Ein Chamäleon der Avantgarde: André Evard in der Kunsthalle Messmer in Riegel

André Evard: „Nuage bleu“ (1912)
© Kunsthalle Messmer

Die große Werkschau des Schweizer Malers André Evard (1876–1972) unter dem Titel „André Evard Erleben. Vom Jugendstil zur Klassischen Moderne“ in der Kunsthalle Messmer kann ohne Übertreibung als Herzensprojekt des Sammlers und Museumsgründers Jürgen A. Messmer bezeichnet werden. Lange vor Eröffnung der Kunsthalle 2009, nämlich Ende der 1970er-Jahre, begann der süddeutsche Sammler und Kunstfreund mit seiner Kollektion Evard, die maßgeblich auf dem Nachlass des Künstlers beruht. Mittlerweile befindet sich ein Großteil der Werke seines Lieblingsmalers im eigenen Museum. Reich und abwechslungsreich bestückt, zeichnet die Ausstellung einen Künstler- und Lebensweg nach, der, wie der Titel verrät, vom Jugendstil bis in die Klassische Moderne führt.
Vollumfänglich geliebt hat Messmer den Schweizer Maler nicht von Beginn an. Das wundert nicht bei einem so vielfältigen, widersprüchlichen Werk. Es wundert noch weniger bei einem ersten Blick auf die schrillen Farbkontraste und schillernden, fast pulsierenden Farben der Sonnenuntergänge und Landschaften in Evards Bildern aus den 1940er- oder 1960er-Jahren. So schnell sie die Blicke auch an sich reißen, so schnell mag man sie übersteigert nennen, kitschig. Auch Messmer musste sich erst an diese Strahlkraft gewöhnen. Jetzt liebt er sie.
André Evard, der trotz seiner Verbindungen zu namhaften Künstlern wie Georges Braque, Robert Delaunay, Piet Mondrian, Theo van Doesburg sowie seinem Studienfreund Le Corbusier ein Einzelgänger blieb, demonstriert einen eigensinnigen Zugang zur Kunst. Gleichzeitig sind zahlreiche Einflüsse zu erkennen, seien es der Kubismus oder Konstruktivismus in Evards abstrakten Bildern oder der Expressionismus in seinen strahlend-bedrohlichen Portraits zum Ersten Weltkrieg. Sein Lehrer an der Kunstakademie war der wichtige Schweizer Jugendstilkünstler Charles L’Eplattenier. Die leuchtenden Farben könnten Evards Augen aber auch dem großen Idol Odilon Redon abgerungen haben. Wie Wassily Kandinsky und viele Künstler:innen der Klassischen Moderne wollte der Schweizer die Grenzen der Kunst transzendieren. So verkündete Evard: „Ich sehe die Malerei abstrakt wie die Musik.“
Trotz der Netzwerke und Inspirationen verfiel André Evard aber keinem Stil, blieb ein wendiges Chamäleon, das in seinen Skizzenbüchern präzise beobachtete – und an den entscheidenden Stellen eigene Impulse setzte. Deutlich wird dies etwa am „Surrealistischen Stillleben“ (1920), das liebliche Pastelltöne und verwirrende Abstraktionen im Portrait einer Rose zusammenfasst. Nachträglich kürte ihn eine Rezension in den Basler Nachrichten 1936 zu einem der ersten Schweizer Surrealisten. Nur vier Jahre später, so zeigt die Ausstellung mit einer beeindruckenden Gegenüberstellung, wird Evard das Motiv der Rose in miteinander korrespondierenden Gemälden stückweise zur konstruktivistischen Abstraktion wandeln. Einnehmend, mysteriös ist auch das symbolistische Bild „Nuage bleu“ (1912), das einen Vogelschwarm vor einer unwirklich leuchtenden blauen Wolke akzentuiert. Der Schweizer Maler wusste um sein Talent früh Bescheid. Auf die Rückseite seines Erstlingswerks von 1908 schrieb er schlicht wie selbstbewusst: „Ein Maler ist geboren.“
André Evard hat in der beeindruckenden Zeit von 70 Schaffensjahren ein Werk gestaltet, dessen einzelne
Facetten problemlos verschiedenen Maler:innen zugeordnet werden könnten. Verbunden sind sie in ihrem Bezug auf höhere Strukturprinzipien, den fast fieberhaft tiefergehenden Blick und durch eine beeindruckende Ausstellung, die nun umfassend Auskunft gibt über einen leider fast vergessenen, kühnen Vertreter der historischen Avantgarde.

André Evard Erleben. Kunsthalle Messmer, Riegel. Öffnungszeiten Di–So 10–17 Uhr. Bis 15.10.2023.

Bildquellen

  • André Evard: „Nuage bleu“ (1912): © Kunsthalle Messmer
  • André Evard: „La Machine“ (1925): © Kunsthalle Messmer