeigen markante, facettenreiche Figuren, bisweilen etwas zu hochtourig, immer aber mit ungeheurer Präsenz und Vitalität.

Die Bühne hat Kammerspielcharakter: Ein schlichtes Sofa, eine Bar im Globus, zwei schwarze Paravants – mehr braucht es nicht. Aus dem Off dröhnt ein Gong und bedrohlicher Stimmungssound (Ephraim Wegner), dann treten Georg und Martha wie Kämpfer in den Spot.

Sie: Alkoholisiert, aufgekratzt und angriffslustig. Er: Müde und sichtlich abgegessen. Schließlich ist es 2 Uhr in der Nacht, man kommt gerade von der Institutsfeier zurück und Martha hat ohne sein Wissen noch späte Gäste eingeladen, weil „Papa hat gesagt, wir sollen nett zu ihnen sein“ – Papa ist Direktor der Universität, ein Gott, in dessen Augen Schwiegersohn Georg als Geschichtsprofessor als formatloser Versager gilt.

Schlappschwanz und Langweiler nennt auch Martha ihn – und das nur, um ihren Mann wie eine streitlustige Katze aus der Reserve zu triezen. Unverhohlener Frust und Überdruss bricht aus – es ist ein ritualisiertes Scharmützel mit viel Alkohol, in das nun Aufsteiger Nick und sein naives Frauchen platzen, ihre Begrüßung schön synchron als Zwillingswesen sprechend.

Sie werden in dieser Kampfarena erst zum unfreiwilligen Publikum, dann selbst zum Opfer. Denn ebenbürtige Gegner, das sind nur Georg und Martha.Warum die Gäste trotzdem zwei furchtbare Stunden lang bleiben und sich immer neue Manipulationen, Verletzungen und Grausamkeiten in dieser emotionalen Hölle antun? Es ist eine Mischung aus Voyeurismus und Bedürfnis zum eigenen Seelen-Striptease. Denn kaputt sind im Grunde alle vier Figuren, alle bewegen sich zwischen Wahrheit und Lüge, Eitelkeit und Selbstverachtung.

Hat die erste Hälfte vor der Pause dank pointierten Ping-Pong-Dialogen und expressiver Körpersprache noch viele parodistische und gar lustige Momente, so bleibt einem das Lachen nach und nach im Halse stecken.

Abgründe, Bloßstellung, Hass und Zerfleischung finden immer neue zynische Spielarten, längst gibt es kein Tabu und keinen Skrupel mehr. Eine Horrornacht, die mehr und mehr eskaliert; ein Sittengemälde und Psychogramm, das zeigt, wie dünn die zivilisatorische Firnis ist. Erst Krieg mit allen Mitteln, dann großes Drama, dann Katharsis – das ist auch für das Publikum stellenweise schwer zu ertragen. Großer Applaus.

Was: Schauspiel „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe?“
Wann: 7./8./13./15. Dezember 2018; 12./17./19./24./26./31. Januar 2019; 2./8./9. Februar 2019, jew. 20 Uhr
Wo: Theater Harrys Depot, Wilhelmstraße 15/2, 79098 Freiburg
Web: www.ensemble-harry.de

Bildquellen

  • kultur_joker_theater_harrys_depot_wer_hat_angst_vor_virginia_woolfe: Theater Harrys Depot